Khat in Dschibuti
Wo der Drogenhandel fest in Frauenhand ist
Ohne die Blätterdroge Khat läuft am Horn von Afrika fast nichts – und das Geschäft damit erweist sich als krisensicher. So avancierten die Khat-Verkäuferinnen zu Hauptverdienerinnen ihrer Familien.
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Kurz nach dem Mittagsgebet legt sich eine nervöse Anspannung über Dschibuti-Stadt. Männer checken unruhig ihre Handys, Bekannte werden angerufen. Gibt es Neuigkeiten? Wo stecken die Laster?
Dann die Nachricht: Das Khat hat eben die Grenze zu Äthiopien passiert – in anderthalb Stunden müsste die Lieferung in Dschibutis Hauptstadt ankommen.
In dem kleinen Wüstenstaat am Horn von Afrika hat sich die Traditionsdroge Khat längst zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt. Rund 15 Tonnen der amphetaminhaltigen Blätter werden jeden Tag eingeführt. Schätzungen gehen davon aus, dass der Handel mit der anregenden Pflanze rund fünf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt.
Dschibuti-Stadt: Hauptstadt des kleinen Küstenstaats Dschibuti am Horn von Afrika
Foto: Mike Abrahams / Corbis / Getty Images
Und seit Beginn der Corona-Pandemie ist die wirtschaftliche Bedeutung des Khat noch einmal gestiegen.
Dschibuti, das mit seinen rund eine Million Einwohnern zu den kleinsten Ländern Afrikas gehört, lebt vom Handel und seiner strategisch wichtigen Lage. In den vergangenen Jahren hat es der Küstenstaat geschafft, einige der modernsten Häfen der Region aufzubauen. Vor allem der große Nachbar, der Binnenstaat Äthiopien, ist mit seinen rund 110 Millionen Einwohnern auf Importe und Exporte über die Häfen von Dschibuti angewiesen.
Doch aufgrund der Coronakrise hat der Handel stark nachgelassen. Im Hafen, im Transportgewerbe und in der Industrie ist es jetzt noch schwieriger geworden, einen Job zu finden. Dabei lag die Arbeitslosigkeit laut Afrikanischer Entwicklungsbank schon vor Beginn der Krise bei knapp 40 Prozent. Auch ihr Mann sei davon betroffen, erzählt Khat-Verkäuferin Zainaba A.
Er arbeitet im Hafen. Mal dies, mal das, sagt sie. Wer mehr verdient, sie oder ihr Mann? Sie druckst, schaut etwas verlegen zu ihren Kolleginnen an den Nachbarständen. Dazu könne sie nichts sagen. Das sei ja, also, äh, na ja ... Heißt, sie verdient mehr? Ein letzter schüchterner Blick zu ihren Freundinnen, dann bricht es stolz aus ihr heraus: »Selbstverständlich! Viel mehr! Schon seit Jahren!«
Sie will es ihren Mann nicht spüren lassen, sagt sie. Aber ohne die Einnahmen aus dem Khat-Geschäft könnte ihre Familie doch längst nicht mehr überleben. Die anderen Frauen nicken. Aus einem kleinen Zubrot ist für viele von ihnen der Großteil des Familieneinkommens geworden. Jetzt sind es oft die Männer, die dazuverdienen.
Khat-Verkauf in Dschibuti-Stadt: Der Handel mit der legalen Droge ist von der Pandemie weitgehend unbeeinträchtigt
Foto: MCT / Getty Images
Und die Krise verstärkt diese Dynamik. Denn anders als der Rest der Wirtschaft ist der Khat-Handel von der Pandemie weitgehend unbeeinträchtigt. Im Gegenteil, die Preise steigen weiter – genau wie der Konsum, erzählt Zainaba.
Tatsächlich hat der Khat-Handel in der Region schon schlimmere Krisen überstanden. Selbst in den Hochphasen der Bürgerkriege im Jemen und in Somalia sind die Lieferungen dort fast immer rechtzeitig gekommen. Und das ist entscheidend. Denn die kleinen, ledrig-grünen Blätter beginnen rund 24 Stunden nach der Ernte ihre Wirkung zu verlieren. Daher auch die tägliche Nervosität um die Mittagszeit in Dschibuti.
Auch Zainaba ist jetzt angespannt. Einer der Lkw hat unterwegs offenbar ein Problem gehabt. Sie telefoniert, will wissen, was passiert ist. Schon kommen die ersten Kunden. Das Khat ist noch nicht da? Wo genau hängt der Transport fest? Die Unruhe ist ansteckend und bald weiß das ganze Viertel, dass das Khat sich verspätet.
Händlerin Zainaba A. mit einem Arm voll Khat auf dem Weg zu ihrem Stand
Foto: Benjamin Moscovici
Zur allgemeinen Erleichterung biegen rund eine Stunde später alle vier Lkw auf einen staubigen Parkplatz, den zentralen Umschlagplatz in Dschibuti. Jetzt werden die Säcke abgeladen und in kleinere Autos gepackt. Einige eilen zum Hafen, wo das Khat auf Schnellboote verladen und in die Küstenstädte im Norden gebracht wird. Andere fahren in die verschiedenen Viertel der Hauptstadt.
Journalisten sind bei diesen Szenen unerwünscht. Der Parkplatz gehöre der Firma SOGIK, der Société Générale d'Importation de Khat, erklärt Monsieur Ouarabi, der gut zwei Meter große Chef des Sicherheitsteams der Firma. Und: »Wer hier rumschnüffelt, legt sich mit dem Teufel an.«
Ein Interview-Gesuch wird von einem leitenden Manager der Firma abgelehnt. Die Begründung: Die SOGIK bewege sich in einem juristischen Graubereich. »Aber ist Khat in Djibouti nicht vollkommen legal?« – »Doch – aber Drogenhandel bleibt Drogenhandel.«
Lastwagen mit Khat in Mogadischu (Archivbild)
Foto: Feisal Omar / REUTERS
Inzwischen ist der Kurier auch in der Straße von Khat-Verkäuferin Zainaba angekommen. In einem kleinen Lagerraum wird die Ware an die Frauen verteilt. Insgesamt gibt es wohl rund 2000 Straßenverkäuferinnen wie Zainaba – die allermeisten sind Frauen.
»Dealer« – das sei so ein hartes Wort, sagt Zainaba. Aber ganz falsch sei es nicht, Khat sei nun mal eine Droge. Sie selbst würde das Zeug auch niemals anrühren. Sie weiß, welchen Schaden die Droge verursacht.
Tatsächlich ist Khat für viele Frauen wie Zainaba Lösung und Ursprung ihrer finanziellen Probleme zugleich. Denn das, was sie mit dem Khat verdienen, geht gleich durch den Khat-Konsum der Männer wieder verloren. Die Weltbank geht davon aus, dass ein durchschnittlicher Haushalt in Dschibuti zwischen 20 und 30 Prozent seines Budgets für Khat ausgibt. Mehr als für Miete, Bildung und Gesundheit. Nur Essen kommt demnach vor Khat.
Doch was auf den ersten Blick nach einer Nullrunde aussieht, könnte langfristig nicht nur die Rolle vieler Frauen in Dschibuti massiv stärken, sondern auch zur Entwicklung des Landes beitragen. Denn Erfahrungen aus anderen Entwicklungsländern zeigen: Je größer der Anteil der Familienkasse, der von Frauen verwaltet wird, umso mehr Geld fließt in Bildung und Gesundheit.
Aber der Preis ist hoch: Die Weltbank geht davon aus, dass der durchschnittliche »Khatter« rund sieben Stunden am Tag mit dem Kauen der narkotisierenden Blätter verbringt. Fast ein voller Arbeitstag für die Droge. Der volkswirtschaftliche Verlust ist enorm. Ganz zu schweigen von den sozialen und gesundheitlichen Folgen.
Khat-Verkäufer: Der Konsum der Pflanze ist wohl am ehesten mit dem Kauen von Kokablättern zu vergleichen. Nach einigen Stunden weicht die anregende Wirkung allerdings oftmals einer tiefen Trägheit
Foto: Peter McBride / Aurora Photos / imago images
Ein Verbot der Droge ist dennoch nicht in Sicht. Denn die Importfirma SOGIK ist offiziell registriert und zahlt Steuern. Rund sechs Euro verdient der Staat angeblich pro Kilo. Genaue Angaben zum staatlich tolerierten Drogenhandel gibt es weder von den Behörden noch der Firma. Schätzungen gehen aber davon aus, dass mindestens 15 Prozent der dschibutischen Steuereinnahmen aus dem Handel mit der Volksdroge stammen.
Wahrscheinlich sei die Droge im Großen und Ganzen schlecht fürs Land, sagt Verkäuferin Zainaba. Aber sie könne es sich nicht erlauben, über solche Fragen eingehender nachzudenken. »Ich bin einfach dankbar für die Freiheit, die das Geschäft mir eröffnet.«
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Ein Mann kauft die Blätterdroge Khat auf einer Straße in Dschibuti (Archivbild von Dezember 2008)
Foto: Carsten Koall / Getty Images
Dschibuti-Stadt: Hauptstadt des kleinen Küstenstaats Dschibuti am Horn von Afrika
Foto: Mike Abrahams / Corbis / Getty Images
Khat-Verkauf in Dschibuti-Stadt: Der Handel mit der legalen Droge ist von der Pandemie weitgehend unbeeinträchtigt
Foto: MCT / Getty Images
Händlerin Zainaba A. mit einem Arm voll Khat auf dem Weg zu ihrem Stand
Foto: Benjamin Moscovici
Lastwagen mit Khat in Mogadischu (Archivbild)
Foto: Feisal Omar / REUTERS
Khat-Verkäufer: Der Konsum der Pflanze ist wohl am ehesten mit dem Kauen von Kokablättern zu vergleichen. Nach einigen Stunden weicht die anregende Wirkung allerdings oftmals einer tiefen Trägheit
Foto: Peter McBride / Aurora Photos / imago images