Grenzstadt nach dem Massaker El Paso weint, El Paso trotzt

Nach dem Anschlag auf ein Einkaufszentrum an der Grenze zu Mexiko wehrt sich die Stadt gegen politische Instrumentalisierung. Die Menschen wollen in Ruhe trauern - doch nun naht Trump.
Der Schock weicht dem Gefühl tiefer Trauer: Schüler in El Paso bei einer Mahnwache für ihren toten Klassenkameraden

Der Schock weicht dem Gefühl tiefer Trauer: Schüler in El Paso bei einer Mahnwache für ihren toten Klassenkameraden

Foto: CALLAGHAN O'HARE/ REUTERS

Der Jüngste ist 15, der Älteste 90 Jahre alt. Zwölf Männer, zehn Frauen. Dreizehn Amerikaner, sieben Mexikaner und ein Deutscher haben am Samstag in El Paso ihr Leben verloren. Bei einem weiteren Todesopfer ist die Nationalität noch unklar.

Der Walmart, in dem ein 21-Jähriger mit einem Gewehr auf Unschuldige zielte, bis er sich schließlich der Polizei ergab, ist 48 Stunden nach der Tat immer noch abgeriegelt. Erst in der Nacht auf Montag, unbemerkt von der Öffentlichkeit, wurden die Leichen der Opfer aus dem Shoppingcenter gebracht. Ihre Namen sind mittlerweile bekannt. Sie stehen auf weißen Holzkreuzen, die Trauernde auf eine Anhöhe vor dem Walmart-Parkplatz getragen haben. Der Schock der Menschen in El Paso weicht zwei Tage nach der Tat dem Gefühl tiefer Trauer.

Die Hitze eines Montags im August hält die Bewohner der texanischen Grenzstadt nicht davon ab, der Toten am Tatort zu gedenken. Familien legen Blumen nieder, Seelsorger suchen das Gespräch mit den Ankommenden, eine alte Dame lässt sich im Rollstuhl über den Asphalt Richtung Gedenkstelle schieben. In der Hand einen Schirm gegen die Sonnenstrahlen. Überall in El Paso demonstrieren die Menschen große Hilfsbereitschaft. Freiwillige verteilen Wasserflaschen, eine chinesische Fast-Food-Kette bietet kostenlos gebratene Nudeln und Glückskekse an.

Im Video: Reaktion auf El Paso und Dayton - Trumps leere Worte

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Einst war die Stadt der "Weg in den Norden"

"Die Stadt ist voller Liebe", sagt Greg Zenos über El Paso. Er ist ein Aktivist, der sich gegen Waffengewalt in Amerika einsetzt. Er mache sich "keine falsche Hoffnung, dass das Massaker von El Paso irgendetwas verändert". Er habe gar nicht erst erwartet, dass Donald Trump in seiner Ansprache schärfere Waffengesetze fordert. Was er tatsächlich auch nicht tat. Zenos sagt, ihm gehe es einfach darum, "die Herzen der Menschen nicht verhärten zu lassen." Deswegen habe er die Kreuze gebaut und weiß gestrichen. Seine Hände sind immer noch voller Farbe.

Der Walmart in El Paso ist eines der am meisten besuchten Einkaufszentren in ganz Amerika. Das Areal hat 24 Stunden am Tag geöffnet und war schon vor der schrecklichen Tat ein Ort, an dem Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten zusammenfinden. Kulturell wie auch menschlich. Es gibt kaum einen anderen Platz in El Paso, wo sich Mexikaner und Amerikaner mehr vermischten.

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El Paso: Massaker im Supermarkt

Foto: Christian Chavez/ AP

Von dort aus, wo jetzt ein Blumenmeer an die Toten erinnert, sieht man Ciudad Juarez. Der Rio Grande und eine Mauer aus Stahlplanken trennen die mexikanische Millionenstadt vom texanischen El Paso. In einer Zeit weit vor dem Nationalismus eines Donald Trump bildeten die beiden besiedelten Seiten des Flußes die Stadt "El Paso del Norte". Was so viel bedeutet wie "Weg in den Norden". Mexikanern ohne Visum ist dieser Weg schon lange durch Mauern verbaut.

Alle Wunden brechen auf

Weil es in Amerika Menschen gibt, denen Trumps Mauerbauprojekt nicht schnell genug gehen kann, baut Stephen Bannons Verein "We build The Wall" am Stadtrand von El Paso derzeit eine eigene spendenfinanzierte Mauer. Durch Geschichten über an der Grenze auseinandergerissene Immigranten-Familien und Kinder in Käfigen hat die Region um El Paso in den letzten Monaten traurige Berühmtheit erlangt. Mit dem Attentat vom vergangenen Samstag scheint es endgültig, als ob in El Paso alle Wunden, die Trump diesem Land zugefügt hat, aufbrechen.

Marc Abevta will den Präsidenten nicht sehen, wenn er, wie angekündigt, am Mittwoch El Paso besuchen wird. Der 41-Jährige ist Taxifahrer und fährt derzeit im Minutentakt Trauernde an den Gedenkort. Er zeigt auf eine weiße Inschrift aus meterhohen Buchstaben, die oberhalb der Berge hinter Ciudad Juarez zu sehen ist: "In der Bibel steht die Wahrheit. Lest sie." Der Katholizismus verbindet die Menschen auf beiden Seiten des Rio Grande.

Aber auch Tinder. Abevta hat über die Dating-App seine Frau kennengelernt. Eine Mexikanerin aus Ciudad Juarez. Im März haben sie sich auf der Brücke zwischen den beiden Nationen das Jawort gegeben. "Wir sind alle miteinander verbunden", sagt er.

Die Stadt will sich nicht durch das Blutbad definieren lassen

Tatsächlich haben in El Paso drei Viertel der Bevölkerung hispanische Wurzeln. In Behörden und Krankenhäusern sprechen die Mitarbeiter fließend Englisch und Spanisch. Auch der demokratische Bürgermeister von El Paso Dee Margo hat mexikanische Vorfahren. Er verteidigt seine Stadt gegen eine Vereinnahmung durch die nationale Politik und die Gewalt der letzten Tage: "Dieses Massaker wird El Paso nicht definieren", sagte er in einem Fernsehinterview. "Wir haben eine 350 Jahre lange Geschichte. Wir sind binational und multikulturell. Und waren das schon, als die Vereinigten Staaten von Amerika noch gar nicht existierten." El Paso sei eine der sichersten Städte Amerikas und bleibe das auch.

Die Mehrheit steht hinter seinen Worten. Am Montag strahlten selbst die digitalen Anzeigetafeln der Highways statt Staumeldungen das neue Motto der Stadt aus: "El Paso so strong."

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