Irans Außenminister Sarif "Niemand, auch der US-Vizepräsident nicht, darf mit dem Holocaust Stimmung machen"

Dschawad Sarif (l.) neben Irans Präsident Hassan Ruhani (Mitte)
Foto: Ebrahim/ dpa
Dschawad Sarif, ist seit 13 Jahren Außenminister des Iran und auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein Stammgast. Er verhandelte das Atomabkommen mit dem Westen.
SPIEGEL: US-Vizepräsident Mike Pence hat sie bei einer Konferenz in Warschau beschuldigt, einen neuen Holocaust vorzubereiten. Werden Sie sich in München die Hand geben?
Sarif: Ich denke eher nicht. Mike Pence ist sicher auch nicht scharf darauf.
SPIEGEL: Was sagen Sie zu dem Vorwurf?
Sarif: Die Aussagen des US-Vizepräsidenten sind lächerlich. Iran hat die Juden immer unterstützt, wir sind lediglich gegen Zionisten. Der Holocaust war ein Desaster. Doch niemand, auch der US-Vizepräsident nicht, darf mit dem Holocaust Stimmung machen.
SPIEGEL: Gerade hat Iran den Jahrestag der Revolution mit einer großen Militärparade gefeiert und angekündigt, sein Raketenprogramm weiter auszubauen. Das wirkt bedrohlich.
Sarif: Wir sind gezwungen, uns zu verteidigen. Unsere Region wird mit Waffen überschwemmt, auch von den Europäern, allein 2018 haben die Staaten am Persischen Golf 100 Milliarden Dollar für Rüstungskäufe ausgegeben. Wir geben einen Bruchteil davon aus. Und unsere Waffen sind rein defensiv.
SPIEGEL: Die Europäer sind besorgt über Irans Raketenprogramm. Wie soll man Iran vertrauen, wenn es sich so martialisch präsentiert?
Sarif: Sollten wir in einer so hochgerüsteten Region wehrlos sein? Wenn Europa sich beschwert, dass wir Raketen bauen, soll es uns Kampfflugzeuge verkaufen. Wir haben einen acht Jahre langen Krieg gegen den Irak erlebt, in dem wir nichts hatten, um uns zu verteidigen.
SPIEGEL: Iran liefert seinen Verbündeten wie der Hisbollah im Libanon Raketen, die nicht nur defensiv eingesetzt werden.
Sarif: Die Hisbollah verteidigt sich gegen israelische Angriffe. Israel will freie Hand, um Ziele in Syrien zu bombardieren und verletzt dabei den libanesischen Luftraum. Grundsätzlich gibt es bei dem Thema sehr unterschiedliche Standards. Israel zum Beispiel brüstet sich, dass es mehr als 300 Angriffe gegen Syrien geflogen hat. Und niemand interessiert sich dafür.
SPIEGEL: Die Israelis sagen, dass sie nur Waffen und Waffentransporte angreifen, die Iran nach Syrien oder zur Hisbollah in den Libanon bringt.
Sarif: Trotzdem verstoßen die Angriffe gegen das Völkerrecht, das ist eine klare Verletzung gegen die territoriale Integrität Syriens.
SPIEGEL: US-Präsident Trump hat den Rückzug der amerikanischen Truppen aus Syrien angekündigt. Wie sehen Sie diesen Schritt?
Sarif: Der Abzug aus Syrien kann gar nicht früh genug kommen. Immer, wenn sich die USA in unserer Region engagiert haben, entstand Chaos, Extremismus und Terrorismus. In Afghanistan verhandeln die Amerikaner jetzt mit den Taliban darüber, wie sie ihnen nach dem Abzug die Kontrolle übergeben. Dabei waren sie vor 18 Jahren gekommen, um genau diese Taliban zu vernichten.
SPIEGEL: Die USA sagen, die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien sei geschlagen. Heißt das, dass Sie Ihre Truppen und Milizen bald abziehen werden?
Sarif: Wir haben immer sehr klar gesagt, dass wir in Syrien nur zu einem einzigen Zweck engagiert sind: um Islamisten und Terroristen zu bekämpfen. Iran wird dafür so lange bleiben, solange die syrische Regierung das möchte. Schauen Sie sich nur die Region Idlib an, die immer noch von der Terrorgruppe al-Nusra kontrolliert wird.
SPIEGEL: Haben Sie eine Strategie, wie es in Syrien weitergehen soll?
Sarif: Aus unserer Sicht müssen alle geflüchteten Syrer zurück in ihr Heimatland kommen. Zudem muss eine Lösung für die Kurden gefunden werden, damit sie in Würde und Sicherheit leben können, dazu brauchen wir eine Abstimmung zwischen Syrien und der Türkei. Russland und wir sind bereit, diesen Prozess zu unterstützen.
SPIEGEL: Was wird aus Machthaber Baschar al-Assad?
Sarif: Wir alle sollten unsere Obsession für Präsident Assad beenden, denn sie hat diesen Konflikt massiv verschärft. Iran hält an niemandem fest. Stattdessen sollten die Syrer selbst entscheiden, wer sie anführen soll. Wenn sie überzeugt sind, dass Präsident Assad sie jahrelang unterdrückt hat, werden sie ihn nicht wählen.
SPIEGEL: Wieso hat Iran dann so lange Assad beigestanden, obwohl er sein eigenes Volk terrorisiert hat und Menschenrechte mit Füßen tritt?
Sarif: Der Westen sollte aufhören, ständig anderen Vorhaltungen wegen Menschenrechten zu machen. Europa hat geschwiegen, als die Saudis Jemen in Grund und Boden gebombt haben. Europa hat zugesehen, als sie den Premierminister von Libanon kidnappten und ihn mit der Pistole am Kopf zum Rücktritt zwangen. Erst als die Saudis einen Journalisten ermordet haben, ist die Welt plötzlich aufgewacht. Der Fall Jamal Khashoggi hat den Westen als Anwalt von Menschenrechten total unglaubwürdig gemacht.
SPIEGEL: Warum?
Sarif: Es geht nicht um Menschenrechte, sondern darum, wer dein Freund ist. Wenn ein Land mit den USA befreundet ist, dann ist alles erlaubt. Die USA geben Israel und Saudi-Arabien den Eindruck, dass sie ungestraft alles tun können.
SPIEGEL: Die USA, aber auch Deutschland, werfen Ihnen vor, aggressive Spionage zu betreiben. Erst kürzlich wurde ein iranischer Diplomat in Deutschland festgenommen, weil er bei den Vorbereitungen zu einem Anschlag geholfen haben soll. Wie soll man Iran da trauen?
Sarif: Zu dem Fall des Diplomaten, der gegen geltendes Recht festgenommen wurde, kann ich nur sagen, dass die Vorwürfe an den Haaren herbeigezogen scheinen.
SPIEGEL: Was meinen Sie?
Sarif: Uns wird vorgeworfen, dass Iran einen Terroranschlag in Europa plante, genau an dem Tag, als unser Präsident Wien besuchen wollte. Das ist absurd. Haben Sie sich noch nie gefragt, wem diese Vorwürfe nützen? Unser Eindruck ist, dass die Europäer getäuscht wurden von den üblichen Verdächtigen, die wie Mike Pence oder Außenminister Pompeo ständig gegen Iran hetzen.
SPIEGEL: Sie glauben wirklich an eine Verschwörung?
Sarif: Wir müssen doch nicht darüber streiten, dass alle Nationen Geheimdienste haben und Informationen im Ausland sammeln. In Iran sind alle internationalen Dienste sehr aktiv. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es keine Planungen für einen Anschlag in Europa gibt und gab, der von der iranischen Regierung angeordnet worden wäre.