Gipfel-Drama EU hofft auf Polens Vernunft

Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo
Foto: Olivier Matthys/ dpaEs hätte alles so schön werden können. Die Arbeitslosenquote ist auf dem niedrigsten Stand seit 2009, in den vergangenen drei Jahren sind 4,5 Millionen neue Jobs entstanden, erstmals seit fast zehn Jahren wächst in allen 28 EU-Staaten die Wirtschaft. Bei Sicherheit und Verteidigung rückt die EU zügig zusammen, demnächst womöglich auch in anderen Bereichen. Auf die Brexit-Verhandlungen ist die EU gut vorbereitet, während die Briten noch immer nicht zu wissen scheinen, was sie wollen.
Der Frühlingsgipfel der EU hätte im Zeichen guter Nachrichten stehen können - endlich einmal. Wären da nicht die Polen gewesen. Deren Widerstand gegen die Wiederwahl des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk endete mit einer spektakulären Niederlage, am Ende stimmten alle 27 EU-Staaten außer Polen für Tusk. Die polnische Regierung verhinderte daraufhin alle Schlussfolgerungen des Gipfels, die - anders als die Wahl des Ratspräsidenten - nach Einstimmigkeit verlangen.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Wirtschaftswachstum, fairer Freihandel, Sicherheit und Verteidigung, Migration und die EU-Staatsanwaltschaft - zu all diesen Themen waren Beschlüsse geplant, nun fallen sie vorerst aus. Gründe für das Verhalten nannte Warschau nach Angaben von Diplomaten nicht. Der Gipfel der guten Nachrichten wurde zum Gipfel des Tusk-Dramas.
Szydlo: "Trauriger Tag"
Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo sprach von einem traurigen Tag und einem gefährlichen Präzedenzfall. Vieles in der EU entwickele sich in die falsche Richtung und müsse sich ändern. Die Flüchtlingskrise, wirtschaftliche Probleme oder der Brexit seien nicht von ungefähr gekommen. Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski sah in der 27:1-Entscheidung gar ein "Diktat aus Berlin".
Angela Merkel versuchte, dem Geschehen etwas Positives abzugewinnen. Dass Polen Tusk ablehnen würde, sei schon vorher klar gewesen. "Wir hatten uns unter den Mitgliedstaaten sehr gut darauf vorbereitet", sagte Merkel. 27 Regierungen seien sich einig gewesen, "dass Donald Tusk der richtige Präsident für uns ist."
Sicher, auch bei einer Abstimmung ohne Zwang zur Einstimmigkeit sei die Suche nach Einigkeit wichtig. "Aber die Konsenssuche darf nicht zur Blockade genutzt werden", sagte Merkel. Noch deutlicher hatte es vorher die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite ausgedrückt: "Wir sind zufrieden mit Tusk. Und wir wollen uns nicht als Geisel polnischer Innenpolitik nehmen lassen."
Die war zweifelsohne der Hauptgrund für das Drama. Jaroslaw Kaczynski, Chef der in Polen regierenden PiS-Partei und eigentlicher Regent in Warschau, hält Tusk für mitschuldig am Tod seines Zwillingsbruders Lech, der 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Dass Tusk - der Kaczynski 2007 obendrein als Ministerpräsident Polens abgelöst hatte - nun erneut zum EU-Ratspräsidenten gewählt werden sollte, war für Kaczynski offenbar unerträglich.
Wie werden sich die Polen langfristig verhalten?
Vieles hängt nun davon ab, ob die Polen glauben, sie hätten sich mit dem Torpedieren der Gipfel-Schlussfolgerungen ausreichend revanchiert. Denn am Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschefs erneut, um über den Inhalt der Erklärung von Rom zu beraten. Sie soll Ende März veröffentlicht werden und den Weg der EU in die Zukunft vorzeichnen.
Wie Polen sich hier verhält, könnte nach Ansicht von Diplomaten Hinweise darauf geben, wie sich die Beziehung zwischen Warschau und dem Rest der EU in den kommenden Monaten entwickeln wird. "Ich gehe davon aus, dass die polnische Ministerpräsidentin daran teilnimmt und ihre Vorschläge einbringt", sagte Merkel auf die Frage, ob sie am Freitag mit Szydlo rechne.
Die nächste Eskalation im Zwist mit Polen zeichnet sich aber bereits ab. Das Rechtsstaatsverfahren der EU-Kommission wegen der Lähmung des polnischen Verfassungsgerichts nähert sich dem vorläufigen Ende - ohne dass Warschau eingelenkt hätte. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Kommission den Fall dann an die Mitgliedstaaten abgibt - die dann ein weiteres Mal gezwungen wären, Farbe zu bekennen.
Zusammengefasst: Die EU wollte ihren Frühlingsgipfel nutzen, um Zuversicht über ihre Zukunft zu verbreiten. Doch der erste Tag des Treffens der Staats- und Regierungschefs wurde überschattet von Polens Widerstand gegen die Wiederwahl von Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten. Die Frage ist nun, wie sich die polnische Regierung demnächst gegenüber der EU verhalten wird.