Durstiges Ägypten Kampf um den Nil
"Wir Afrikaner meistern immer alle Probleme, die uns hin und wieder zu schaffen machen" befand Ahmed Nasif, Ministerpräsident der Arabischen Republik Ägypten. "Alexandria war ein voller Erfolg", tönte denn auch der Sprecher des staatlichen Fernsehens. "Alle Afrikaner ziehen an einem Strang."

Nilufer nördlich von Kairo: Ägypten und Sudan wollen der Neuverteilung nicht zustimmen, blockieren die Entwicklung der Region
Foto: AMR ABDALLAH DALSH/ REUTERSDie euphorischen Floskeln entsprachen nicht dem wirklichen Tatbestand, sondern spiegelten das Wunschdenken der Ägypter wider. Die Wasser- und Bewässerungsminister der zehn Anrainerstaaten des Nils, die im feudalen Filastin-Hotel (Palästina-Hotel) im ehemals königlichen Muntaza-Palastkomplex über die Verabschiedung einer seit Jahren überfälligen Neuregelung der Wasserverteilung auf die einzelnen Mitgliedstaaten debattierten, hatten zu keiner Übereinkunft gefunden.
"Die haben jetzt 17 Mal getagt und kommen auf keinen gemeinsamen Nenner", klagte David Grey, ein international geschätzter Wasserexperte der Weltbank. "Es sind nicht nur technisch-sachliche Faktoren, die hier mitspielen, sondern auch historischer Ballast, der ein wirklich unbeschwertes Miteinander oft erschwert."
Bisher fließt der Rohstoff kostenlos
Dabei ist die Ausgangssituation vergleichsweise unkompliziert: Ägypten braucht mehr Nilwasser, um die Versorgung kommender Generationen zu garantieren. Auch der Sudan wünscht sich mehr Flusswasser, um die Nutzung seiner enormen landwirtschaftlichen Ressourcen langfristig sicherzustellen. Im Gegenzug erwarten die Quell- und Durchflussländer Gegenleistungen der arabischen Hauptprofiteure in Chartum und Kairo. "Die Araber verkaufen uns ihr Erdöl für teures Geld," befand Ugandas Ministerpräsident Apolo Nsibambi, "wir Afrikaner liefern jedoch den wichtigsten aller Rohstoffe: Wasser". Bislang gratis.
Die Verteilung des Nilwassers erfolgte seit Menschengedenken nach dem Willen der Natur. Wenn die Monsunregen im äthiopischen Hochland und in der ostafrikanischen Seenplatte üppig ausfielen, florierten im nördlichen Niltal Handel und Wandel. Schwache Regenfälle führten dagegen zu Missernten und Hungersnöten.
Als während der britischen Kolonialzeit die ersten Staudämme am Nil gebaut wurden, etwa der Owen-Damm in Uganda, der Rusairis- und der Dschabal al-Aulija-Damm im Sudan und der Assuan-Damm in Ägypten, wurde eine moderne Großraumbewässerung möglich. Wasserknappheit machte sich nur in Jahren besonders schwacher Niederschlagsmengen bemerkbar.
Ägypten braucht dringend mehr Wasser
Nach der Inbetriebnahme des vom legendären Revolutionsführer Gamal Abd al-Nasser gebauten neuen Assuan-Damms glaubte Ägypten, von der latenten Gefahr ausbleibender Wassermengen endgültig befreit zu sein. Doch die Bevölkerungsbombe tickt weiter. In einem halben Jahrhundert wuchs die Bevölkerung um das Vierfache, und Wasser wird bald wieder knapp. Experten wissen, dass in spätestens 17 Jahren die dem wasserdurstigen Pharaonenland vor 80 Jahren zugestandene jährliche Wassermenge von 55,5 Milliarden Kubikmeter nicht mehr ausreichen wird.
Kairos Bewässerungsminister Mohammed Nasruddin Allam weiß: "Wir brauchen viel, viel mehr, um unsere Zukunft abzusichern." Ägypten bleibt weiterhin "ein Geschenk des Nils", wie Herodot schon vor 2500 Jahren richtig erkannte. Bessere Nutzung des zur Verfügung stehenden Nilwassers, eine striktere Ahndung von Wasserverschwendung und die Modernisierung der Bewässerungsmethoden helfen, eine grundlegende Abhilfe des Problems bescheren sie den Ägyptern jedoch nicht. Kein Weg führt an Absprachen mit den Nilländern vorbei, um mehr Wasserentnahme zu ermöglichen: Technisch wie auch legalistisch - neue Staumauern, Flussbegradigungen und neue Quotenvereinbarungen.
Die Kolonialmacht England hatte bereits 1929 - Wasserprobleme vorausahnend - mit dem damals in Ostafrika präsenten Italien, Ägypten, dann auch mit Uganda und Kenia Abmachungen über Jahreskontingente an Nilwasser ausgehandelt, worauf sich Ägypter und Sudanesen auch heute noch gern berufen. Doch diesen Verträgen haftet ein Manko an.
Sudan und Ägypten außen vor
Londons Vereinbarungen waren in den Augen der Afrikaner über ihre Köpfe hinweg getroffene Absprachen der Herren von gestern. Daher bestehen die Regierungen in Uganda, Kenia, Ruanda, Burundi, der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien und Eritrea heute auf Nachbesserungen. "Der Kern der Differenzen ist psychologischer Natur", erkannte ein Mitglied der äthiopischen Verhandlungsdelegation. "Wir wollen ein Mitspracherecht, und irgendwie muss der freie Wasserfluss auch honoriert werden."
Direkte Nutzungsgebühren wurden in offiziellen Gesprächen zwar noch nicht thematisiert, doch das Prinzip der gleichen Augenhöhe und des wechselseitigen Einvernehmens ist den Afrikanern wichtig. Dass Husni Mubarak, Staatschef des Hauptnutznießers Ägypten, der Konferenz fernblieb, empfanden prominente Mitglieder afrikanischer Delegationen als unverständlich. Ministerpräsident Ahmed Nasif war auch erst nach Bekanntwerden der beunruhigenden Nachricht kurz vor Konferenzende nach Alexandria geeilt, dass sich außer dem mit Kairo verbündeten Sudan sämtliche afrikanischen Verhandlungspartner auf ein eigenes Konferenzdokument einigen wollten - ohne Ägypten und Sudan.
In letzter Minute einigten sich die zehn Nilländer dann auf einen Kompromiss: Ägypten wird mit sämtlichen afrikanischen Nilländern auf allen Gebieten, Landwirtschaft, Industrialisierungsprojekten und Modernisierung der Infrastruktur zusammenarbeiten. "Wir sind zu allem bereit", bekannte der verunsicherte Regierungschef. Einseitige Dammbauten oder umfangreiche Eingriffe in den Flussverlauf dürfen Nilanrainerstaaten ohnehin nur mit dem Einverständnis aller anderen Niltalpartner vornehmen. Ägypten konnte seinen Vorschlag, mit einfacher Stimmenmehrheit Veränderungen am Flusslauf vorzunehmen, nicht durchsetzen.
Mubarak geht auf Lobby-Reise
Eine wichtige Rolle fällt der Weltbank zu, die eine Dringlichkeitsliste von Entwicklungsprojekten erstellt hat, die in den afrikanischen Nilanrainerstaaten durchgeführt werden müssen. Ägypten wird sich notfalls Geld leihen, um den Wünschen der Afrikaner entgegenzukommen. Vielleicht auch über die Weltbank.
Präsident Mubarak will jetzt auch Afrika besuchen, nachdem er bislang vorrangig europäischen Metropolen und den Golfhauptstädten seine Aufwartung gemacht hatte. In wenigen Wochen will er Addis Abeba aufsuchen. Immerhin stammen 85 Prozent des Wassers, das sich an Ägyptens Deltaküste ins Mittelmeer ergießt, aus dem Blauen Nil, und der entspringt im äthiopischen Hochland.
Arabische Nationalisten treibt unterdessen das Gerücht um, Israel wolle sich bei afrikanischen Nilländern mit Entwicklungshilfe lieb Kind machen. Jerusalem bezwecke, Ägyptens Einfluss in Afrika "das Wasser abzugraben" in der Hoffnung, mit politischer Schützenhilfe der Afrikaner die Entscheidungsträger in Kairo zu zwingen, Nilwasser nach Israel umzuleiten.
Vorerst keine Einigung
Weil die Differenzen noch zu groß waren, gingen die Teilnehmer an der alexandrinischen Verhandlungsrunde ohne Pressekonferenz auseinander. Unterschrieben wurde nichts. In einem halben Jahr wollen die Experten ein 18. Mal zusammenkommen und dann endlich ein neues Nilwasserverteilungssystem absegnen.
"Verstimmung, Enttäuschung und Hoffnung halten sich die Waage", resümierte Weltbankexperte David Grey, "Butros Butros Ghalis Kassandraruf wird sich nicht bewahrheiten." Der ägyptische Ex-Generalsekretär der Vereinten Nationen hatte bereits vor zehn Jahren geunkt, dass irgendwann "Wasserkriege" ausbrechen werden.