
Eurochinesische Partnerschaft Eine revolutionäre Frechheit


Xi Jinping, Emmanuel Macron und Angela Merkel in Paris
Foto: Ludovic Marin/ AFPVorgesehen war das Übliche, ein Staatsbesuch wie viele, der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping zu Gast in Frankreich, mit Fünf-Sterne-Menü am Mittelmeer und Kranzniederlegung vor dem Pariser Triumphbogen. Doch Emmanuel Macron glaubt nicht ans Eingemachte. Wo er eingreift, will er Spielregeln und Inhalte verändern - nicht um unser heutiges politisches und wirtschaftliches System umzukrempeln, sondern um es zu bewahren.
Der weltpolitisch bislang einmalige Auftritt Macrons an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Xi Jinping im Pariser Élysée-Palast passte genau in diese Strategie. Es sollte aussehen, als ständen dort die Mächtigsten der Welt - unter bewusster Weglassung der Egoisten Trump und Putin. Es sollte aussehen, als gäben sich alle Anwesenden, sogar die sonst so pragmatische Kanzlerin, alle Mühe, allen Glauben zu machen, sie hätten einen gemeinsamen Plan für die ganze Welt. Das klappte erstaunlicherweise für den Anfang ganz gut. Macron, Merkel, Juncker und Xi nannten ihr Ansinnen "Erhalt des Multilateralismus" und gründeten es auf einer neuen "eurochinesischen Partnerschaft". So wie früher der Liberalismus auf der atlantischen Partnerschaft ruhte. Der Anspruch: ein Weltprojekt, aber ohne die alten Großmächte USA und Russland.
Eine französische, revolutionäre Frechheit? Genau das. Doch Deutschland und China, die zweit- und die viertgrößte Volkswirtschaft, die beiden größten Exportnationen der Welt, sind derzeit die eher vorsichtigen Akteure im großen globalen Geschehen. Mit gutem Grund: Sie sind die größten Gewinner seit der Finanzkrise 2008, ihre Überschüsse beweisen es jedes Jahr. Berlin und Peking wollen am wenigsten, dass sich etwas ändert. Aber auch sie sehen ein, dass Macron recht hat. Dass sich sehr viel ändern muss, damit sie wie bisher weitermachen können. Sonst hätten sich Merkel und Xi dem frechen Franzosen nicht angeschlossen.
Zwei Aufgaben hat sich die neue euro-chinesische Allianz gestellt: den Klimaschutz und den Aufbau Afrikas. Noch ist China der größte Klimasünder der Welt. Aber Xi hat sich in Paris verpflichtet, bis zum nächsten Jahr Chinas Emissionsziele bis 2050 festzulegen. Frankreich hat es schon jetzt getan: Bis 2050 will das Land CO2-neutral sein. Die Kohleländer Deutschland und China werden versuchen zu folgen. Denn sie teilen Macrons Einschätzung: "Der Klimaschutz ist das strukturierende Element des Multilateralismus im 21. Jahrhundert." Mit anderen Worten: Am Klimaschutz misst sich Erfolg und Misserfolg des alten Systems. Früher war dieser Gradmesser allein das Wirtschaftswachstum.
"In Afrika sind China und Europa keine strategischen Rivalen"
Die zweite Aufgabe soll nach vorn in die Zukunft weisen und das unerschöpfte Wachstumspotenzial des alten Systems aufzeigen. "In Afrika sind China und Europa keine strategischen Rivalen", sagte Macron, und Merkel pflichtete ihm bei, indem sie Chinas Erfahrung bei der Armutsbekämpfung lobte und die Zusammenarbeit Chinas und Europas in Afrika zur neuen Herausforderung des Multilateralismus erklärte. Die Kehrtwende war unerhört: Jahrelang hatten die Regierungen in Paris und Berlin chinesische Investitionen in Afrika als neue Form des Kolonialismus und der Rohstoffausbeutung abgetan. Jetzt wollen sie mit China in Afrika beweisen, dass das alte System für alle funktioniert.
Natürlich muss man daran zweifeln. Es gibt das schöne Beispiel Mali, wo Franzosen, Deutsche und Chinesen heute tatsächlich Hand in Hand für die Sicherheit des Landes arbeiten. Aber ansonsten gehen sich Chinesen und Europäer in Afrika bisher aus dem Weg. Auch beim Klimaschutz ist noch nichts erreicht. Alle emittieren immer mehr CO2. Der Rest sind Absichtserklärungen. Das gilt genauso für das Wort der Partnerschaft zwischen China und Europa. Bisher macht China in Europa, was es will: baut Autobahnen über den Balkan und G5-Netze in Monaco. Erst seit Kurzem versucht Brüssel mit einer gemeinsamen europäischen Strategie, die chinesischen Investitionen zu lenken. Doch Peking muss erst noch mitspielen und vergleichbare Bedingungen für europäische Investoren in China schaffen. Das sind die unerledigten Hausaufgaben der neuen Allianz.
Trotzdem darf erlaubt sein, so groß zu denken, wie Macron es regelmäßig tut. Das wirkt dann nicht nur frech, sondern oft auch anmaßend und arrogant, über die Köpfe aller Erdbürger hinweg. Doch wer tut es sonst? Und wer macht daraus konkrete Politik, indem er einem langweiligen Staatsbesuch eine unverhoffte "historische Dimension" ("Le Monde") gibt?
Im Grunde geschieht ja viel zu wenig als Antwort auf den neuen Unilateralismus der USA. Als Antwort auf den Klimawandel und die Verelendung Afrikas. Macron aber gelingt es immerhin, die Hoffnung zu säen, dass mehr möglich ist. Und zwar nicht nur gegen die Regierungen dieser Welt.