Ein Land unter Schock Mehr als 90 Tote nach Doppelanschlag in Norwegen
Oslo - Mindestens 91 Menschen starben bei den Anschlägen in Oslo und auf der Insel Utøya, die nicht weit entfernt liegt von der norwegischen Hauptstadt. Nach Erkenntnissen der Polizei wurden beide von einem 32-jährigen Norweger verübt. Allein bei dem Angriff auf das Jugendlager auf der Insel seien 84 Jugendliche ums Leben gekommen, teilte die Polizei am Samstagmorgen mit. Der als Polizist verkleidete mutmaßliche Attentäter hatte am frühen Abend das Feuer auf die Besucher des Lagers der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF eröffnet. Wenige Stunden zuvor waren bei einem Bombenanschlag in Oslo mindestens sieben Menschen getötet worden.
Damit hat die Polizei am Vormittag ihre Zahlen weiter nach oben korrigieren müssen: Noch am Abend war von 17, am frühen Morgen von 87 Toten die Rede gewesen.
Polizeidirektor Øystein Mæland rang am Samstagmorgen um Fassung, als er im Fernsehen das Ausmaß des Massakers bekanntgeben musste: "Man kann das nur schwer fassen." Es sei ein schwarzer Tag für Norwegen, es habe noch nie eine vergleichbare Situation in dem Land gegeben. Justizminister Knut Storberget sagte am Samstagmorgen, Norwegen wache auf mit einer unbeschreiblichen nationalen Tragödie. Die Botschaft, die nun stärker als je zuvor gelte: "Wir müssen zusammenstehen, aufeinander aufpassen."
Der festgenommene mutmaßliche Täter ist offenbar nicht in der Neonazi-Szene Norwegens aktiv, soll aber rechtsradikale und islamfeindliche Ansichten vertreten. Die Polizei geht derzeit davon aus, dass er allein gehandelt hat, prüft aber auch, ob es weitere Täter gibt.
Nach derzeitigem Ermittlungsstand ging der Mann so vor: Er brachte erst gegen 15.20 Uhr die Bombe im Regierungsviertel zur Explosion und fuhr dann zu der knapp eine Autostunde entfernten Insel Utøya im Bezirk Buskerud. Die Insel ist nur rund 600 Meter vom Ufer entfernt.
Hier eröffnete er das Feuer auf die insgesamt etwa 600 Jugendlichen in dem Ferienlager. Überlebende berichteten im Fernsehsender NRK von Panik und Chaos. Viele der Teenager im Alter von 14 bis 17 Jahren sprangen aus Todesangst ins Wasser, um schwimmend von der Insel zu entkommen. Der Attentäter habe auch auf sie geschossen.
Jugendliche schwammen um ihr Leben
Die Norweger hörten und sahen im Fernsehen Berichte von Überlebenden: Ein Mädchen, von ihrer Mutter im Arm gehalten, erzählt, wie sie vor dem wild schießenden Attentäter ins Wasser geflüchtet war, um schwimmend zu entkommen. "Ich habe überlebt, weil Menschen kamen und mich in ihr Boot gezogen haben." Sie erzählt, wie der am Ende festgenommene 32-jährige mutmaßliche Täter mitten in eine Versammlung der Jugendlichen in dem Ferienlager geschossen hatte. "Wir waren ja zusammengerufen worden, um über die Bombenexplosion in Oslo informiert zu werden", sagt sie.
Ähnlich klingt die Schilderung einer 16-jährigen Teilnehmerin des Camps in der Zeitung "Aftenposten": Alle Jugendlichen hätten sich im Haupthaus versammelt, um über die Ereignisse in Oslo zu sprechen, als sie Schüsse hörten. Zuerst hätten sie gedacht, es handle sich um einen Scherz. Ein Mann in Polizeiuniform sei gekommen, habe gesagt, er wolle alle versammeln, dann habe er geschossen.

Doppelanschlag in Norwegen: Schießerei in Jugendcamp, Bombe in Oslo
Aus Sicht der Helfer schilderte die Norwegerin Torill Hansen im NRK-Rundfunk, was für sie das Schlimmste war: Sie hatte mit ihrem Motorboot im Tyrifjord flüchtende Jugendliche aus dem Wasser geholt. "Als ich zehn aufgenommen hatte, war das Boot voll. Es war so schrecklich, als ich den elften und zwölften abweisen musste."
Viele Frage sind noch ungeklärt: Wie lange konnte der Täter um sich schießen, ehe die herbeigerufene Antiterror-Einheit der Polizei ihn festnahm? Welche Waffen setzte er ein. Und vor allem: Was sind seine Motive? Wurde das Feriencamp der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF auf der Insel Utøya zum Ziel, weil es "multikulturell orientiert" war, wie Teilnehmer es beschreiben. Als Gegner eines multikulturellen Norwegen hatte sich der mutmaßliche Attentäter schließlich im Internet präsentiert.
Stoltenberg: Niemand kann Norwegen "zum Schweigen schießen"
Norwegens König Harald V. forderte seine Landsleute auf, "in dieser schweren Situation zusammenzustehen und einander zu stützen". Auch Ministerpräsident Jens Stoltenberg beschwor den Zusammenhalt im Land. Niemand könne Norwegen "zum Schweigen schießen", das Land werde nicht aufhören, zu seinen Werten zu stehen, sagte er.
Wie die norwegische Nachrichtenagentur NTB berichtete, fand die Polizei nach der Festnahme des Verdächtigen auf der Insel Utøya auch nicht explodierten Sprengstoff. Ob es sich dabei um einen scharfen Sprengsatz handelte, wurde nicht mitgeteilt. Auf den Namen des 32-Jährigen seien zwei Schusswaffen registriert, hieß es unter Berufungen auf Meldungen des Senders TV 2.
Der Mann sei am Nachmittag kurz vor dem Bombenanschlag in Oslo gesehen worden, bei dem sieben Menschen starben und viele weitere verletzt wurden, sagte Polizeichef Sveinung Sponheim nach Berichten der Nachrichtenagentur NTB. Die Wucht der Detonation im Zentrum der Stadt hatte mehrere Gebäude verwüstet, darunter den Sitz von Ministerpräsident Jens Stoltenberg. Der Regierungschef wurde jedoch nicht verletzt.
"Das ganze Gebäude wurde erschüttert, wir glaubten, es sei ein Erdbeben", sagte ein Reporter des Senders NRK über die Bombenexplosion in Oslo. Er hatte sich neben dem 17 Stockwerke hohen Regierungsgebäude im Osloer Zentrum aufgehalten. Das Fernsehen zeigte Bilder von einer völlig zerstörten Hausfassade, aus der Rauch aufstieg. Der Boden war mit Glassplittern zerstörter Fensterscheiben und Trümmerteilen übersät.
Mitarbeiter der Tageszeitung "Aftenposten" berichteten von Opfern, die blutend auf der Straße lagen. Bilder der NRK-Homepage zeigten, wie sich Sanitäter um Verletzte auf dem Bürgersteig kümmerten. Rettungskräfte brachten eine Frau in Sicherheit, deren blondes Haar blutverschmiert war. Passanten beugten sich über Verletzte und leisteten ebenfalls Erste Hilfe.
Die internationale Gemeinschaft zeigte sich erschüttert von den Anschlägen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama verurteilten die Tat. Bundespräsident Christian Wulff übermittelte König Harald V. seine Anteilnahme. Bislang war Norwegen von Terroranschlägen verschont geblieben.
"Mit Entsetzen habe ich von dem schweren Anschlag im Regierungsviertel von Oslo erfahren", hieß es in einer in Berlin veröffentlichten Erklärung Merkels. "Die Hintergründe dieser menschenverachtenden Tat sind zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Klar ist, dass wir alle, die an Demokratie und friedliches Zusammenleben glauben, solchen Terrorismus, womit auch immer er begründet wird, scharf verurteilen müssen." "Deutschland und die Deutschen stehen in dieser schweren Stunde fest an Ihrer Seite", versicherte Bundespräsident Wulff dem norwegischen König.
US-Präsident Obama rief zu einer stärkeren Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror auf. "Es ist eine Mahnung, dass die gesamte internationale Gemeinschaft dazu beitragen muss, dass solch ein Terrorakt nicht passiert", sagte Obama in Washington.