

Trumps Rede zur Lage der Nation Absurde Show

Das Ritual ist obsolet. Schon lange vor Donald Trump war die traditionelle Rede des US-Präsidenten zur Lage der Nation nur noch eine leere Show. Pathos, Jubel, God bless America: Selbst Polit-Junkies vergaßen das alles schnell wieder. Nicht ohne Grund warnte bereits Woodrow Wilson, der das leidige Zeremoniell einst begründet hatte: "Es möge nicht zum Brauch werden."
Zum Brauch wurde es trotzdem - doch nie zuvor so ad absurdum geführt wie jetzt, mit Trumps erster "State of the Union". Statt die Amerikaner zu versöhnen, spaltete er sie nur noch mehr, statt den Kongress für seine Agenda zu begeistern, trieb er ihn nur weiter auseinander, statt einer ehrlichen Lage der Nation gab es Propaganda, Verzerrungen und Lügen.
Einwanderer sind Killer, die Steuerreform ist die tollste aller Zeiten, der "Krieg gegen die wunderschöne saubere Kohle" ist vorbei, es werden endlich wieder Autos/Autobahnen gebaut, Medikamente werden billiger, der "Islamische Staat" ist kaputt, Guantanamo bleibt geöffnet, Nordkorea ist "verwahrlost", wir brauchen mehr Atombomben, alle Amerikaner müssen an Gott glauben: Fast jeder Absatz enthielt eine neue Groteske, die ein Körnchen Wahrheit unter einer Lawine der Demagogie begrub.
Nur ein Wort fehlte völlig in dem 80-Minuten-Rekordredemarathon - das wichtigste Wort, das über Trumps Präsidentschaft hängt wie eine Guillotinenklinge: Russland.
Auf der Tribüne saßen die Ehrengäste, wie immer waren es Amerikaner, die sich durch Heldentum oder überwundenes Elend qualifiziert hatten. Doch nie zuvor wurden sie so schamlos instrumentalisiert. Am schlimmsten erging es zwei weinenden Familien aus Long Island, deren von der mexikanischen MS-13-Gang ermordeten Töchter als Exempel herhalten mussten für das Unheil aller illegaler Immigranten. "Ganz Amerika trauert mit euch", intonierte Trump und pausierte für Applaus. "320 Millionen Herzen brechen für euch."
Typisch Trump, das alles, trotz Teleprompter. Der Basis dürfte es gefallen haben. Den anderen? Wohl weniger. Einheit war das Motto - Spaltung der Effekt. Die Demokraten schwiegen, buhten oder waren sowieso erst gar nicht erschienen. Die Republikaner grölten auf Kommando.
Und wer klatschte nach jedem Satz am meisten? Trump selbst.
Die First Lady dagegen klatschte weniger. Anders als ihre Vorgängerinnen bei diesen Anlässen bemühte Melania Trump tiefgekühlte Distanz. Sie ließ Trump schon auf dem Weg zum Kapitol in der Limousine sitzen und kam alleine, verzog dann kaum eine Miene und trug demonstrativ Cremeweiß, die Symbolfarbe couragierter Frauen, wie manche Kommentatoren hier sofort anmerkten.
Zufall? Trumps angebliche Affäre mit der Pornodarstellerin Stormy Daniels soll Melania Trump sehr empört haben. Deshalb war sie offenbar schon nicht mit nach Davos gekommen, sondern lieber ins Spa gegangen.
Stormy Daniels trat übrigens unmittelbar nach Trumps Rede in der Latenight-Show "Jimmy Kimmel Live" auf. Das sagte mehr aus über die Lage der Nation als alles andere. Ad absurdum.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Donald Trump vor dem Kongress: Das jährliche Ritual der Rede zur Lage der Nation lief diesmal anders ab - wie so vieles bei Trump.
Mit seiner ersten Rede zur Lage der Nation wollte der US-Präsident die Amerikaner eigentlich einen. Stattdessen erreichte er das Gegenteil.
Melania Trump kam getrennt von ihrem Mann und zeigte sich erstmals seit Wochen in der Öffentlichkeit. Mehrere Frauen trugen als Zeichen der Solidarität mit der #MeToo-Bewegung nur schwarze Kleidung.
Donald Trump appellierte an die Einigkeit der Nation. Tasnim Bushra (l.) und Lina Mohammed (r.) verfolgen die Rede am Fernseher in New York.
Angelica Magana, (r.) und Victor Guzman (l.) schauen Trump in Chicago zu. Sie kam im Alter von acht Jahren in die USA, er lebt als nicht registrierter Immigrant in Amerika. In diesem Moment spricht Trump über seine Vorstellung von Einwanderung.
Der ägyptisch-stämmige Amerikaner Aly Mohamed verfolgt Trumps Rede in einem Coffee Shop in Bay Ridge, Brooklyn, New York.
Unterstützer Trumps in Cincinnati: Mit der Aufzählung seiner vermeintlichen Erfolge erreichte der Präsident seine Basis.
Applaus für den Präsidenten, ebenfalls in Cincinnati.
Eine große, versöhnliche Geste wäre gewesen, wenn Trump in irgendeiner Form auf seine Kritiker zugegangen wäre. Etwa, indem er eigene Fehler in seinem ersten Amtsjahr eingeräumt hätte. Dies hat er aber nicht getan, Selbstkritik ist bekanntlich nicht seine Stärke.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden