Doppelanschlag in Norwegen Ein Land unter Schock
Oslo - Blutüberströmt liegen Verletzte im Zentrum von Oslo, um sie herum Trümmer und Glassplitter. Gegen 15.30 Uhr ist eine Bombe im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt explodiert - und plötzlich gleicht es einem "Kriegsgebiet", wie Augenzeugen erzählen. Sie schildern grausige Szenen: Menschen irren panisch umher, eine tote Frau liegt mitten auf der Straße. Dort, wo Minuten zuvor wohl noch Passanten entlangschlenderten.
Der Terror hat Norwegen getroffen, völlig überraschend und mitten in der Ferienzeit. Sieben Menschen wurden in der Hauptstadt getötet und 15 weitere verletzt. Das Regierungsgebäude mit dem Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg ist zerstört. In der Endetage, wo Stoltenberg normalerweise arbeitet, sind alle Fenster zersplittert. Das Öl- und Energieministerium in der Nähe ist Berichten zufolge völlig verwüstet.
In dem Hochhaus mit Stoltenbergs Büro im obersten Stockwerk sind mehrere Ministerien untergebracht. Das Erdgeschoss sei "wie weggeblasen", heißt es in einem Augenzeugenbericht der Zeitung "Aftenposten".
Plötzlich herrscht Angst in Oslo, dieser beliebten, sonst so entspannten Stadt am Wasser, in der jedes Jahr der Friedensnobelpreis überreicht wird. Die Unsicherheit ist groß nach der Explosion. Der Ministerpräsident - der sich zum Zeitpunkt der Detonation nicht in seinem Büro aufhielt - wurde in Sicherheit gebracht. Seinen Aufenthaltsort hält die Polizei bislang geheim.
In Oslo sind neben Feuerwehr, Polizei und Militärpolizei auch Soldaten aufmarschiert. Die Sicherheitskräfte fürchteten unmittelbar nach der Detonation, dass möglicherweise noch weitere Bomben in der Innenstadt platziert sein könnten. Die Umgebung des Regierungsviertels wurde weiträumig abgesperrt. Der Hauptbahnhof von Oslo soll evakuiert worden sein, außerdem zwei Einkaufszentren und die Büros von Zeitungen, dem Sender TV2 und der Nachrichtenagentur NTB. Kurz zuvor hatte es Meldungen über ein verdächtiges Paket bei TV2 gegeben.

Doppelanschlag in Norwegen: Trümmer, Scherben, Qualm
Noch während in Oslo Alarmzustand herrschte dann der nächste Schock: Ein bewaffneter Mann schießt in einem Jugendlager der Sozialdemokraten auf der Insel Utøya nahe Oslo auf mehrere Menschen. Berichten zufolge bricht unter den meist 15- und 16-jährigen Jugendlichen Panik aus. Mehrere Mädchen und Jungen seien von der Insel aus ins Wasser gesprungen und an Land geschwommen. Am Abend gibt die Polizei bekannt: Auf der Insel kamen mindestens zehn Personen ums Leben. Augenzeugen zufolge liegen mehrere Tote noch am Ufer der Insel, berichten norwegische Medien. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen.
Es ist die zweite große Schreckensnachricht für die Norweger an diesem Freitag. Die Polizei sagt, dass es zwischen dem Bombenanschlag in Oslo und der Schießerei einen Zusammenhang gibt.
Noch kann man wenig zu dem oder den Tätern sagen. Am Freitagabend gab die Osloer Polizei jedoch bekannt, sie glaube nicht an internationalen Terrorismus. Wahrscheinlicher sei eine lokale Variante, die sich gegen das derzeitige politische System wende, meldete die Nachrichtenagentur NTB. Die Polizei kenne das Milieu, in dem sich der auf der Ferieninsel festgenommene Mann aufhalte. Der Osloer Polizeichef sagte, man vermute, dass der verhaftete Mann auch für den Bombenanschlag in Oslo verantwortlich ist. Ein Zeuge will den Mann laut der Zeitung "Dagbladet" zwei Minuten vor der Bombenexplosion in Oslo gesehen haben.
Die Boulevardzeitung "Verdens Gang" schreibt, der Mann habe sich am Nachmittag auf der Insel als Polizist ausgegeben, der eine Kontrolle wegen der Terrorangriffe in Oslo durchführen wolle. Dann habe er mehrmals geschossen.
Sprengstoff auch auf der Insel
Am Abend berichten Augenzeugen dann norwegischen Medien zufolge, dass es auf der Insel mehrere Schützen gegeben habe. Die Zeugen sprechen von regelrechten Hinrichtungen. "Das sieht aus wie in einer Kriegszone", wird ein Augenzeuge zitiert. Acht Schwerverletzte sollen in Krankenhäuser gebracht worden sein. Später findet die Polizei auf der Insel auch Sprengstoff, der aber nicht explodiert ist.
Noch am Freitag wollte sich der Krisenrat der Regierung treffen, erklärt Ministerpräsident Stoltenberg in einem Interview. Er sagt, er wolle nicht spekulieren, ob Norwegens Engagement in Libyen mit dem Anschlag zusammenhänge. Sein Land ist bis zum 1. August mit Kampfflugzeugen am Einsatz der Nato gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi beteiligt. Zudem sind etwa 400 norwegische Soldaten am internationalen Militäreinsatz in Afghanistan beteiligt.
In Oslo herrscht große Ratlosigkeit über die möglichen Motive des Anschlags. War es ein Attentat von Islamisten? Warum Norwegen? Die Fahnder sind im Großeinsatz.
Der Schock sitzt tief. Norwegen gilt nicht als Brennpunkt sozialer Konflikte, sondern vielmehr als Vorbild in Europa. Laut Uno-Weltentwicklungsbericht genießen die Menschen dort die höchste Lebenqualität, von 169 untersuchten Ländern fallen Wohlstand, Bildung und Lebenserwartung dort am besten aus. Bei sozialer Gerechtigkeit und bei der Gleichstellung der Geschlechter landet das skandinavische Land auch bei anderen Studien auf den Spitzenplätzen. Dank seiner Einnahmen aus dem Ölgeschäft ist Norwegen von der weltweiten Wirtschaftskrise weitgehend verschont geblieben.
Doch wie unvermittelt Terroristen zuschlagen können, zeigt das Beispiel des Nachbarlands Schweden. Im Dezember vergangenen Jahres sprengte sich mitten in der Stockholmer Innenstadt ein Selbstmordattentäter in die Luft. Nur durch viel Glück kamen dabei keine anderen Menschen ums Leben.