Kampf gegen Fluchtursachen EU plant, sich mal einig zu sein

Flüchtlinge in Afghanistan
Foto: Hedayatullah Amid/ dpaDie EU will ihre Entwicklungspolitik neu ordnen - das haben die zuständigen EU-Minister am Donnerstagabend in Brüssel beschlossen. Dazu habe man entschieden, auch "weniger traditionelle Aspekte mit einzuschließen, wie etwa Migration und Sicherheit", sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Voraussichtlich im November werde die EU-Kommission dann einen Vorschlag für einen neuen "Europäischen Konsens" für Entwicklung präsentieren.
Bereits 2005 unternahm die EU mit einem Entwicklungskonsens den Versuch, ihre Entwicklungshilfe-Bemühungen - die immerhin 55 Prozent des weltweiten Volumens ausmachen - besser zu koordinieren. Denn auf die großen Migrationswellen der vergangenen Jahre hatten sie offensichtlich nur begrenzten Einfluss. Stattdessen musste die EU erkennen, dass sie mit dem Ansturm Hunderttausender Flüchtlinge hoffnungslos überfordert ist.
Die naheliegende Lösung wäre, die Ursachen von Fluchtwellen zu bekämpfen und sie so erst gar nicht entstehen zu lassen - das betonen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und diverse andere EU-Spitzenpolitiker seit Monaten.
Zusammenführung von nicht weniger als neun Politikbereichen
Der neue Entwicklungskonsens soll das nun ermöglichen. Doch um instabile Länder zu stabilisieren, müssten die 28 EU-Staaten ihr politisches Handeln umfassend abstimmen - und das gleich in mehreren Bereichen. Ein EU-Diplomat zählte vor dem Ministertreffen nicht weniger als neun Felder auf: die Außen-, Sicherheits-, Handels-, Entwicklungs-, Wirtschafts-, Migrations-, Umwelt- und Klimapolitik sowie die Ernährungssicherung. Sie kohärent miteinander zu verbinden, sei "entscheidend" und die "Hauptaufgabe" in den kommenden Monaten, heißt es aus deutschen Regierungskreisen.
Doch bisher schaffen es viele EU-Staaten nicht einmal, diese Bereiche für sich selbst zu koordinieren. Für eine Vereinheitlichung auf europäischer Ebene müssten die Staaten zudem bereit sein, Teile ihrer Souveränität an die EU abzutreten - darunter in Bereichen, die zu den Heiligtümern nationaler Souveränität gehören.
Mogherini gab sich nach dem Ministertreffen verblüffend optimistisch. Das koordinierte Zusammenspiel der außenpolitischen Felder auf EU-Ebene sei "leichter als andere Übungen in meinem Job", und zwar aus einem einfachen Grund: "Wir können die Herausforderungen unserer Zeit nur bewältigen, wenn wir unsere Kräfte bündeln." Und man sei "an einem Punkt der europäischen Geschichte angekommen, an dem die Staaten das sehr gut verstehen".
EU-Frust in den Mitgliedsstaaten
Das bisherige Verhalten der meisten EU-Staaten, etwa in der Flüchtlingskrise, legt jedoch eher das Gegenteil nahe: Diverse Regierungen pochen derzeit lieber auf ihre Souveränität, als Teile davon abzugeben. Forderungen etwa nach einem EU-Finanzministerium oder einer Verteidigungsgemeinschaft verpuffen seit Jahren. Auch große Teile der Bevölkerungen scheinen derzeit nicht besonders EU-freundlich eingestellt zu sein. Kürzlich gaben bei einer Umfrage des Instituts Ipsos Mori 45 Prozent von 6000 befragten Europäern an, Referenden über den Verbleib ihrer Länder in der EU abhalten zu wollen - so wie es die Briten am 23. Juni tun.
Mit welchen konkreten Schritten man der EU ein außenpolitisches Handeln aus einem Guss geben könnte, verriet Mogherini nicht. Stattdessen erklärte sie, dass die Abgabe von Souveränität für die EU-Staaten in Wahrheit einen Zugewinn an Souveränität bedeute. Denn man lebe "in einer Welt, in der einzelne Staaten die Macht ganzer Kontinente haben - wie Indien, China und die USA".
Allerdings räumte auch Mogherini ein, dass die Entscheidungen vom Donnerstag nur "der Kern für die mittel- und langfristige Arbeit" sei. Um die Migrationsproblematik kurzfristig anzugehen, muss die EU andere Lösungen finden. Wie die aussehen könnten, zeigt der Deal mit der Türkei: Sie soll Migranten von der Einreise in die EU abhalten, sie mit EU-Geld im eigenen Land besser versorgen und zugleich weitere Belohnungen erhalten, etwa die umstrittene Visafreiheit bei Reisen türkischer Bürger in die EU.
Dieser Ansatz gilt inzwischen als Blaupause für ähnliche Deals mit anderen Ländern, vor allem in Afrika. Dortige Staaten könnten, anders als die Türkei, auch EU-Gelder zur eigenen Verwendung erhalten. Denn Entwicklungshilfemittel können nicht nur die Lage der Menschen in armen Ländern verbessern und sie so von der Auswanderung abhalten, was Mogherini eine "Win-win-Situation" nennt. Sie können auch als Anreiz eingesetzt werden, dass arme Staaten ihre illegal in die EU eingewanderten Bürger wieder aufnehmen. Dieser Ansatz, heißt es in Brüssel, werde von einer großen Mehrheit der Mitgliedstaaten befürwortet.
Zusammengefasst: Die EU will ihre Entwicklungspolitik neu ordnen, um instabile Länder zu stabilisieren und Fluchtursachen zu bekämpfen. Dafür sollen die nach außen gerichteten Politikfelder der Mitgliedstaaten koordiniert werden. Wie genau das gelingen soll, ist derzeit aber unklar - und die Widerstände dürften groß sein.