Europawahl 2019 EU-Parlamentarier stellen sich gegen Macron

Emmanuel Macron
Foto: TESSIER/ EPA-EFE/ REX/ ShutterstockKann das sein? Kann es sein, dass ausgerechnet der Mann, der Frankreich vor Marine Le Pen rettete - und Europa vor einer Existenzkrise - sich jetzt gegen die Spitzenkandidatenidee stellt? Im Europarlament herrscht in diesen Tagen helle Aufregung, und die Ursache dafür ist Emmanuel Macron.
Frankreichs Präsident hat bislang nicht genau zu erkennen geben, ob er hinter dem Vorhaben steht, auch bei der nächsten Europawahl wieder mit Spitzenkandidaten ins Rennen zu gehen. Zur Erinnerung: 2014 waren die großen Parteienfamilien nach deutschem Vorbild erstmals mit solchen Kandidaten ins Rennen gegangen. Martin Schulz, später SPD-Kanzlerkandidat, unterlag dabei knapp seinem Gegner von der Europäischen Volkspartei (EVP) Jean-Claude Juncker, der in der Folge zum Kommissionspräsidenten gewählt wurde.
Ob das Experiment wirklich erfolgreich war, die politische Debatte in Europa dadurch etwa befeuert und die EU den Bürgern so tatsächlich näher gebracht wurde, darüber herrscht bis heute keine Einigkeit. Die Wahlbeteiligung blieb trotz Spitzenkandidaten mau. Als ausgemacht galt aber, dass das Experiment 2019 wiederholt würde.
Zwar wollen die Staats- und Regierungschefs darüber ernst noch bei ihrem Gipfel am 23. Februar in Brüssel diskutieren, doch bislang konnte sich niemand so recht vorstellen, das System mit den Spitzenkandidaten wieder abzuräumen. Ein Parlament, das sich einmal ein Recht erkämpft habe, gebe dies nicht mehr her, sagte Schulz bereits Mitte 2016.
Entsprechend deutlich werden führende Europaparlamentarier. "Unsere Statuten sehen den Spitzenkandidaten vor", sagt der Vizechef der Europäischen Volkspartei David McAllister, ein Vertrauter von CDU-Chefin Angela Merkel. "Die EVP wird, wie seit Langem vereinbart, auf ihrem Kongress im November in Helsinki ihren Spitzenkandidaten wählen."
Unterstützung erhält McAllister von EU-Kommissar Günther Oettinger: "Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen." Er gehe davon aus, dass das den meisten Staats- und Regierungschefs klar sei. Der SPD-Europaabgeordnete und Verfassungsexperte Jo Leinen appelliert an Frankreichs Präsidenten: "Da Macron ein demokratisches und souveränes Europa fordert, setze ich darauf, dass er die Aufstellung von Spitzenkandidaten akzeptiert."
Auftritt Macron. Frankreichs Präsident hat viele Ideen vorgelegt, wie er das europäische Projekt beleben will, Spitzenkandidaten gehören nicht dazu. In Brüssel wachsen daher die Bedenken.
Mit gutem Grund, denn Macron hat beim Spitzenkandidatenprozess nichts zu gewinnen. Da Frankeichs Präsident mit seiner "En Marche"-Bewegung bislang keiner der etablierten Parteienfamilien in Europa beigetreten ist, sitzt er bei der Auswahl des Kandidaten nicht mit am Tisch. Das kann sich ändern, doch dann müsste Marcon wohl der EVP beitreten, der auch CDU und CSU aus Deutschland angehören, und die, glaubt man Umfragen von heute, die Wahl ziemlich klar gewinnen dürfte.
Die Sache mit den Listen
Macron allerdings hat andere Pläne. Eigentlich will er das europäische Parteienspektrum genauso durcheinanderwirbeln wie das in Frankreich, daher hatte er transnationale Listen ins Spiel gebracht. Hier hätten die Wähler für Kandidaten aus verschiedenen Ländern stimmen können. Derzeit können nur Personen und Parteien aus dem eigenen Land gewählt werden.
Doch für so eine tiefgreifende Reform des Wahlrechts fehlen Zeit und Mehrheiten, jedenfalls bis zur Wahl 2019. Zuletzt scheiterte im Europaparlament der Vorstoß, wenigstens einen Teil der durch den Brexit wegfallenden Sitze in eine derartige transnationale Liste zu stecken.
Wenn er also mitreden will bei der Frage, wer der nächste Kommissionspräsident wird, bleibt ausgerechnet Macron nur der Weg in das Gremium, wo der Posten vor der Spitzenkandidatensache schon immer ausgekungelt wurde - der Europäische Rat.
Der Rat ist in der Tat der Hort des Widerstands gegen die Spitzenkandidaten, denn mit diesem Vorgehen hat das Parlament den Staats- und Regierungschefs ein Stück ihrer Macht entrissen. Die Parlamentarier berufen sich dabei auf den EU-Vertrag. Allerdings steht darin nur, dass der Rat bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten die Ergebnisse der Europawahl berücksichtigen soll. Diesen muss das Parlament dann bestätigen.
Osteuropäer lehnen die Idee ab
Bereits vor zwei Jahren hatten die Niederländer in ihrer Zeit als Ratspräsidenten eine Umfrage unter den EU-Ländern gestartet, ob man das Experiment wiederholen solle. Die Reaktionen fielen eher mau aus. Zwischenzeitlich ist der Widerstand eher gewachsen. Osteuropäische Länder wie Ungarn oder Tschechien haben schon mal hinterlegt, dass sie die Spitzenkandidatensache für eine Angelegenheit der großen Länder halten, und sie daher ablehnen. Am Freitag will Ratspräsident Donald Tusk bei Macron in Paris nachhören, wie eine Lösung aussehen könnte.
Auch die deutsche Kanzlerin gilt nicht als Anhängerin des Spitzenkandidatenmodus. 2014 wurde Merkel von dem Prozess überrollt. Ihr Widerstand dagegen, Wahlsieger Juncker zum Kommissionschef zu küren, führte am Ende zu nichts. An Merkels Zweifeln, so ist zu hören, habe sich in den vergangenen Jahren allerdings nur wenig geändert. Dazu kommt, dass mit Schulz nun der größte Fan der Spitzenkandidatenidee doch nicht der Bundesregierung angehört. Eine entsprechende Anfrage des SPIEGEL bezüglich Merkels Absichten ließ ihr Sprecher unbeantwortet.