Entscheidung in der Schweiz Erdogan sieht Minarettvotum als Zeichen von Faschismus

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit", "klar diskriminierend": Das Schweizer Votum gegen den Neubau von Minaretten hat international einen Proteststurm entfacht. Der türkische Ministerpräsident wütet gegen eine "faschistische Haltung" in Europa. Die Eidgenossen fürchten um ihre Sicherheit.
Anti-Minarett-Plakat in der Schweiz: Die Initiatoren bedanken sich bei den Wählern

Anti-Minarett-Plakat in der Schweiz: Die Initiatoren bedanken sich bei den Wählern

Foto: URS FLUEELER/ AP

Recep Tayyip Erdogan

Istanbul - Der türkische Ministerpräsident will das Votum der Schweizer Bürger nicht hinnehmen. Er forderte am Dienstag vor der Parlamentsfraktion seiner Regierungspartei AKP in Ankara, dass die Entscheidung zum Minarettverbot korrigiert werden müsse. Laut dem TV-Sender Kanal 7 erhob er drastische Vorwürfe: Das Neubauverbot sei ein Zeichen einer "zunehmenden rassistischen und faschistischen Haltung in Europa". Islamophobie sei wie Antisemitismus ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagte Erdogan .

Abdullah Gül

Auch Staatspräsident kritisierte den Ausgang der Volksabstimmung in der Schweiz vom Sonntag, bei der sich die Mehrheit der Wähler gegen den Neubau von Minaretten ausgesprochen hatte. Die Entscheidung sei eine "Schande" für die Schweizer und zeige, wie weit die Islamfeindlichkeit in der westlichen Welt vorangeschritten sei. Das Außenministerium erklärte, die mehr als 100.000 in der Schweiz lebenden türkischen Staatsbürger seien wegen des Ausgangs des Referendums besorgt. Es handele es um eine "den menschlichen Grundwerten und Grundfreiheiten widersprechende und unglückliche Entscheidung".

Auch die Uno-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay bezeichnete das Ergebnis des Referendums vom Sonntag als "klar diskriminierend". Schuld sei eine "fremdenfeindliche Panikmache", das Verbot spalte die Gesellschaft.

Schweiz

Der schwedische Außenminister und amtierende EU-Ratspräsident Carl Bildt erwartet nun, dass Uno-Aktivitäten in der in Frage gestellt werden könnten. Auf seinem Internetblog schrieb er am Dienstag: "Es können innerhalb der Vereinten Nationen sehr wohl Fragen zu Treffen und anderen Aktivitäten ausgerechnet in der Schweiz gestellt werden."

Sorgen in der Schweiz

Die Volksabstimmung gefährdet laut der Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey die Sicherheit ihres Landes. Während des Außenministertreffens der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Athen, sagte Calmy-Rey, "jeder Angriff auf die Koexistenz verschiedener Kulturen und Religionen gefährdet auch unsere Sicherheit". Es bestehe die Gefahr, dass "die Provokation andere Provokationen" nach sich ziehe und "Extremismus" schüre.

Die Ministerin äußerte sich betroffen über das Ja zur Minarettinitiative der Rechtspopulisten und beklagte, dass dadurch die "Freiheit zur Ausübung der muslimischen Religion in der Öffentlichkeit eingeschränkt" werde. Es werde womöglich Sache des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sein, eine Entscheidung in dieser Frage zu treffen. Im Übrigen ändere das Ergebnis des Volksentscheids nichts an Berns Außenpolitik. Die Schweiz werde auch weiterhin enge Beziehungen zu allen muslimischen Staaten unterhalten.

Schon lange vor der Abstimmung hatte das Schweizer Außenministerium die arabischen Länder darüber unterrichtet - mit dem Hinweis, dass das Minarettverbot wohl keine Chance habe. So hätte man es gerne gehabt. Nachdem die Schweiz nun als einziges Land in Europa neue Minarette verbietet, ist die Politik in Erklärungsnot. Jetzt soll zumindest verhindert werden, dass das Bauverbot als Angriff auf den Islam und die Muslime insgesamt wahrgenommen wird.

Ägypter befürchten zunehmende Diskriminierung der Muslime

In Ägypten hält sich das Entsetzen über die Schweizer Entscheidung noch in Grenzen. Zwar sprach Ali Gum'a, Mufti Ägyptens und damit ranghöchster Islamgelehrter, von einem "Schreck einflössenden Vorgang". Er sah darin einen Angriff auf die Glaubensfreiheit und einen Versuch, die Gefühle der "islamischen Gemeinschaft innerhalb und außerhalb der Schweiz" zu verletzen. Der als gemäßigt geltende hohe Regierungsbeamte, dessen religiöse Gutachten (Fatawi, Plural von Fatwa) für gläubige Muslime in Ägypten bindend sind, befürchtet zunehmende Diskriminierung der Muslime. Er forderte seine Glaubensbrüder in der Schweiz auf, sich auf rechtlichem und verfassungspolitischem Wege zu bemühen, das Bauverbot für islamische Gebetstürme rückgängig zu machen.

Muhammad Mahdi Akif, Führer der in Ägypten und in der sunnitisch islamischen Welt einflussreichen Muslimbruderschaft, forderte von den verantwortlichen Instanzen in der Schweiz alles daranzusetzen, um eine "Hasswelle" gegen den Islam zu verhindern und das umstrittene Volksbegehren im Lichte des Toleranzgebotes zu überdenken.

Abdul Mu'ti Bajumi, wortgewaltiges Mitglied des Islamischen Forschungsinstituts in Kairo, fühlte sich "überrumpelt" und befürchtet, dass die antiislamischen Hetzkampagnen die Völker Europas weiterhin aufpeitschen könnten. Die Muslime sollten daher ihre Reaktionen zunächst auf der Basis des kühlen Verstandes abstimmen, um die Situation zu begegnen "Lasst uns die zuständigen internationalen Organisationen auffordern, die zur Verfügung stehenden juristischen Maßnahmen auszuschöpfen, um den Fall aus der Welt zu schaffen."

Professor Mohamed Said von der Kairo Universität ermahnte seine Studenten sogar, nicht jede unwillkommene Initiative als gezielte Aggression hoch zu stilisieren. Der Islamgelehrte bat um Verständnis für die offenbar verunsicherten Schweizer Bürger. "Das Beharren auf der Errichtung von Minaretten wird sich langsam wieder geben und berührt nur die äußere Erscheinungsform von Moscheen, keineswegs aber Inhalt und Aussage des Islam." Die Schweizer Moslems wären gut beraten, keine Gerichtsverfahren anzustrengen. Im übrigen sollte der Bau von Kirchen und Moscheen weltweit auf gleicher Basis erfolgen.

Der koptische Essayist Gamal Ass'ad war in seinem Urteil über die helvetische Abstimmung härter als seine islamischen Kollegen. Der ägyptische Christ warf den Schweizern vor, ins Mittelalter zurückgefallen zu sein.

ler/AFP, Mitarbeit: Volkhard Windfuhr
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