Drohneneinsätze "Sie nennen es Kriegsporno"

"Als wärst Du ein Feuerwehrmann, und es brennt jeden Tag." Drohnenflieger seien einem Stress ausgesetzt, der ganz anders als an der Front sei, erklärt der US-Politologe Singer im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Die gesamte Erlebniswelt des Krieges werde durch die neuen todbringenden Waffen verändert.
US-Drohne im Training: "Vergleichbar mit der Erfindung des Schießpulvers, der Druckerpresse oder des Flugzeugs"

US-Drohne im Training: "Vergleichbar mit der Erfindung des Schießpulvers, der Druckerpresse oder des Flugzeugs"

Foto: Ethan Miller/ AFP

SPIEGEL ONLINE: Mr. Singer, werden Drohnen zum neuen Kriegsalltag?

Drohnen

P.W. Singer: Bisher haben wir Drohnen als etwas Außergewöhnliches angesehen. Sie stellen aber längst den neuen Normalzustand dar. Früher gab es nur eine Handvoll, jetzt fliegen weltweit rund 7000 durch die Luft. Und nicht nur US-amerikanische, sondern auch aus 43 anderen Ländern, darunter Großbritannien, Deutschland und Pakistan.

SPIEGEL ONLINE: Stehen wir an der Schwelle eines neuen Kriegszeitalters?

Singer: Ja. Dies ist von der Folgenschwere her vergleichbar mit der Erfindung des Schießpulvers, der Druckerpresse oder des Flugzeugs.

SPIEGEL ONLINE: Wird Krieg zum Videospiel?

Singer: Das ist eine viel zu vereinfachende Sicht. Drohnen verändern die gesamte Erlebniswelt des Krieges. Der Akt des Krieges beinhaltete früher, dass du ein großes Risiko eingingst. Es bestand die Möglichkeit, dass man nicht mehr heimkehrte, dass man seine Familie nie mehr wiedersah. Jetzt ist das anders. Mir hat das ein Drohnenflieger mal so erklärt: Du ziehst für eine Stunde in den Krieg, dann fährst du nach Hause, und innerhalb von zwei Minuten sitzt du am Essenstisch und hilfst deinen Kindern bei den Hausaufgaben. Das ist ein ganz anderes Kriegserlebnis.

SPIEGEL ONLINE: Aber Drohnenflieger klagen doch genauso über Stress und Traumata.

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Drohnenkrieg der CIA: Prominente Opfer

Foto: AFP/ AL-JAZEERA

Singer: Ja, wir sehen hier alle möglichen neuen Arten von Stress. Anfangs bestand die Furcht, dass Drohnenflieger kalt seien, dass sie sich um die Folgen ihres Tuns nicht sorgten, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Sie sorgen sich manchmal sogar fast zu viel. Wir stellen bei den Drohneneinheiten höhere Werte von Gefechtsstress fest als bei manchen Einheiten in Afghanistan. Wir haben auch bedeutend erhöhte Ermüdungserscheinungen, emotionale Erschöpfung und Burnout verzeichnet. Die Gefahr von familiären Spannungen ist größer.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Singer: Da gibt es verschiedene Theorien. Traditionelle Bomberpiloten sehen ihr Ziel nicht. Der Drohnenflieger sieht sein Ziel dagegen aus nächster Nähe, und er sieht, was bei der Explosion und danach mit dem Ziel passiert. Du bist physisch weiter entfernt, aber du bekommst mehr mit. Auch tobt der Drohnenkrieg rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Als wärst du ein Feuerwehrmann, und es brennt jeden Tag. Das nimmt einen emotional und körperlich mit. Außerdem sind viele Drohneneinheiten personell unterbesetzt.

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Grafiken: US-Drohnen

Foto: SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL ONLINE: Wenn Drohnenflieger jeden Tag nach Hause pendeln, macht das die Sache für sie nicht einfacher?

Singer: Nein. Da herrscht ein totaler "disconnect". Du bist im Krieg, und kurz darauf bist du beim Football. Auch besteht bei den Drohneneinheiten kein solcher Zusammenhalt wie bei den Einheiten an der Front, wo alle gemeinsam an dem emotionalen Erlebnis des Gefechts teilnehmen. Da gibt es keine "band of brothers" mehr.

SPIEGEL ONLINE: Die totale physische Sicherheit wirkt auch nicht stressmindernd?

Singer: Oft im Gegenteil. Ich habe mal mit einer Sergeantin in der Air Force gesprochen, die Drohnen flog. Sie erzählte, wie sie aus der Ferne hilflos zusehen musste, wie ihre Kameraden am Boden umkamen. Sie konnte nur kreisen und zuschauen und nichts tun.

SPIEGEL ONLINE: Welche Konsequenzen hat der Drohnenkrieg denn auf das Verhältnis von Nationen untereinander?

Singer: Krieg war früher mal eine sehr ernste Entscheidung für eine Gesellschaft. Jetzt erklären wir ihn nicht mal mehr offiziell. Wir zahlen keine Kriegssteuer mehr, wir nehmen keine Kriegsanleihen mehr auf. Stattdessen führen wir dank der Drohnen Krieg, ohne uns um die Konsequenzen für unsere Söhne und Töchter kümmern zu müssen, die wir früher an die Front geschickt hätten. Auch ändert der Drohnenkrieg, wie die Politiker über den Krieg denken. Die Hemmschwellen des Krieges, die so schon niedrig waren, liegen nun ganz am Boden.

SPIEGEL ONLINE: Ist diese Entwicklung noch aufzuhalten?

Singer: Nein. Das lässt sich mit anderen historischen Momenten vergleichen, von denen es kein Zurück mehr gab. Das Automobil um 1909/10, die Computertechnologie vor 1980, die Atombombe in den vierziger Jahren. Dies ist viel mehr als eine Evolution, es ist eine Revolution. So was passiert in der Geschichte sehr selten. Solche Entwicklungen zwingen uns, Fragen zu stellen, die wir uns zuvor nie gestellt haben.

SPIEGEL ONLINE: Welche Fragen?

Singer: Zum Beispiel nach unserem Verhältnis als Öffentlichkeit zum Krieg. Auf einmal sind alle Kriegsoperationen per Computer dokumentiert. Das macht den Krieg zu einer Art Unterhaltungsform. Nehmen Sie nur die YouTube-Videos von Drohneneinsätzen. Die Soldaten nennen das "war porn", Kriegsporno. Wir sehen mehr, empfinden aber weniger.

Das Interview führte Marc Pitzke
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