EU vs. Russland Scharfer Protest gegen Putins Einreiseverbote
Moskau/Berlin - Seit Monaten dürfen bestimmte russische Politiker, darunter auch ukrainische Separatistenführer, nicht mehr in die EU einreisen. Die Maßnahme ist Teil der wirtschaftlichen und politischen Sanktionen, die der Westen in der Auseinandersetzung um die Ukraine gegen Russland verhängt hat. Bereits im vergangenen Herbst rächte sich Präsident Wladimir Putin für die Demütigungen aus der EU und den USA mit einer eigenen "schwarzen Liste" mit 89 mehr oder minder namhaften EU-Politikern und -Funktionären, die, offenbar wegen ihrer Äußerungen und Aktionen in der Ukraine-Krise, nicht mehr nach Russland einreisen dürfen. Auch acht Deutsche finden sich darauf.
Nach monatelangem diplomatischen Zerren legten russische Stellen das Dokument am vergangenen Donnerstag nun schließlich offen, seitdem ist die Empörung unter Europas Politikern groß: Rechtsgrundlage und Kriterien der Einreiseverbote blieben unklar.
Russland quittierte die aufwallenden Unmutsbekundungen am Wochenende mit einem Schulterzucken: Die Maßnahme sei einzig eine Antwort auf die "Sanktionskampagne", die einige EU-Staaten unter Führung Deutschlands gegen Russland ausgelöst hätten, sagte ein ranghoher russischer Diplomat am Samstag der Agentur Interfax. Moskau habe die Liste auf Bitten aus Europa "in vertraulicher Form" übergeben. Seit Beginn der Sanktionen gegen Russland seien Gesandte der betroffenen EU-Länder aufgefordert worden, bei den Botschaften Informationen einzuholen, ob sie einreisen dürften oder nicht.

Einreiseverbot: Russlands "schwarze Liste"
Von diesem informellen Weg sei kein Gebrauch gemacht worden, stattdessen habe man auf Mitteillungen über diplomatische Kanäle bestanden. Die aktuelle Aufregung gehe daher auf das Konto der entsprechenden Länder. "Eine Sache bleibt unklar: Wollten die europäischen Kollegen die Listen einsehen, um den Betroffenen Unannehmlichkeiten zu ersparen - oder um eine politische Show zu veranstalten?", so der russische Diplomat. Eine ähnliche Liste existiere im Übrigen auch für die USA, sagte er.
Unmut, gepaart mit Stolz
Auf der Liste finden sich laut Nachrichtenagentur Reuters, der das Dokument vorliegt, die Namen des künftigen europapolitischen Beraters von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Uwe Corsepius, zurzeit Generalsekretär des EU-Rates in Brüssel und damit Stellvertreter des amtierenden EU-Ratspräsidenten, dem russlandkritischen ehemaligen polnischen Regierungschef Donald Tusk.
Auch der estnische Justizminister Urmas Reinsalu sowie der stellvertretende polnische Verteidigungsminister Robert Kupiecki stehen auf der Liste. Unter den weiteren Namen befinden sich der Vorsitzende der liberalen Fraktion im Europaparlament, Guy Verhofstadt, der frühere tschechische EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle und der bisherige britische Vizepremier Nick Clegg. Der Liberaldemokrat hatte sich einst wegen Russlands strikter Anti-Homosexuellengesetze dafür ausgesprochen, die Olympischen Spiele in Sotschi zu boykottieren. Auch einige frühere britische Geheimdienstchefs und der ehemalige Verteidigungsminister Sir Malcolm Rifkind sind gelistet.
Aus Deutschland sind unter anderem die für Ursula von der Leyens Bundeswehr-Umbau verantwortliche Verteidigungsstaatssekretärin Katrin Suder sowie die Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann und Michael Fuchs (beide CDU) betroffen, außerdem der CSU-Politiker Bernd Posselt und die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms. Auch der Generalinspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner, darf nicht mehr nach Russland reisen.
Fuchs kritisierte die russische Regierung scharf: "Ich finde es unmöglich und verurteile den Angriff auf die Meinungsfreiheit", sagte er Reuters. Einen Boykott aller Russlandreisen befürworte er aber nicht, weil weiter der Dialog gesucht werden müsse. Fuchs sagte der "Bild"-Zeitung aber auch, es gebe Schlimmeres, als nicht nach Russland reisen zu dürfen. Nach dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH-17 über der Ukraine hatte Fuchs gefordert, Russland die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 zu entziehen.
Ohnehin mischt sich bei manchen Betroffenen ein gewisser Stolz in die Empörung. Der ebenfalls mit einem Einreisebann belegte Europa-Politiker Daniel Cohn-Bendit sagte der "Bild", es ehre ihn, wenn Russland ihn als Feind des Totalitarismus brandmarke.
Mißfelder: EU-Reisebeschränkungen waren ein Fehler
CSU-Politiker Posselt empfindet sein Einreiseverbot gar "als Ritterschlag für meine jahrzehntelange Menschenrechtsarbeit, nicht nur in Russland", sagte er dem "Münchner Merkur". Er habe Präsident Putin seit dessen Amtsantritt sehr kritisch begleitet, unter anderem seinen "Angriffskrieg auf die Ukraine", und freue sich, "dass diese Arbeit von der Gegenseite bemerkt wird".
Der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg sieht sich auf der Liste in guter Gesellschaft: "Als ich die anderen Namen sah, fand ich, dass ich mich in einem ehrbaren Klub befinde. Ich betrachte das als Belohnung", sagte er laut "Guardian".
Die italienisch-schwedische Europa-Politikerin Anna Maria Corazza Bildt, Kämpferin für Frauen- und Homosexuellenrechte, gab sich in einem Twitter-Posting kämpferisch: "Auf dieser Liste zu sein, ändert nichts an meinem Engagement für das Volk der Ukraine", schrieb sie, dazu trug sie ein T-Shirt mit der Aufschrift "Free Savchenko", eine Aufforderung, die inhaftierte ukrainische Pilotin und Volksheldin Nadija Sawtschenko zu befreien.
Am Sonntag meldete sich der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, mit besonnenen Worten. Der CDU-Politiker kritisiert die russischen Einreiseverbote ebenso wie das Vorgehen der Europäischen Union und hält die zuvor gegen russische Abgeordnete verhängten Reiseverbote in die EU für falsch, sagte er der am Montag erscheinenden "Berliner Zeitung". "Die Reiseeinschränkungen beider Seiten sind kontraproduktiv. Die Maßnahme aus Moskau sei eine Retourkutsche für eine fehlerhafte Entscheidung des Westens, sagte Mißfelder. Nach seiner Einschätzung stehe das Minsker Friedensabkommen auf der Kippe. Gerade in dieser Situation sei es wichtig, die Gesprächskontakte aufrechtzuerhalten.
Im Video: CDU-Politiker Wellmann über seine Russland-Reise: "Ich darf bis 2019 nicht einreisen, ohne Begründung!"