Nach dem Sturm auf das Kapitol hat der US-Kongress Donald Trump erneut angeklagt – nur eine Woche vor seinem geplanten Abtritt. Was bezwecken die Abgeordneten damit? Und wie soll das Verfahren laufen?
Solche Szenen hatte das US-Kapitol seit dem Bürgerkrieg nicht mehr erlebt. Eine Woche nach der Attacke eines Mobs glich das Parlament einem Feldlager. Überall schliefen übermüdete Soldaten. Im Besucherzentrum. In Treppenhäusern. Unter den Ölgemälden des Kuppelsaals.
Eine Gruppe lag in einer Ecke auf dem Steinboden. An der Wand erinnerte eine Bronzetafel daran, dass Abraham Lincoln hier im Jahr 1861 Freiwillige mobilisiert hatte – für den Bürgerkrieg.
Wie im Krieg: Nationalgardisten im US-Kapitol
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Wegen der anhaltenden Gefahr rechter Gewalt in Washington sind Tausende Nationalgardisten aufmarschiert, um kommende Woche Joe Bidens Vereidigung zu sichern. Am Mittwoch schützten sie aber erst mal die Abgeordneten, als sie ein erneutes Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump beschlossen – sieben Tage vor seinem ohnehin geplanten Abgang.
Nach dreieinhalbstündiger Debatte war es so weit: Um 16.24 Uhr Ortszeit wurde Trump zum ersten US-Präsidenten, der mit dem Makel nicht nur eines, sondern zwei Impeachments in die Geschichtsbücher eingehen wird. Anders als im Dezember 2019 war das Votum diesmal parteiübergreifend: Eine Mehrheit aus 222 Demokraten und zehn Republikanern stimmte dafür.
Der »Article of Impeachment« enthält nur einen Anklagepunkt. Trump wird »Anstiftung zum Aufruhr« vorgeworfen, weil er die tödliche Erstürmung des Kapitols am 6. Januar provoziert habe. Trump habe die Sicherheit der USA in allerhöchste Gefahr gebracht. Er habe die Integrität der Demokratie bedroht und die Machtübergabe an seinen designierten Nachfolger Biden zu sabotieren versucht. »Damit hat er seine Pflicht als Präsident verraten.«
»Anstiftung zum Aufruhr«: Die zweite Anklage gegen Trump
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Die Anklage bezieht sich auf Trumps Auftritt vorige Woche am Weißen Haus: Da hetzte er seine Anhänger gegen den Kongress auf, der zur gleichen Zeit damit begann, Bidens Wahlsieg offiziell zu machen. »Wir haben diese Wahl gewonnen«, log Trump. »Wir werden da hingehen.« Kurz darauf bewegte sich die wütende Menschenmenge auf das Kapitol zu, und der Angriff begann.
Die Anklage zitiert zudem Trumps Kampagne in den Monaten zuvor, Bidens Wahlsieg zu diskreditieren, um »zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte den klaren Verlierer statt des klaren Gewinners als Machthaber zu installieren«.
Das Timing ist prekär: Mitch McConnell, der scheidende Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, erklärte, er könne die zweite Phase des Impeachments, den Prozess, keinesfalls mehr vor Bidens Amtseinführung auf den Weg bringen. Das soll nun retroaktiv nach Trumps Abtritt am 20. Januar geschehen.
Was wollen die Republikaner?
Schwieriger Seiltanz: Mitch McConnell
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Die Republikaner, die Trumps Benehmen jahrelang geduldet hatten, stellt das zweite Impeachment vor die endgültige Zerreißprobe. Um sich und die Partei zu retten, distanzieren sich viele panisch von Trump. Auch hoffen sie, dass das Impeachment mit Trump einen mächtigen Parteirivalen für die Wahlen 2024 aus dem Weg räumen könnte. Zugleich aber wollen es sich etliche nicht mit der Trump-Basis verderben.
Mitch McConnells Situation offenbarte den schwierigen, zynischen Seiltanz: Er hat endlich mit Trump gebrochen und neigt angeblich einer Verurteilung zu, machte aber klar, dass er noch keine Entscheidung getroffen habe. Für ihn und andere Senatsrepublikaner könnte das nach Bidens Amtsantritt einfacher werden.
Einige Republikaner lancierten am Mittwoch, dass sie nur deshalb gegen das Impeachment stimmten, weil sie »um ihr Leben fürchten«. Andere kündigten ihre Fahnenflucht bereits vorab an, allen voran Liz Cheney, die Tochter von Ex-Vizepräsident Dick Cheney. Wieder andere bezeichneten ein Verfahren so kurz vor dem Amtswechsel als »Cancel Culture« und verglichen die Attacke mit Black-Lives-Matter-Protesten – und damit, dass Trumps damalige Sprecherin Sarah Huckabee Sanders einmal in einem Restaurant nicht bedient wurde.
Was wollen die Demokraten und Joe Biden?
Joe Biden übernimmt am 20. Januar die Präsidentschaft von Donald Trump
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Die Abstimmung zum Impeachment zeigt, dass die überwältigende Zahl der Demokraten die Anklage gegen Donald Trump unterstützt. Für den künftigen Präsidenten Joe Biden ist die Sache hingegen nicht ganz so einfach. Zwar hält auch er das Impeachment für erforderlich, er ist aber offenkundig besorgt, dass der Wirbel um Trump den Start seiner Regierung verderben könnte.
Schon jetzt muss Biden fürchten, dass die Bestätigung seiner Ministerriege durch den Senat einige Zeit in Anspruch nehmen wird, weil mehrere Trump-treue Republikaner die Kandidaten blockieren könnten. Auch wichtige Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Coronakrise könnten so ins Stocken geraten.
Was macht Trump?
Für Donald Trump ist das zweite Impeachment eine Schmach, er spricht von einer »Hexenjagd«, wieder einmal. Aus seinem Umfeld im Weißen Haus ist zu hören, dass sich Trump dabei vor allem Sorgen macht, weil die ganze Sache seinen geschäftlichen Interessen schaden könnte. Die Marke Trump, auf die er und seine Familie lange so stolz waren, gilt nun als toxisch. Seit der Attacke auf das Kapitol haben etliche Unternehmen die Zusammenarbeit mit Trumps Firmenimperium aufgekündigt. Auch die Deutsche Bank, Trumps wichtigster Kreditgeber, soll darüber nachdenken, die Zusammenarbeit mit ihm zu beenden. Auf Trump, der offenbar dringend auf Kredite angewiesen ist, um seine diversen Hotels und Golfanlagen zu betreiben, könnten so schwere Zeiten zukommen.
Donald Trump ist auf dem Weg zum Ausgang
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Zugleich drohen ihm neue rechtliche Probleme, weil der zuständige Bundesanwalt in Washington, D.C., prüft, ob sich Trump mit seinem Verhalten am Tag der Proteste strafbar gemacht haben könnte. Trump gibt sich auch deshalb maximal unschuldig und friedlich. In einer fünfminütigen Videoerklärung zum Impeachment betonte er, er trete eindeutig »gegen Gewalt« und gegen »Gesetzesverstöße« bei Demonstrationen ein. »Ich rufe alle Amerikaner dazu auf, dabei mitzuhelfen, dass sich die Spannungen auflösen und die Gemüter beruhigen.«
Wie geht es jetzt weiter?
Nur der Senat kann Trump im weiteren Verfahren verurteilen und eine Strafe festlegen. Die Impeachment-Anklage aus dem Repräsentantenhaus wird aber frühestens am 19. Januar zum ersten Mal im Senat verhandelt. Zudem müsse ein fairer Prozess stattfinden, das brauche Zeit, erklärte Noch-Mehrheitsführer McConnell von den Republikanern.
McConnell schiebt die Sache jetzt offenkundig weiter: Am 20. Januar übernimmt der Demokrat Chuck Schumer von ihm das Zepter als Mehrheitsführer im Senat, ab dann werden die Demokraten mit ihrer neuen Mehrheit über den weiteren Zeitplan für den Impeachment-Prozess entscheiden. Grundsätzlich halten sie es rechtlich für möglich, einen Präsidenten auch nach seinem Abschied abzuurteilen.
Es ist noch nicht klar, ob es nach dem 20. Januar zu einem schnellen Prozess kommt oder ob Schumer das Prozedere in die Länge zieht. Die Demokraten könnten zunächst zum Beispiel die Bestätigungen von Joe Bidens neuen Ministern durch den Senat vorziehen. Das Impeachment-Verfahren könnte sich dann bis in den Sommer hinziehen.
So oder so müssen die Demokraten bei der finalen Abstimmung über Trumps Verurteilung 17 Republikaner auf ihre Seite ziehen. Für eine mögliche anschließende Entscheidung über ein künftiges Ämterverbot für Trump reicht dann eine einfache Mehrheit im Senat. Ein Comeback als Präsident 2024 wäre für Trump damit ausgeschlossen.