Düstere Bestandsaufnahme US-Geheimdienste warnen vor Chaos in Afghanistan
Washington - Der Lagebericht ist Warnung, Abrechnung und Appell zugleich: US-Geheimdienste zeichnen in einer Studie ein äußerst düsteres Bild von der Situation in Afghanistan. Danach befindet sich das Land in einer "Abwärtsspirale" und es bestehen ernste Zweifel an der Fähigkeit der afghanischen Regierung, den wachsenden Einfluss der Taliban einzudämmen.
"New York Times" und "Washington Post" berichten am Donnerstag unter Berufung auf US-Regierungsbeamte übereinstimmend vom Entwurf der umfangreichsten Grundeinschätzung der Lage in Afghanistan, an dem im Auftrag der US-Regierung sämtliche 16 US-Geheimdienste seit Jahren mit besonderer Dringlichkeit arbeiteten. Auf Basis des vertraulichen Berichts solle die bisherige Afghanistan-Strategie überprüft werden. Der Report sei nahezu fertiggestellt, solle aber erst nach den Präsidentschaftswahlen Anfang November endgültig abgeschlossen werden.
Die "New York Times" schreibt, das Dokument fälle ein scharfes Urteil über die Entscheidungen der Bush-Administration, die Afghanistan nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Fokus ihres Anti-Terror-Kampfes rückte. Viele der Probleme in Afghanistan seien jedoch vor allem hausgemacht, heißt es.
Der Geheimdiensteinschätzung zufolge sei die Lage am Hindukusch durch die verstärkte Zusammenarbeit zwischen al-Qaida-Terroristen, den radikal-islamischen Taliban und einem sich zunehmend ausweitenden Netz von militanten Gruppen äußerst kompliziert geworden.
Die in der Regierung von Präsident Hamid Karzai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante von Zufluchtsorten in Pakistan aus. Weiter werde in der Studie auf den destabilisierenden Effekt des blühenden Heroinhandels hingewiesen, der nach manchen Schätzungen 50 Prozent der afghanischen Wirtschaft ausmacht.
US-Außenministerin Condoleezza Rice wollte den Bericht am Donnerstag nicht kommentieren. Sie kenne den Report nicht, sagte die Ministerin gegenüber Journalisten, bestätigte zugleich aber, dass die Geheimdienste den Auftrag hätten, die Lage in Afghanistan genauer unter die Lupe zu nehmen. "Die Lage in Afghanistan ist schwierig. Aber das Land hat seit 2001 Fortschritte gemacht", sagte Rice. "Wir haben alle über neue Umstände gesprochen, die sich dort ergeben haben, und wir prüfen derzeit, was wir noch tun können."
US-Militär räumt Tod von Zivilisten ein
Dem neuen Pentagon-Bericht vom Mittwoch (Ortszeit) zufolge starben bei der Militäraktion gegen Taliban-Kämpfer im Dorf Asisabad in der westlichen Provinz Herat am 22. August 33 Zivilisten und 22 Rebellen. Afghanischen Angaben sowie einem Uno-Report zufolge waren bei dem Vorfall jedoch 90 Zivilisten ums Leben gekommen, darunter 60 Kinder.
Das US-Militär hatte bislang von 7 getöteten Zivilisten sowie 30 bis 35 toten Rebellen gesprochen. Nach Angaben der "New York Times" basieren die neuen Zahlen den USA zufolge auf einer gründlichen Untersuchung des angegriffenen Ortes, auf Gesprächen mit Dorfbewohnern und neuem Beweismaterial, darunter mit Handys aufgenommene Videos.
phw/dpa/Reuters