Streit über Atomwaffenabkommen Trumps INF-Ausstieg nützt vor allem Russland

Raketenstart bei einer russischen Militärübung 2017
Foto: KONSTANTIN ALYSH/DEFENCE MINISTRY HANDOUT/EPA-EFE/REX/ShutterstockVor sieben Jahren schrieb John Bolton einen Gastbeitrag für das "Wall Street Journal" . Überschrift: "Ein Raketen-Vertrag aus dem Kalten Krieg, der uns schadet". Gemeint war damit das Abkommen über das Verbot von landgestützten Kurz- und Mittelstreckenraketen, das die USA und die Sowjetunion 1987 geschlossen hatten. Bolton, damals ohne Regierungsamt, empfahl deshalb eine einfache Lösung: Die US-Regierung sollte die Vereinbarung verlassen.
Wirklich überrascht hat der Vorschlag Boltons in Washington wohl niemanden. Er gilt schon seit Jahren als entschiedener Gegner von Waffenkontrollen. Seit April ist der Hardliner nun jedoch Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump - und sein Wunsch aus dem INF-Vertrag ("Intermediate Range Nuclear Forces") auszusteigen, könnte bald Realität werden. Am Samstag kündigte US-Präsident Trump überraschend an, das Abkommen wegen Verstößen einseitig kündigen zu wollen.
Ausgerechnet Bolton reiste am Montag nach Moskau, um darüber Gespräche zu führen. Dort zeigte er sich wenig dialogbereit, wiederholte stattdessen die Kritik Trumps: Das Problem sei nicht der mögliche Rückzug der USA aus dem INF-Abkommen, das Problem seien die "Verstöße" Russlands gegen die Vereinbarung.

Bolton mit Russlands Außenminister Lawrow in Moskau
Foto: RUSSIAN FOREIGN MINISTRY HANDOUT HANDOUT/EPA-EFE/REX/ShutterstockWeltweit wächst nun die Sorge, dass ein neues nukleares Wettrüsten beginnen könnte. Schließlich war das einst von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterzeichnete Abkommen eine entscheidende Grundlage für eine beinahe 30-jährige Phase der nuklearen Abrüstung.
Ein alter Streitpunkt wird wieder aktuell
Auch wenn der Zeitpunkt von Trumps Vorstoß überrascht: Die Kritik der US-Regierung ist schon länger bekannt. 2014 warfen die USA dem Kreml erstmals vor, den Vertrag zu verletzen. In den Folgejahren kam das Außenministerium immer wieder zu dieser Einschätzung.
Konkret geht es Washington um russische Marschflugkörper mit dem Nato-Code SS-C-8 (russisch: 9M729), die Ziele in bis zu 2600 Kilometer Entfernung treffen können. Der Vertrag verpflichtet die USA und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion eigentlich zur Abschaffung aller landgestützten, atomar bestückbaren Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern.
Drei Jahre nach der ersten Kritik verschärfte das US-Außenministerium schließlich den Ton und änderte Ende Dezember 2017 die Strategie. Man wolle zwar an dem Vertrag weiter festhalten, prüfe von nun an aber verstärkt Optionen, um sich und die Alliierten im Ernstfall mit konventionellen Mittelstreckenraketen verteidigen zu können, hieß es.
Warum sich die USA mit dem INF-Ende selbst schwächen
Es deutete also bereits Vieles daraufhin, dass die USA bald reagieren könnten - trotzdem führt er aus Sicht von Steven Pifer, Experte für Rüstungskontrolle der Brookings Institution, zu mehreren Problemen. Denn auch wenn der Schritt im Grunde nachvollziehbar sei, komme er zur falschen Zeit und sei unüberlegt, sagte er dem SPIEGEL. Washington habe sich so selbst geschwächt:
- Mit dem Ausstieg erhielten die Russen quasi einen Freifahrtschein, ihre Raketen dort zu positionieren, wo sie wollten - denn die Kontrolle durch den INF-Vertrag fiele weg.
- Die USA dagegen verfügten derzeit nicht über vergleichbare Raketen mit einer ähnlichen Reichweite. Selbst wenn, müssten sie diese zudem in Europa stationieren, wo die Bereitschaft dazu gering seien dürfte.
- Und: Die USA würden nun (erneut) weltweit als diejenigen angesehen, die für das Ende eines wichtigen Abkommens verantwortlich wären, ohne je einen konkreten Beweis für Verstöße geliefert zu haben.
Leaving the INF treaty is a major mistake--but, writes @steven_pifer @FSIStanford, there is a smarter strategy that might have a chance of saving the treaty, or that at least would prepare the ground for a better withdrawal scenario. Read more @Medium: https://t.co/PWHSOu951J
— CISAC (@StanfordCISAC) October 22, 2018
Mit dem möglichen Ende des INF-Abkommens stellt sich auch verstärkt die Frage nach der Rolle Boltons. Wie viel Einfluss hat er auf den Präsidenten? Aus Sicht von Pifer könnte Bolton durchaus eine entscheidende Rolle gespielt haben.

John Bolton
Foto: JIM LO SCALZO/EPA-EFE/REX/ShutterstockAls nationaler Sicherheitsberater koordiniert der 69-Jährige seit sechs Monaten die Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung und ist einer der wichtigsten Berater des Präsidenten - zum Beispiel auch bei Entscheidungen über Krieg und Frieden. Es ist bekannt, dass Trump besonders die Meinung der Hardliner in seinem Umfeld schätzt.
Am Dienstag ist nach Kreml-Angaben offenbar auch ein Treffen Boltons mit Russlands Präsident Wladimir Putin angedacht. Für Rüstungsexperte Pifer ist jedenfalls jetzt schon klar: "Russlands Offizielle feiern die Nachricht des Ausstiegs mit Sicherheit."