Proteste in Ägypten Opposition geht auf Konfrontationskurs

Die Richter in Ägypten sind in den Streik getreten, die Opposition macht Druck: Sie verlangen von Präsident Mursi, den geschassten Chefankläger wieder einzusetzen.
Oppositionsführer ElBaradei: "Es gibt keinen Platz für Dialog"

Oppositionsführer ElBaradei: "Es gibt keinen Platz für Dialog"

Foto: STRINGER/ AFP

Kairo - Regierung und Opposition stehen sich in Ägypten immer unversöhnlicher gegenüber, das Land ist gespaltener denn je: Auf der einen Seite befindet sich Präsident und Muslimbruder Mohammed Mursi mit seinen Anhängern; auf der anderen Seite Opposition und Richter. Sie protestieren gegen Mursi und sein Dekret, mit dem er sich weitreichende Macht gesichert und über die Justiz gestellt hat.

Oppositionsführer Mohammed ElBaradei nannte die Verfassungserklärung am Samstag "diktatorisch", er verweigert jegliches Gespräch mit dem Staatschef. "Es gibt keinen Platz für Dialog, wenn ein Diktator unterdrückende und abscheuliche Maßnahmen erlässt und dann sagt, lasst uns auf der Mitte treffen", erklärte der Friedensnobelpreisträger nach Gesprächen mit anderen Oppositionellen am Samstag. Er hoffe auf einen "reibungslosen Übergang", bei dem das Land nicht in "einen Teufelskreis der Gewalt" gestürzt werde.

Der 70-Jährige gilt als einer der Führer der ägyptischen Demokratiebewegung. Er hatte bereits nach Verlesen des Mursi-Dekrets via Twitter geschrieben: "Mursi hat heute alle Macht im Staat an sich gerissen und sich selbst zum neuen Pharao Ägyptens gemacht."

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Tahrir-Platz in Kairo: Proteste gegen das System Mursi

Foto: Khaled Elfiqi/ dpa

Richterclub ruft zu landesweiten Streiks auf

Der Staatschef hatte sich und seiner Partei am Donnerstag mit seinem Dekret über mehrere Entscheidungen der Justiz hinweggesetzt. In einem Verfassungszusatz hatte er verfügt, dass von ihm "zum Schutz der Revolution getroffene Entscheidungen" rechtlich nicht mehr angefochten werden können. Auch die von den Islamisten dominierte Verfassungsversammlung soll laut einer Erklärung Mursis nicht mehr durch ein Gericht aufgelöst werden können. Außerdem entließ der Präsident Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmoud.

Die Situation in Ägypten spitzte sich am Samstag weiter zu: Der Club der ägyptischen Richter, eine einflussreiche Juristenvereinigung, rief alle Kollegen zu landesweiten Streiks auf. Alle Gerichte und Staatsanwaltschaften sollten ihre Arbeit niederlegen, erklärte die Organisation am Samstag nach einer Dringlichkeitssitzung in Kairo. Der Präsidenten müsse sein Dekret zurückzunehmen und den von ihm abgesetzten Chefankläger wieder einzusetzen.

Der Oberste Richterrat warf dem Staatschef vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu gefährden. In den Provinzen Alexandria, Damanhur und Al-Bahreia legten nach Angaben arabischer Medien zahlreiche Richter bereits ihre Arbeit nieder. Sie erklärten, sie wollten ihren Streik erst beenden, wenn Mursis Verfassungserklärung zurückgenommen werde.

Der neue Generalstaatsanwalt Talat Ibrahim Abdullah ließ keine Zweifel daran erkennen, wo er politisch steht - er geht bereits gegen Mursi-Kritiker vor.

Außer den Richtern riefen auch die Journalisten zu einem Generalstreik auf. Damit solle gegen die fehlenden Garantien der Pressefreiheit im derzeitigen Entwurf für eine neue Verfassung protestiert werden, sagten Teilnehmer am Sonntagabend nach einer Dringlichkeitssitzung der Journalistengewerkschaft. Ein Termin für die Streiks stehe aber noch nicht fest.

Am Sonntag berichtete das Staatsfernsehen, Justizminister Ahmed Mekki vermittle zwischen Vertretern der Regierung und der Justiz. Mekki berief demnach ein Treffen am Sitz des Obersten Gerichts in Kairo ein. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt. Der Minister selbst hatte zuvor signalisiert, er habe gewisse Vorbehalte gegen Mursis Dekrete. Staatliche Medien berichteten, Mursi wolle sich am Montag mit Mitgliedern des Obersten Richterrates treffen, um seine Beschlüsse mit ihnen zu diskutieren.

Tränengas auf dem Tahrir-Platz

Mursi hatte am Freitag seine Beschlüsse verteidigt und vor Anhängern vor dem Präsidentenpalast versichert, weiter für "Freiheit und Demokratie" zu arbeiten. In mehreren Städten gab es Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern Mursis. In Alexandria und Suez steckten Gegner Gebäude seiner Partei für Freiheit und Gerechtigkeit in Brand.

Kritiker werfen ihm vor, bereits jetzt mehr Macht zu haben als der im Februar 2011 gestürzte Präsident Husni Mubarak.

Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete unter Berufung auf das Gesundheitsministerium, seit Freitag seien bei den Protesten landesweit 140 Menschen verletzt worden. Der Vorsitzende der Partei der Sozialistischen Volksallianz, Abul Ess al-Hariri, sagte "Al-Ahram Online", er und seine Frau seien in Alexandria von einem Schlägertrupp der Muslimbrüder schwer misshandelt worden.

Die Polizei setzte am Samstag auf dem Tahrir-Platz Tränengas gegen eine kleine Gruppe von Demonstranten ein, die daraufhin in die Nebenstraßen flohen. Einige Oppositionelle hatten die Nacht auf der Grünfläche in der Mitte des Platzes in rund 30 Zelten verbracht, um gegen die Selbstermächtigung des Präsidenten zu protestieren.

Die Entwicklungen in Ägypten lösten international Besorgnis aus. Bundesaußenminister Guido Westerwelle rief Mursi auf, die Gewaltenteilung zu achten. Er setze darauf, dass der "Prozess hin zu einer Demokratie, zu sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe, zur Herrschaft des Rechts und zu einer Gewaltenteilung" fortgesetzt werde.

Die Muslimbruderschaft hat ihre Anhänger für diesen Sonntag zu einer Solidaritätskundgebung für Mursi aufgerufen. Die Islamisten sollen sich am Morgen auf den Plätzen der Städte und Dörfer des Landes zusammenfinden, hieß es.

heb/han/Reuters/AP/dpa
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