"Dschungel von Calais" Französische Polizei räumt Flüchtlingslager am Ärmelkanal

"Dschungel von Calais": Französische Polizei räumt Flüchtlingslager am Ärmelkanal
Foto: MICHEL SPINGLER/ APCalais - Als die Polizei im Morgengrauen anrückte, waren die meisten Flüchtlinge schon weg aus dem "Dschungel". Rund 500 Polizisten führten knapp 300 illegale Einwanderer ab, bevor drei Planierraupen das wilde Lager am Ärmelkanal am Dienstag einebneten. Die Siedlung in den Dünen müsse weg, weil sie ein "Schleuserstützpunkt" sei, erklärte Einwanderungsminister Eric Besson.
Er verteidigte den Einsatz gegen massive Kritik von Opposition und Menschenrechtsorganisationen. In dem Lager hätten kriminelle Banden und Menschenschleuser die vor allem aus Afghanistan stammenden Flüchtlinge ausgebeutet und schikaniert. "Der Einsatz richtet sich nicht gegen die Migranten an sich", betonte Besson. In dem Lager hätten unhygienische und gefährliche Bedingungen geherrscht.
Dutzende Aktivisten versuchten mit Menschenketten die Polizei an der Räumung zu hindern. Unter den Flüchtlingen befanden sich auch zahlreiche Minderjährige. Die Polizei umzingelte die Gruppe, 278 Menschen wurden festgenommen. Die Flüchtlinge wurden in Busse gebracht und weggefahren. Viele weinten und schrien, als sie abgeführt wurden. Kurz darauf rückten Bulldozer in das Lager ein, um die Notunterkünfte zu zerstören.
"Das ist das gewalttätige Bild von Frankreich, das sie bewusst nach außen transportieren wollen. Es ist traurig, es ist eine Schande", sagte Vincent Lenoir von der Hilfsorganisation Salam. Der Einsatz sei eine Verzweiflungstat. Solange das Problem nicht an der Wurzel gepackt werde, würden die Flüchtlinge weiter nach Frankreich und nach Calais strömen, um auf eine Überfahrt nach Großbritannien zu hoffen.
Hoffnung auf Arbeit und Geld
Vor diesem Hintergrund räumte Besson ein, dass die EU-Mitgliedsländer ihre Flüchtlingspolitik besser koordinieren müssten. So habe Frankreich in Brüssel die Schaffung einer gemeinsamen, europäischen Grenzschutzpolizei angeregt. Die von den Einwanderern notdürftig errichtete Moschee werde von Hand abgebaut, versicherte der Minister im Radio. Auf französischem Boden dürfe nicht länger "das Gesetz des Dschungels" gelten. "Wir werden nicht zulassen, dass Menschenhändler das Gesetz entlang des Ärmelkanals bestimmen."
Außerdem sei die Lage für die Bevölkerung nicht mehr hinnehmbar, hatte der oberste Verwaltungsbeamte des Gebietes vergangene Woche gesagt. Diebstahl, Plünderungen und Gewalttätigkeiten gab es demnach Tag für Tag.
In dem Lager im Nordosten von Calais hatten die Menschen teils monatelang in Zelten gehaust, die sie behelfsmäßig aus Decken und Planen zwischen Bäumen und Sträuchern aufzogen. Tagsüber saßen sie vor den Unterkünften, rauchten, tranken Tee und machten Feuer, um ihre Kleidung zu trocknen. Vor allem planten sie aber die Flucht über den Kanal, nach Großbritannien, wo sie auf Arbeit und Geld hofften.
Als blinder Passagier in einen der Lastwagen zu gelangen, die auf den Parkplätzen der umliegenden Unternehmen stehen, das war ihr Ziel. Bis die Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisenländern wie Afghanistan, dem Irak, Somalia und dem Sudan es soweit geschafft hatten, hatten sie Tausende Dollar an Menschenhändler gezahlt.
Opposition kritisiert Einsatz scharf
Trotzdem sei es keine Lösung, ein Lager wie den "Dschungel" einfach plattzumachen, sagte Oppositionsführerin Martine Aubry. Wie die Menschen in dem Lager gehaust hätten, sei Frankreichs nicht würdig. "Aber mit Unterstützung von Hilfsorganisationen konnten sie zumindest abwarten." Jetzt, wo das Lager geräumt worden sei, würden die Einwanderer sich eben woanders niederlassen, prognostizierte Aubry - genau wie es nach der Schließung des berüchtigten Flüchtlingslagers Sangatte vor sieben Jahren gewesen sei. Mit der Zerstörung des "Dschungels" verlagere und verschleiere die Regierung das Problem lediglich, kritisierte auch der frühere Kulturminister und sozialistische Abgeordnete Jack Lang.
Über das Schicksal der Menschen wird dem Einwanderungsminister zufolge von Fall zu Fall entschieden. Entweder bekämen sie Hilfe, um freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren, oder sie könnten Asyl beantragen, hatte Besson vergangene Woche gesagt. "Aber wenn es die Lage in Afghanistan nicht erlaubt, wird niemand zur Rückkehr gezwungen." Dennoch drohe manchen die Abschiebung. "Wir wollen nicht zu uns zurück", stand auf einem der Spruchbänder der Flüchtlinge. "Selbst wenn wir hier sterben müssen."