Phänomen Trump Wir Amerikaner belügen uns - weil wir nicht anders können

Als US-Bürgerin in Berlin verfolgt sie den Aufstieg von Donald Trump fassungslos - und sucht nach Erklärungen.
Donald Trump

Donald Trump

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Oluwakemi Aladesuyi ist Redakteurin beim "National Public Radio" in Washington. Derzeit hospitiert sie im Hauptstadtbüro von SPIEGEL ONLINE in Berlin.

Als Amerikanerin in Berlin merke ich, dass sich viele Menschen die gleiche Frage stellen: Wie kann es sein, dass der Reality-TV-Star und selbst ernannte Milliardär Donald Trump tatsächlich der nächste US-Präsident werden könnte?

Das fragen wir uns auf der anderen Seite des Atlantiks auch. Genauso wie: Was ist das da auf seinem Kopf und warum bewegt es sich nicht? Wie kann ein Präsidentschaftskandidat nur derart vulgär sein?

Es gab im vergangenen Jahr eine Zeit, da machte die Größe von Trumps Händen Schlagzeilen (der stellte daraufhin klar, dass sich daraus keine Rückschlüsse auf sein Geschlechtsteil ziehen ließen und versicherte öffentlich, dass es da "kein Problem" gebe). Es ergeben sich natürlich noch ernsthaftere Fragen, etwa zu seiner Einwanderungs- und Wirtschaftspolitik, seiner Einstellung zur nationalen Sicherheit und zu internationalen Bündnissen.

Ich glaube, man sollte nicht versuchen, das Wie zu Donald Trump zu verstehen, sondern das Warum. Ich gebe offen zu, dass ich als Journalistin die Antwort darauf nicht habe. Aber ich habe ein Wort, das erklären hilft: Verleugnung.

Die schiere Anzahl der Analysen (diese hier ist eine weitere), illustriert, wie weit wir noch davon entfernt sind zu akzeptieren, was die Kandidatur von Donald Trump wirklich bedeutet.

"Die Medien" sollen verantwortlich sein

In den USA ist der Aufstieg Trumps zum Präsidentschaftskandidaten ungläubig verfolgt worden. In den Redaktionen wurde diskutiert, ob über seine Kampagne auf den Gesellschaftsseiten berichtet werden sollte und ob es in Ordnung ist, einen Mann, der rassistische Dinge sagt, einen Rassisten zu nennen. Mit seinen haarsträubenden Äußerungen hat er fast das ganze Land - und die ganze Welt - schockiert. Schamlos hat er Bigotterie in den Politikbetrieb gebracht, und das in einem Ausmaß, das jeden anderen Präsidentschaftskandidaten im 21. Jahrhundert zu Fall gebracht hätte.

Einige Leute suchen die Schuld in dem verwirrenden Prozess des Vorwahlkampfes, in dem der Reality-TV-Star den anderen Bewerbern die Schau gestohlen hat. Es stünden zu viele Kandidaten zur Auswahl, das mache es Außenseitern leichter. Auch "die Medien" sollen verantwortlich sein. Die hätten schon zu Beginn des Wahlkampfes unverhältnismäßig viel über ihn berichtet; um damit Quote und Klicks zu machen, bemängeln die Kritiker.

Wir haben die ganze Zeit darauf gesetzt, dass einer der Kandidaten, der Trump beim Parteitag der Republikaner herausfordern wollte, auch Wort hält - doch einer nach dem anderen schied freiwillig aus dem Rennen aus. Parteigrößen, die sagten, sie würden Trump als Kandidaten niemals unterstützen, machen es plötzlich doch. Jetzt ist er der offizielle Kandidat der Republikaner. Vielleicht spekulieren sie darauf, dass er nun auf die Ratschläge des Establishments der Partei hören wird - dabei gründet sein Erfolg doch gerade darauf, dass er sich von ebenjenem Establishment absetzt.

Viele Leute bereuen nun, dass sie das alles nicht haben kommen sehen. Vielleicht, weil sie die wachsende soziale Ungleichheit, die schrumpfende Mittelschicht und den Frust der Globalisierungsverlierer nicht wahrhaben wollten. Die Menschen in den ländlichen Gegenden und Städten des sogenannten Rostgürtels, einer Industrieregion, die sich von Cincinnati und Pittsburgh bis nach Boston und New York erstreckt, fühlen sich von den politischen Eliten beider Parteien gleichermaßen ignoriert. Sie wünschen sich einen Kompromiss zwischen sozialen Werten und finanzpolitischer Verantwortung und müssen dann feststellen, dass sowohl Republikaner als auch Demokraten in erster Linie die Interessen der Großunternehmen vertreten.

Genau dort holt Trump sie ab, etwa wenn er seine Unabhängigkeit betont, weil er ja genug eigenes Geld habe. Ob er die Wahrheit erzählt, ist erst einmal nebensächlich.

Menschen wählen nicht immer nach logischen Maßstäben

Die letzten Umfragen lassen die Trump-Gegner aufatmen. Fast überall liegt die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, mit deutlichem Abstand vorn. Vor allem bei Frauen ist Trump laut Demografen extrem unbeliebt; in manchen Teilen des Landes stimmen null Prozent der Afroamerikaner in Umfragen für ihn. Und die Latinos ist er in seinem Wahlkampf dermaßen angegangen, dass es für ihn unmöglich sein dürfte, mit deren Stimmen die Wahl zu gewinnen.

Stimmt alles. Ist aber eben auch: Verleugnung.

Wir haben versucht, Trump zu verstehen, seine Politik zu entlarven und uns zu vergewissern, dass er die Wahl nicht gewinnen kann. Dabei verleugnen wir, was der Populismus von Trump genauso wie die rechten Bewegungen in Europa und anderswo für die Welt als Ganzes bedeuten.

Wir wollen Donald Trump unbedingt mit logischen Argumenten näherkommen. So verdrängen wir aber, dass die Menschen nicht immer nach logischen Maßstäben wählen - und auch nicht immer das tun, was gut für sie wäre. Noch schlimmer: Wir wollen nicht akzeptieren, dass manche Menschen glauben, es sei das Beste für sie, in einem Land zu leben, in dem die anderen Menschen so aussehen wie sie, genauso sprechen und die gleichen Überzeugungen und Erfahrungen haben.

Diese Menschen werden in den USA als rückständig, arm und ungebildet abgetan. Als Außenseiter. Aber so einfach wie wir es uns damit machen, ist es eben nicht. Denn mit seiner "Making America Great Again"-Kampagne gibt Trump genau diesen Menschen ein Zuhause. Da nützt alles Leugnen nichts.

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