Eine ungehaltene Rede Was Schröder Ahmadinedschad sagen sollte

Gerhard Schröder bereist Iran - privat, versteht sich. Nebenbei trifft er den Präsidenten und Holocaust-Leugner Mahmud Ahmadinedschad - freilich unpolitisch. Auch eine Rede vor Industriellen steht auf der Agenda. Henryk M. Broder schreibt für SPIEGEL ONLINE, was der Altkanzler sagen könnte.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, Exzellenzen,

ich danke Ihnen für die Einladung, nach Teheran zu kommen und vor Ihnen sprechen zu dürfen. Es ist mir nicht nur eine große Ehre, es ist auch die Erfüllung eines alten Wunsches. Ich hätte mich gerne schon eher auf den Weg gemacht. Leider war das während meiner Amtszeit als Kanzler der Bundesrepublik nicht möglich.

Ich musste Rücksicht nehmen - auf politische und wirtschaftliche Interessen, die das Verhältnis zwischen unseren Ländern bestimmen, auf unsere Verbündeten und nicht zuletzt auch auf die öffentliche Meinung in Ihrem und in meinem Land.

Man hätte den Besuch eines amtierenden Bundeskanzlers leicht missverstehen können: Als Geste der Solidarisierung mit einem Regime, das über keinerlei demokratische Legitimation verfügt, die eigene Bevölkerung drangsaliert und einem anderen Land in der Region mit Vernichtung droht.

Heute bin ich ein freier Mensch, ich kann nicht nur reisen, wohin ich will, ich kann auch sagen, was ich denke, ohne mich um die Folgen kümmern zu müssen. Und so will ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen als Privatmann Gerhard Schröder etwas zu sagen, das Sie möglicherweise von einem Ex-Kanzler nicht erwarten.

Ich bin mir bewusst, dass ich auf einem Boden stehe, der mit Geschichte durchtränkt ist, dass es in Persien schon eine Hochkultur und eine Zivilisation gab, als bei uns noch die Wölfe durch die Mark Brandenburg streiften. Dass wir noch auf vielen Gebieten Lehrlinge sind, auf denen Sie schon vor langer Zeit den Meisterbrief erworben haben.

Aber auch eine alte Hochkultur und eine imponierende Zivilisation können das Abgleiten in die Barbarei nicht verhindern. Wer wüsste das besser als wir Deutschen, die wir alle Werte unserer Kultur über Bord geworfen haben, um uns von einem größenwahnsinnigen Diktator in den Abgrund führen zu lassen. Kein Volk ist vor solchem Unheil sicher.

"Als würde Marokko Bananen aus Deutschland einführen"

Dabei hatten wir, wenn ich das mal so salopp sagen darf, Glück im Unglück. Das Tausendjährige Reich dauerte "nur" zwölf Jahre, lange genug um Europa zu verwüsten, aber doch nicht lange genug, um alles zu vernichten, das den Nazis im Wege stand. Als wir dann von uns selbst befreit wurden, gab es genug Deutsche, die nicht mitgemacht hatten, die in die innere oder äußere Emigration gegangen waren und die am Ende der langen Nacht der Schrecken mit Hilfe der Alliierten in die Lage versetzt wurden, ein neues Deutschland aufzubauen. Ich nenne nur Konrad Adenauer und Willy Brandt, zwei große Deutsche, deren Namen Ihnen sicher bekannt sind.

Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich Ihnen sage, dass Ihre Situation noch komplizierter und komplexer ist als die unsere vor mittlerweile 64 Jahren. Ich bin mir sicher, Sie wissen es selbst. Die Diktatur der Mullahs, die mit der Rückkehr von Ajatollah Chomeini aus seinem Pariser Exil begann, dauert nun 30 Jahre. Über die Hälfte der Iraner hat nichts anderes erlebt. Für sie sind Menschenrechte ein Fremdwort, freie Wahlen eine Chimäre und Meinungsfreiheit ein unkalkulierbares Risiko.

Unsere zwölf NS-Jahre waren nicht genug, um die Erinnerung an ein anderes Leben auszulöschen, 30 Jahre Leben im Ausnahmezustand richten dagegen einen irreparablen Schaden an. Millionen von Iranern sind ausgewandert, nach Europa und Nordamerika, obwohl sie ihren materiellen Besitz zurücklassen mussten, haben sie etwas Wertvolles mitgenommen: Bildung, Wissen und praktisches Know-how.

Deswegen prosperieren die iranischen Gemeinden in den USA, in Paris, London und sogar Berlin, während Ihr Land in Reichtum und Armut zugleich versinkt. Eigentlich müssten die Einnahmen aus der Erdölproduktion reichen, um Wohlstand für alle Bürger Ihres Landes zu garantieren. Wohin sie versickern, das müssen Sie selber herausfinden, jedenfalls kommt bei den Menschen zu wenig an. Es ist auch kaum zu verstehen, dass in einem Land, in dem man nur ein paar Meter in die Tiefe bohren muss, um auf Öl zu stoßen, Benzin nicht nur subventioniert, sondern auch importiert werden muss. Das ist, als würde Marokko Bananen aus Deutschland einführen.

Im Haus des Henkers nicht vom Strick sprechen

Ich bin hier auf Einladung eines iranischen Freundes, eines Mediziners, der eine wissenschaftliche Stiftung gegründet hat. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dieses Projekt zu unterstützen. Sie wissen, in welchem Zustand Forschung und Wissenschaft in Ihrem Land sind. Wann hat zuletzt ein Iraner den Nobelpreis bekommen, von der tapferen Shirin Ebadi abgesehen, deren Leben durch die Verleihung des Friedensnobelpreises nicht einfacher geworden ist? Es gibt nur eine Disziplin, in der Ihr Land die Statistiken anführt: bei den Hinrichtungen rangiert Iran an zweiter Stelle, gleich nach China.

Irans Atomprogramm

Man soll im Haus des Henkers nicht vom Strick sprechen. Sie könnten es als eine Einmischung in Ihre inneren Angelegenheiten verstehen. Mir ist natürlich bewusst, dass die europäische Geschichte voller Gräueltaten ist, von den Kreuzzügen über die Inquisition bis zum Holocaust. Während wir aber auf eine schreckliche Vergangenheit zurückschauen, wird bei Ihnen eine grausame Gegenwart praktiziert.

Ehebrecherinnen werden gesteinigt, Homosexuelle an Baukränen aufgehängt, derweil Ihr Präsident in einer Rede vor Professoren und Studenten der Columbia-Universität erklärt, es gäbe gar keine Homosexuellen in Iran. Eine solche Unrechtspraxis kann nicht toleriert werden, nicht wenn Sie mit uns wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen unterhalten wollen, nicht wenn wir mit Ihnen einen Dialog auf gleicher Augenhöhe führen sollen.

"Gerade unter Freunden muss Kritik möglich sein"

Aber das ist noch nicht alles, womit wir uns offen und ehrlich auseinandersetzen müssen. Gerade wir als Deutsche haben die Pflicht, darauf zu achten, dass niemand aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen diskriminiert wird. In Ihrem Land werden die Bahai verfolgt, deren einziges Verbrechen darin besteht, einer Religion anzugehören, die sich vor 150 Jahren vom Islam abgespalten hat. Sie sind der Willkür der staatlichen Stellen ausgeliefert, die in jedem Bahai einen potentiellen Verräter sehen, dem das Handwerk gelegt werden muss.

Meine Damen und Herren, nehmen Sie mir bitte meine Worte nicht übel, gerade unter Freunden muss Kritik möglich sein. Wir wollen mit Ihnen zusammenarbeiten, zum Wohle unseres und Ihres Landes. Aber so eine Zusammenarbeit kann nicht nur von wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt sein. Sie muss auf gemeinsamen Überzeugungen basieren, auf Respekt vor dem Individuum und seinen Rechten.

Ich bin als Privatmann in Ihr Land gekommen. Dennoch sage ich im Namen meiner Landsleute: Wir haben den ersten Schritt getan. Jetzt sind Sie an der Reihe.

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