EU-Ratspräsident Tusk zu Polen "Ich bin Staatsfeind Nummer eins"

Ratspräsident Tusk: Lieblingskandidat der Kanzlerin
Foto: Ian Langsdon/ dpaAn Problemen mangelt es nicht, an denen EU-Ratspräsident Donald Tusk im Jahr 2016 seine Talente als Krisenmanager testen kann. Die Flüchtlingskrise ist längst nicht gelöst und stellt die Solidarität der Europäer beinahe täglich auf den Prüfstand. Dazu kommt das Referendum, bei dem die Briten darüber abstimmen, ob sie in der Europäischen Union bleiben oder nicht.
Keine Krise aber bereitet dem polnischen EU-Ratspräsidenten derzeit mehr Kopfzerbrechen als die Situation in seinem Heimatland. Die Politik der neuen polnischen Regierung stellt rechtstaatliche Strukturen infrage, das Verfassungsgericht droht ausgehebelt zu werden, und Spitzenposten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden mit genehmem Personal besetzt.
Jeder Satz von Tusk in dieser Angelegenheit ist heikel. Nach der harschen Kritik von EU-Spitzenpolitikern an der neuen polnischen Regierung mahnte Tusk zur Zurückhaltung. "Ich persönlich sehe viele Aktionen der neuen Regierung sehr kritisch", sagte er laut Teilnehmern bei den Fraktionen der Grünen und der Sozialisten im Europäischen Parlament am vergangenen Dienstagabend. "Übertriebene Äußerungen können aber kontraproduktiv sein, unabhängig vom guten Willen meiner Freunde hier in Brüssel."
Tusk bezog sich damit auf Äußerungen von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) und dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU). Schulz hatte das Vorgehen der polnischen Regierung mit Putins Regierungsstil in Russland verglichen; Oettinger hatte gefordert, die Polen unter Aufsicht zu stellen.
EU-Gipfel soll sich mit Situation in Polen beschäftigen
Am vergangenen Mittwoch hatte die EU-Kommission zudem erstmals in ihrer Geschichte ein sogenanntes Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit gegen Polen eröffnet. Am Montag will Tusk dazu mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda reden, der zu Gast in Brüssel ist. Einen Tag später diskutiert das Europäische Parlament in Straßburg mit der neuen polnischen Regierungschefin.
Tusk, der von 2007 bis 2014 polnischer Ministerpräsident war, kann sich vorstellen, das Thema Polen auch beim Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs zu behandeln. "Ich habe keinen Zweifel, dass das polnische Problem interessant genug ist, um diskutiert zu werden." Die europäischen Institutionen, auch er selbst, hätten die "rechtliche und moralische Pflicht", mit einem Mitgliedsstaat, der rechtstaatliche Strukturen verletzte, einen "offenen Dialog" zu führen, so Tusk.
Als EU-Ratspräsident war Tusk der Lieblingskandidat von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Sein erstes Jahr im Amt war jedoch nicht einfach. In der Debatte um den Verbleib der Griechen im Euro war Tusk gehandicapt, weil sein Heimatland noch nicht Mitglied in der Eurozone ist. Und in der Flüchtlingskrise nahm er zumindest anfangs große Rücksicht auf die Regierung in Polen und agierte zögerlich.
Dennoch setzte Tusk in der Flüchtlingsdebatte oftmals die richtigen Akzente. Immer wieder mahnte er an, sich zunächst um die Sicherung der Außengrenzen zu kümmern. Inzwischen hat sich auch Merkel dies zu eigen gemacht.
Beim Treff mit den Grünen machte Tusk keinen Hehl daraus, dass er keine besonders gute Behandlung durch die neue Regierung in Warschau erwartet. Sein Verhältnis zum Chef der polnischen PiS-Partei Jaroslaw Kaczynski, dem starken Mann hinter der neuen Regierung, ist, zurückhaltend formuliert, angespannt. "Für die meisten in der neuen Regierung bin ich Staatsfeind Nummer 1", sagte Tusk bei den Grünen, "aus vielen Gründen, aber auch, weil ich in Brüssel bin und Chef des Europäischen Rates".