

Mailand - Strafe für die Entführung von Abu Omar: Richter Oscar Magi verurteilte in Mailand 22 Angeklagte zu fünf Jahren Gefängnis, weil sie den muslimischen Geistlichen am 17. Februar 2003 im Auftrag des US-Geheimdienstes CIA verschleppten. Ein weiterer Angeklagter muss für acht Jahre in Haft. Drei Amerikaner wurden mit Verweis auf diplomatische Immunität freigesprochen.
Die Amerikaner wurden alle in Abwesenheit verurteilt und gelten für die Justiz als flüchtig. Italienische Regierungen lehnten es in den vergangenen Jahren ab, ihre Auslieferung zu beantragen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich bis auf einen bei allen um CIA-Agenten.
Der radikale Geistliche Osama Mustafa Hassan Nasr alias Abu Omar wurde am 17. Februar 2003 auf offener Straße in Mailand aufgegriffen und soll über den US-Fliegerhorst Ramstein nach Ägypten verschleppt worden sein. Abu Omar gab später an, er sei während der Gefangenschaft gefoltert worden. So sei er mit Elektroschocks gequält und tagelang aufgehängt worden.
Der radikale Prediger hatte in der Mailänder Islamisten-Szene gegen die USA gehetzt und selbst in Afghanistan gekämpft. Er soll zudem junge Dschihad-Rekruten angeheuert und an den Hindukusch geschickt haben.
Die Aktion entwickelte sich zum Desaster für den US-Geheimdienst. Auf eine Verurteilung durch italienische Gerichte wollten die Agenten offenbar nicht warten. Deshalb versuchten sie, den terrorverdächtigen Imam möglichst lautlos aus dem Verkehr zu ziehen. Mit einem der berüchtigten CIA-Learjets flogen sie ihn nach Kairo, zurück in seine alte Heimat. Die Aktion des US-Geheimdienstes ließ sich ausführlich dokumentieren: Pässe der Agenten, ihre Telefonate und horrende Spesenquittungen, all das fand ein Mailänder Staatsanwalt - und erhob Anklage gegen die Entführer.
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Ein Gericht in Mailand befand am 4. November 2009 23 US-Bürger der Entführung des muslimischen Geistlichen Abu Omar für schuldig. Auf dem Bild aus dem Jahr 2007 zeigt Abu Omar eine Narbe auf seinem Arm. Die Amerikaner sollen den gebürtigen Ägypter 2003 auf offener Straße in Mailand überwältigt und in einen Lieferwagen gestoßen haben.
Anschließend wurde er über den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland nach Ägypten ausgeflogen und dort monatelang in einem CIA-Geheimgefängnis festgehalten - ohne Anklage, ohne Anwalt.
Abu Omar auf einem Bild mit seiner verschleierten Frau Nabila. Der Geistliche gab später an, während der Gefangenschaft gefoltert worden zu sein. Gegenüber SPIEGEL ONLINE schilderte er seine Erlebnisse: Seine Peiniger hätten Elektroden an seine Genitalien angeschlossen, ihn mit lauter Musik fast in den Wahnsinn getrieben, ihn tagelang an den Armen aufgehängt.
Ein undatiertes Archivfoto von Abu Omar. Ein Pazifist war der Imam nicht: Jahrelang hatte er in der Mailänder Islamisten-Szene gegen die USA gehetzt, selbst in Afghanistan gekämpft. Für die CIA war er eine Zielperson, auf den Rechtsstaat wollten die amerikanischen Terrorjäger nicht warten. Männer wie ihn wollten sie rasch und möglichst lautlos aus dem Verkehr ziehen.
Selten zuvor ist eine verdeckte CIA-Operation so minutiös rekonstruiert worden wie bei dem Mailänder Prozess: Allein für den ersten Teil seines Plädoyers Anfang Oktober benötigte der Staatsanwalt Armando Spataro sieben Stunden. Fünf Jahre lang hat er in dem Fall Puzzleteilchen an Puzzleteilchen gefügt. Zu Beginn der Ermittlungen hatte er nur eine Liste mit mehr als 10.000 verschiedenen Handy-Verbindungen, schließlich konnte er 26 Personen wegen des Entführung anklagen.
Das Urteil ist das erste im Zusammenhang mit dem geheimen CIA-Programm zur außerordentlichen Überstellung von Terroverdächtigen ("secret renditions").
Robert Lady war der verantwortliche CIA-Mann in Mailand - hier ein Bild seines Hauses in Penango, Piemonte. Lady lehnte die unrechtmäßige Entführung des Islamisten wohl ab, koordinierte sie aber trotzdem. Er sei unschuldig, hatte Lady noch im Juni dieses Jahres beteuert. Die Entführung von Abu Omar sei eine Staatsangelegenheit gewesen - "entschieden und ausgeführt im Namen des Kriegs gegen den Terror. Ich war nur ein Soldat in diesem Krieg".
Nach zwei Jahren des Prozesses fällte Richter Oscar Magi das Urteil: Mit dem verhängten Strafmaß blieb er weit hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück. 22 Angeklagte wurden zu Gefängnisstrafen von je fünf Jahren verurteilt - die Staatsanwaltschaft hatte bis zu 13 Jahren gefordert. Drei Amerikaner und sieben italienische Agenten wurden freigesprochen.
In Mailand ging es nicht nur um die gezielte Entführung eines Terrorverdächtigen ohne richterliche Anordnung, sondern immer auch um die politische Unabhängigkeit der italienischen Justiz. "Dieser Prozess wird auch zeigen", hatte Staatsanwalt Armando Spataro vor dem Urteil gesagt, "ob die politische Macht in Italien inzwischen in der Lage ist, unabhängige Ermittlungen zu beeinflussen. Und ob ein Staatsanwalt eine Straftat noch immer als solche verfolgen darf."
Staatsanwalt Spataro hat in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen, welche Folgen so viel Ausdauer haben kann: Er wurde abgehört, der italienische Geheimdienst ließ ihn beobachten, es gab sogar Ermittlungen wegen Geheimnisverrats gegen ihn.
Bei dem Prozess sagte auch Abu Omars Ehefrau, Nabila Ghali, vor Gericht aus. Auf dem Bild verlässt sie im Mai 2008 das Gerichtsgebäude in Mailand.
"Gerechtigkeit für Abu Omar" steht auf einem Poster vor dem Mailänder Gericht.