Dubiose Schlemmerdiners Deutscher Spitzenbeamter in Brüssel unter Korruptionsverdacht

Schwere Vorwürfe gegen einen der wichtigsten deutschen EU-Beamten: Bei Einladungen zu Schlemmermenüs habe er Informationen ausgeplaudert, berichten verdeckte Rechercheure der "Times". Jetzt droht dem Mann eine Strafe - und der Bundesregierung ein empfindlicher Machtverlust.

An einem lauen Mittwochabend im März soll es gewesen sein, im Brüsseler Edelrestaurant "Comme chez soi". Das heißt zwar übersetzt "Wie zu hause" - aber so nobel isst vermutlich nicht einmal die Queen daheim.

Im prächtigen Jugendstil-Saal servieren beflissene Kellner Sieben-Gänge-Menüs aus der Zwei-Sterne-Küche für 190 Euro. Wer es lieber à la Carte mag, kann mit "Royal Belgian Caviar" als Vorspeise beginnen. Für 159 Euro. Sein Mahl rundet er dann mit Weinen für 2000 Euro ab.

EU-Kommissionszentrale in Brüssel: Schwere Vorwürfe gegen Deutschen

EU-Kommissionszentrale in Brüssel: Schwere Vorwürfe gegen Deutschen

Foto: AFP

In dem exklusiven Lokal sitzen zwei Briten und ein Deutscher zusammen. Die Männer aus London sind Lobbyisten, im Dienste eines chinesischen Klienten, sagen sie. Per E-Mail haben sie ihren Gast eingeladen, man kannte sich zuvor nicht. Der Dritte, Fritz Harald Wenig, ist einer der mächtigsten deutschen Beamten in Brüssel - jedenfalls war er das noch an jenem Abend im März.

In der Generaldirektion Handel leitete er die wichtigste Abteilung (Directorate B - Trade Defence), zuständig dafür, Europas Wirtschaft vor unfairen Dumping-Importen zu schützen. Die Recherchen und Einschätzungen von Wenigs etwa 170 Mitarbeitern entscheiden zum Beispiel darüber, ob chinesische Schuhe, Kerzen oder Unterwäsche mit hohen Anti-Dumping-Zöllen belegt werden oder so auf den EU-Markt kommen dürfen.

Genau das interessiert die beiden Briten. Sie arbeiten für einen Geschäftsmann aus Hongkong, Zhou Li Ping - sagen sie zumindest. Sie hätten für seine Firma Tsinghi Ltd gerne konkrete Informationen über die Anti-Dumping-Aktivitäten von Wenig und Kollegen. Man verabredet ein zweites Treffen, diesmal mit Ping, natürlich wieder in einem Top-Restaurant.

Was der Deutsche nicht ahnt: Er wurde im "Comme chez soi" nur angefüttert, zutraulich gemacht und auf den Prüfstand geschoben. Denn seine Gastgeber sind keine Lobbyisten. Sondern Journalisten der "Sunday Times". Den Mann aus Hongkong und seine Firma haben sie schlicht erfunden, ihre Darstellung des Abends inzwischen veröffentlicht.

Guter Ruf in Berlin

Der Brüsseler Spitzenbeamte wird in Berlin hoch geschätzt. Als der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch Gerhard Schröders Kanzleramtschef war, ließ er eine Runde aus Staatssekretären und Ministerialdirektoren von Zeit zu Zeit das deutsche Top-Personal bei den internationalen Organisationen taxieren - bei der Uno in New York zum Beispiel, bei der OECD in Paris, aber auch bei der EU in Brüssel. Die Regierung wechselte, die Personalbeschau blieb, und von Wenig erwartete man stets viel. Er gehörte regelmäßig zu denen, die einen Positiv-Vermerk bekamen: für höhere internationale Aufgaben geeignet.

Nur dessen Chef in Brüssel sah das anders - der britische Handelskommissar Peter Mandelson. Er geriet regelmäßig mit seinem Abteilungsleiter aneinander.

Wenig fand, der Brite wolle unüberlegt alles dem freien Spiel der Märkte überlassen - auch wenn manche Akteure unfair agierten. Er dachte mehr an den Schutz der heimischen Produzenten vor unlauterer Konkurrenz und blockierte Mandelsons Freihandelspolitik immer wieder.

Gegen "die Recherchekapazitäten und das Faktenimperium" der Wenig-Abteilung hatte Mandelson meist keine Chance, sagt ein Berliner Insider. Zumal Wirtschaftspolitiker aus Berlin, Paris und Rom dem kessen Deutschen notfalls beisprangen. Wenig gab sich im Zweikampf mit Mandelson knallhart, ließ freilich auch seinem Hang zum "Pompösen und Präsidentiellen", wie es in Brüssel heißt, immer ungehemmter freien Lauf.

Und wohl auch seiner Liebe zum feinen Diner.

Das nächste Schlemmermahl nehmen Wenig und seine spendablen Gastgeber laut "Sunday Times" im Restaurant "La Truffe Noire" ein, berühmt für seine Trüffeln, wie der Name es verheißt. Als Vorspeise ("Truffe du Périgord", mit Portwein gekocht, mit geröstetem Brot und getrüffelter Butter) für 100 Euro serviert, wird die kostbare Knolle dort ebenso feilgeboten wie etwa auf einem Scheibchen Keule vom Pyrenäen-Milchlamm mit Rosmarin für 120 Euro pro Teller.

Wie ein britischer Konservativer den Fall ins Rollen brachte

Die Briten brachten nach eigener Darstellung einen Chinesen mit, den sie als Mr. Ping präsentierten. Der sei an Einzelheiten der Brüsseler Anti-Dumping-Verfahren gegen Schuhe und Kerzen aus dem Reich der Mitte interessiert - das hatten sie Wenig schon vorab per E-Mail mitgeteilt. So soll der EU-Beamte zwischen den köstlichen Häppchen und Schlückchen im "La Truffe Noir" viele Details zu den gewünschten Themen erzählt haben. So jedenfalls schreiben es die britischen Undercover-Journalisten.

Wenig musste in jener Zeit die Abteilung wechseln, wurde auf einen zwar ranggleichen, aber weniger einflussreichen Posten versetzt - zumindest ein kleiner Erfolg seines Chefs Mandelson. Doch er sei weiter über alles bestens informiert, soll er den Reportern zufolge beim Diner gesagt haben. Die Männer offerierten ihm im Gegenzug einen Top-Job als Ping-Repräsentant mit 600.000 Euro Jahressalär oder - wenn er dies nicht wolle - eine Belohnung in bar von 100.000 Euro.

"Gefährlicher Interessenkonflikt"

Wenig, 62, soll die Angebote abgewehrt haben, wenn auch etwas eigenartig. Bis er in den Ruhestand gehe, könne er weder Geld noch Job annehmen - so schildern die Journalisten die Unterhaltung. Man beschloss erst einmal, den netten Kontakt fortzusetzen.

Am Anfang der britischen Recherchen gegen den redseligen Deutschen stand auch ein Hinweis des konservativen englischen Europaabgeordneten Syed Kamall. Wie Wenigs Chef Mandelson ist Kamall ein radikaler Verfechter freier Märkte. Er soll den "Sunday Times"-Leuten von engen Beziehungen zwischen EU-Beamten und Lobbyisten und Firmen und von einem "gefährlichen Interessenkonflikt" erzählt haben. Dazu hätten sie "präzise Informationen" bekommen, behaupten die Reporter. Diese führten sie offenbar zu Wenig. Den trafen sie, ohne Herrn Ping, ein letztes Mal in der vergangenen Woche.

Wieder war das Restaurant von der feinsten Sorte, diesmal die efeuumrankte vornehme "Villa Lorraine". Und während ein Trüffel so groß wie ein Apfel über die Jakobsmuschel geraspelt wurde, vertiefte man sich den Reportern zufolge in Details über geplante Brüsseler Anti-Dumping-Aktionen. Wenig soll die Entscheidung über eine mögliche Bezahlung seiner Dienste erneut auf später verschoben haben, so schreiben es jedenfalls seine Gesprächspartner. Er versprach demnach aber weitere Informationen.

Deutschlands Einfluss wird geringer

Dazu wird es nun kaum noch kommen. Am Wochenende veröffentlichten die "Sunday Times"-Reporter ihre Erlebnisse. Jetzt ermittelt die EU-Kommission gegen ihren Top-Beamten. Und die Europäische Anti-Betrugsbehörde Olaf prüft, ob sie ein Korruptionsverfahren einleiten soll.

Wenig fühlt sich unschuldig - was er erzählt habe, sei ohnehin "halb öffentlich" gewesen. Er ist einstweilen "im Jahresurlaub". Gegenüber der "WAZ" verteidigte er sich: "Er sei ein Opfer von 'Gestapo-, KGB- und Stasi-Methoden'". Geld sei nie geflossen, beteuerte Wenig demnach, abgesehen von den Restaurantkosten. Im Übrigen habe er lediglich signalisiert, "man könne mal darüber reden", was er für die Firmen tun könne, "wenn ich pensioniert bin". Eine Untersuchung findet Wenig nach eigenen Worten dennoch "völlig richtig", er werde bei der Aufklärung helfen. "Meine Persönlichkeitsrechte wurden mit den Füßen getreten."

Dennoch: Wenigs Chancen, sagt ein EU-Jurist, stünden wohl nicht gut. Denn jeder Brüsseler Beamte müsse sich "jeder nicht genehmigten Verbreitung von Informationen enthalten, von denen er im Rahmen seiner Aufgaben Kenntnis erhält". Es sei denn, diese Informationen seien schon veröffentlicht.

Noch sind die Fakten nicht geklärt, und die Bewertung von möglichen Geld- und Jobangeboten steht ebenso aus wie die juristische Quittung der Einladung zu Wein und Trüffel.

Doch eines scheint schon klar: Deutschland hat in der Brüsseler Eurokratie an Einfluss verloren. Großbritanniens Kommissar hat beste Chancen, einen störenden Mitarbeiter loszuwerden - und Belgiens Spitzengastronomen werden Herrn Wenig künftig wohl eher seltener bewirten dürfen.

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