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Wutrede in Arizona "Trump facht das Feuer nur an - absichtlich"

Donald Trump tritt auf, als hätte der Wahlkampf niemals geendet: In Phoenix hetzt der US-Präsident gegen Kritiker, Medien und seine eigene Partei. Vor der Halle zeigt sich die Unversöhnlichkeit von Anhängern und Gegnern.

Vier Minuten lang geht es halbwegs gut. Donald Trump tritt ans Pult, winkt in die Menge, ballt die Faust. Beschwört das Sternenbanner, die Verfassung, seine "Volksbewegung" der "vergessenen Männer und Frauen".

Doch dann lässt der US-Präsident das Manuskript sausen und legt einen so haltlosen Auftritt hin, wie man ihn selbst in den wildesten Wahlkampftagen nicht erlebt hat. Er lügt, pöbelt, schimpft, droht: gegen die Medien, seine Kritiker, den Kongress, die Justiz, die Antifaschisten vor der Tür - und selbst gegen die eigene Partei, die ihm sowieso immer mehr den Rücken kehrt.

"USA! USA!", grölt das Publikum in der Halle ekstatisch. "USA! USA!"

Und draußen, wo Tausende Demonstranten seit Stunden ausgeharrt haben, explodiert die bisher friedliche Stimmung in der Nacht ebenfalls - in Rauchbomben, Pfefferspray und Tränengas.

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Trump-Auftritt in Arizona: Lob für sich selbst, Kritik für die Medien

Foto: Ralph Freso/ AFP

Trump ist nicht nach Phoenix gekommen, um zu einen. Obwohl Amerika das nötig hätte, zehn Tage nach Charlottesville. Nein: Er kam, um seine Basis anzustacheln, seine letzte, schwindende Stammwählerschaft, um sich in ihrem Zuspruch zu sonnen - und um Zwietracht zu säen zwischen dieser Basis und allen anderen.

Trump bleibt Trump. Das merkt man nicht nur dieser Rede an, einer Mischung aus Selbstlob und Verleumdung, rassistischen Codewörtern und frei erfundenen Behauptungen. Man merkt es allein daran, dass er überhaupt hierherkam. Trump sei nicht willkommen in Phoenix, der Hauptstadt des südlichen US-Grenzstaates Arizona, hatte ihn Bürgermeister Greg Stanton gewarnt. "Er hat Öl auf die Rassenspannungen gegossen. Mit seinem Besuch, so fürchte ich, will er jetzt ein Streichholz zünden."

Trump kam natürlich trotzdem, und Stantons Befürchtung wurde wahr.

Erst 24 Stunden zuvor hatte Trump eine ordentliche Rede zu Afghanistan gehalten, die seine Berater geschrieben hatten. Da schien es, als habe er das selbst verschuldete Chaos der letzten Wochen hinter sich gelassen.

Doch danach sieht es in Phoenix nicht aus. "Wow, was für eine Menge!", ruft Trump in die halbleere Halle, die extra noch verkleinert worden war, um voller zu erscheinen.

Der Ort ist kein Zufall: Hier hatte Trumps Wahlkampf einst so richtig begonnen. Im Juli 2015, in eben dieser Halle des Kongresszentrums, hatte er seine erste große Wutrede gehalten. Sie katapultierte ihn an die Spitze.

Trump im Wahlkampfmodus

Kein Wunder, dass er jetzt zurückkehrt auf der Suche nach dem Glanz. Ausgerichtet wird die Veranstaltung denn auch nicht vom Weißen Haus, sondern von seinem Wiederwahlkomitee für 2020.

Trump ist im Wahlkampfmodus, es ist die Rolle, in der er sich am wohlsten fühlt. "Ihr wart von Anfang an für mich da", ruft er seinen Anhängern zu. "Ich werde das nie vergessen." Dem folgt eine halbstündige Beschimpfung der Medien: Die würden ohne Unterlass lügen, "Geschichten erfinden", seine "perfekten Worte" verzerren und, ausgerechnet, "Hassgruppen propagieren". Sie seien "wahrhaft schlechte Menschen", "kranke Menschen" - und, ja, Volksfeinde.

Um das zu illustrieren, lügt Trump selbst. Er behauptet etwa, dass CNN die Kameras abgeschaltet habe. Oder dass draußen Horden gewalttätiger Protestler "mit schwarzen Masken und Schlagstöcken" lauerten, was die Medien verheimlichten.

Um das weiter zu illustrieren, liest er alle seine Statements zu Charlottesville noch mal vom Zettel ab - lässt aber jene kritisierten Passagen weg, in denen er die rechtsradikale Gewalt relativiert hatte. "CNN sucks!", rufen die Leute und drehen sich drohend zu den Reportern um.

Mitten im Satz schweift Trump ab, lobt einen Vasallen, der gefeuert wurde, da er - angeblich aus Jux - "Sieg Heil!" getwittert hatte, beschimpft die örtlichen Republikaner-Senatoren John McCain und Jeff Flake, würdigt - ja, wirklich - den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un, verhöhnt die, die weniger Geld haben als er ("Ich habe ein größeres, schöneres Apartment!"), übertreibt die ohnehin heißen Temperaturen ("46 Grad, und ich musste eine Stunde lang Autogramme geben!") und verspricht niedrigere Steuern.

"Ich glaube, er wird davonkommen, okay?"

"Kennt hier jemand den Sheriff Joe?", ruft er dann und liefert sich damit die brisanteste Eigenvorlage des Abends. Denn jeder hier kennt den Sheriff Joe Arpaio. Besser gesagt den Ex-Sheriff: Der berüchtigte Law-and-Order-Mann war letztes Jahr wegen rassistischer Umtriebe gegen Migranten verurteilt worden, das womöglich auf eine jahrelange Haft hinauslaufende Strafmaß soll bald verkündet werden.

Trump hatte vorab angedeutet, Arpaio begnadigen zu wollen - ein Geschenk an die ultrarechte Basis und zugleich ein Eklat, der die Amerikaner nur noch weiter spalten würde. "Ich will es nicht heute tun", sagt er schmunzelnd. Aber: "Ich mache mal eine Vorhersage: Ich glaube, er wird davonkommen, okay?"

Die wahren "Tiere" seien ja die bösen Einwanderer: "Wir werden sie loswerden, wir werden sie aus dem Land jagen, wie werden unsere Städte befreien!" Auch die Mauer zu Mexiko - deren Finanzierung im Kongress stockt - werde man bauen: "Und wenn wir darüber die Regierung stilllegen."

Es ist wie 2016, nur schlimmer. Manche Demonstranten vor dem Kongresszentrum verfolgen die Rede auf ihren Handys - und fühlen sich bestätigt in ihrer Unversöhnlichkeit. "Ich stamme von jüdischen Immigranten ab", sagt Phyllis Brodsky, die aus Tucson angereist ist, samt Sternenbanner und Protestschild ("Love Trumps Hate"). "Er ist nicht mein Präsident. Wir dürfen nicht schweigend zusehen."

Eric Schroeder ist mit einem großen Pastellgemälde gekommen, das Trump und den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem blutenden Kopf der Freiheitsstatue zeigt. Es hat ihn einen Monat Arbeit und mehrere Hundert Dollar gekostet. "Trump facht das Feuer nur an", sagt er. "Absichtlich."

Phoenix in heller Aufruhr

Auf der anderen Straßenseite, polizeilich von den Protestlern getrennt, haben die Trump-Fans stundenlang auf Einlass gewartet, viele schon seit den frühen Morgenstunden. Anhänger und Gegner des US-Präsidenten brüllen sich über die Barrikaden hinweg an, ansonsten blieb es friedlich. "Ich stehe weiter zu 150 Prozent zu ihm", sagt Cliff Rummen: All die Skandale seien nur Ablenkung, forciert von den Linken.

Schwer bewaffnete Männer in Tarnuniformen gehen auf und ab. Sie gehören nicht zur Polizei, sondern zum John Brown Gun Club - einer linksliberalen Bürgermiliz. "Wir passen auf, dass die Leute nicht gewalttätig werden", sagt einer von ihnen, er hält ein AK-47-Sturmgewehr in der Hand.

Darauf passt auch Reverend Michael Weldon auf, der Pastor der St. Mary's Basilica an der Ecke. Der Franziskaner hockt auf den Stufen der Kirche: "Wir müssen unsere Menschlichkeit hochhalten, wenn andere ihre wegwerfen."

Der stundenlang mühsam aufrechterhaltene Frieden zerbricht dann aber doch, als Trump seine Rede beendet. Irgendjemand wirft eine Wasserflasche in Richtung der Polizei, die sofort mit Tränengas zurückschießt. Bald liegen alle Straßen in beißendem Nebel, Menschen rennen panisch fort, einige erbrechen sich am Straßenrand. "Räumen Sie das Gelände!", schallt es aus einem Helikopter.

Phoenix ist in heller Aufruhr. Trump ist da längst wieder weg.

Im Video: Die gespaltenen Staaten von Amerika

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