Einsatz am Hindukusch US-Gesandter verdammt bisherige Afghanistan-Strategie

US-Soldaten in afghanischer Provinz Helmand: "Fangen wieder von vorn an"
Foto: DB Cwo3 Philippe E. Chasse/ dpaBrüssel - Der Nato-Einsatz am Hindukusch hat nach Meinung des US-Sondergesandten seine Ziele verfehlt. Holbrooke, Beauftragter der USA für Afghanistan und Pakistan, äußerte sich in mehreren deutschen Zeitungen zur bisherigen Strategie in Afghanistan und räumte dabei schwere Fehler ein.
Ursprünglich sei geplant gewesen, dass sich die Deutschen um die Ausbildung der afghanischen Polizei, die Briten um den Kampf gegen den Drogenhandel und die Italiener um den Aufbau des Rechtssystems in Afghanistan kümmerten. "Das Ganze war unkoordiniert und hat uns nicht sonderlich weit gebracht", sagte Holbrooke der "Süddeutschen Zeitung". "Im Ergebnis fangen wir im neunten Jahr des Krieges wieder von vorn an."
Zuvor hatte Holbrooke die US-Politik nach dem 11. September als "Riesenfehler" bezeichnet. Die Konzentration der USA auf den Irak sei falsch gewesen: "Jetzt müssen wir die Folgen tragen und das reparieren", fügte er hinzu.
Zugleicht forderte Holbrooke Deutschland indirekt zu einer Aufstockung der -Truppen in Afghanistan auf. Im Interview mit der "SZ" antworte Holbrooke auf die Frage, ob die Bundesregierung lieber zusätzliche zivile Helfer oder mehr Soldaten schicken solle: "Schön wäre beides." Weitere deutsche Soldaten seien "sehr willkommen", Die Soldaten durch Zivilisten zu ersetzen, "wäre verfrüht", so Holbrooke.
Allerdings wolle er die Bundesregierung nicht drängen: Der US-Beauftragte sagte, es sei "kein Problem", wenn Deutschland für eine Entscheidung noch sechs Wochen brauche. Auch der Entscheidung der US-Regierung, Zehntausende zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken, sei eine mehrmonatige Prüfung vorausgegangen.
Holbrooke vergleicht Kunduz mit Abu Ghuraib
US-Präsident Barack Obama hatte in der vergangenen Woche seine neue Afghanistan-Strategie vorgestellt und angekündigt, 30.000 zusätzliche Soldaten an den Hindukusch schicken zu wollen. Zugleich machte er deutlich, dass er auf die Unterstützung der -Partner zähle. Mindestens 25 Länder hatten angeboten, insgesamt 7000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Die von der Nato geführte Afghanistan-Schutztruppe hat derzeit 83.500 Soldaten.
Der Bundestag hatte am Donnerstag eine Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes beschlossen und die Mandatsobergrenze von 4500 Bundeswehrsoldaten bestätigt. Über eine mögliche Truppenaufstockung will die Bundesregierung erst nach der internationalen Afghanistan-Konferenz im Januar entscheiden.
Im Gespräch mit der "Berliner Zeitung" lobte Holbrooke den Einsatz der Bundeswehr in Nordafghanistan. Die Lage dort werde "immer gefährlicher", so dass die deutschen Soldaten "unabkömmlich" seien. "Ich bin dankbar und glücklich, dass sie da sind", sagte Holbrooke.
Mit Blick auf den verheerenden Luftangriff von Kunduz, der mehr als 140 Menschen das Leben kostete, äußerte Holbrooke Verständnis für die Situation des deutschen Obersts, der die Bombardierung angefordert hatte. "Es ist schwer, in Sekundenbruchteilen Entscheidungen zu treffen, wenn man sich bedroht fühlt", sagte Holbrooke der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Es sei "keineswegs" falsch gewesen anzunehmen, dass alle Personen an den bombardierten Tankwagen mit den Taliban verbündet waren.
Der "Berliner Zeitung" sagte er über den Angriff aber auch: "Er hat sehr geschadet." Es sei "wichtig, dass die Deutschen den Menschen in Afghanistan zeigen, dass das nicht das wahre Gesicht Deutschlands ist, dass dies ein Kriegsunfall war." Ebenso müsse Deutschland deutlich machen, dass "Kunduz ebenso wenig eine Metapher für das deutsche Handeln in der Welt ist, wie das für das weltweite Handeln der USA war". Im dem berüchtigten Gefangenenlager Abu Ghuraib hatten US-Soldaten irakische Gefangene gequält.
Uhl warnt vor unrealistischen Zielen
In Deutschland geht die Debatte um eine mögliche Aufstockung des Bundeswehrkontingents weiter: Der CSU-Politiker sagte, nach acht Jahren Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch sei es "unangemessen, die Diskussion über mehr oder weniger Soldaten in den Vordergrund zu stellen". Das zitiert der "Kölner Stadt-Anzeiger" aus einem Positionspapier von Uhl. Vielmehr bedürfe es "einer Überprüfung unserer Ziele und einer effektiven Strategie zu deren Erreichung". Erst danach solle über die dafür notwendigen Mittel nachgedacht werden.
Uhl warnte in dem Papier vor unrealistischen Zielen. "Überambitionierte Ansätze" wie die "Einführung einer zentral organisierten Demokratie" würden nur dazu führen, "dass wir unser umfassendes militärisches Engagement für unabsehbare Zeit aufrechterhalten müssen".
Die Grünen lehnten eine Aufstockung der Bundeswehreinheiten ab. "Ich bin dagegen. Wir brauchen nicht mehr Militärs, wir brauchen eine zivile Offensive. Also den Aufbau von Polizei, Justiz und Wirtschaft", sagte die Parteivorsitzende Claudia Roth dem "Münchner Merkur". Sie forderte zudem "eine klare Abzugsperspektive" für die deutschen Truppen.