Erste Pressekonferenz Obama gibt den Bürger-Präsidenten
Der Teppich leuchtet in sattem Rot, das präsidiale Wappen ist millimetergenau zurechtgerückt. Der East Room des Weißen Hauses strahlt im satten Scheinwerferlicht. Alle Insignien der Macht sind da, alles klappt schon wie am Schnürchen im neuen Weißen Haus. Nur Barack Obama wirkt, als ob er alles sein wolle an diesem Abend, bloß kein Präsident, dem Washington schon nah geworden ist und die Probleme des Landes fern.
"No, no, no", unterbricht er hastig eine Reporterin, die ihn fragt, ob er nicht vielleicht zu düster über die Wirtschaftslage rede. "Das ist nicht einfach eine gewöhnliche Rezession." Genau darum habe sich doch diese Präsidentschaftswahl gedreht. Obama schaut, als ob die Journalistin das als einzige im ganzen Land noch nicht begriffen hätte.
Vor dem Präsidenten sitzt die Elite des US-Journalismus, das White House Press Corps - der Inbegriff des Washingtoner Medienestablishments. Zum ersten Mal stellt sich Obama ihnen zur besten TV-Sendezeit. Vorgänger George W. Bush hat diese Duelle gehasst, er hat die Reporter mit Spitznamen belegt. Obama spricht sie höflich mit ihren Namen an - aber auch er redet über sie hinweg.
Er redet zu den Menschen draußen im Land, die an den Fernsehschirmen das Spektakel verfolgen. Acht Minuten lang spricht Obama zu Beginn der Pressekonferenz: Vom Örtchen Elkhart in Indiana, das er am Morgen für eine Bürgersprechstunde besucht hat. Dort ist die Arbeitslosigkeit rasanter gestiegen als irgendwo sonst in den USA. Von den Feuerwehrleuten in Miami, die um ihre Jobs bangen. Von den neuen, desaströsen Arbeitslosenzahlen. "Wer auch immer sagt, es handele sich nicht um eine absolute Krise, soll mit den Millionen Menschen sprechen, deren Leben völlig auf den Kopf gestellt wurde. Weil sie nicht mehr wissen, wo der nächste Lohnscheck herkommt."
An der Stelle würde sich Applaus gut machen. Doch die Reporter klatschen natürlich nicht.
Am Mittag, in Indiana, ist das noch ganz anders. "Es ist kein perfektes Gesetz", sagt der Präsident da über sein Konjunkturpaket. "Es kommt aus Washington, es musste durch den Kongress." Die Leute lachen, und Obama ruft: "Wir können uns nicht aufplustern und streiten und auf dieselben falschen Ideen vertrauen, die uns erst in die Krise geführt haben." Da donnert der Beifall. Es ist fast wieder wie im Wahlkampf.
An diesem Dienstag wird er einen ähnlichen Auftritt in Fort Myers, Florida, absolvieren - wo Hausbesitzer reihenweise die Hypotheken nicht mehr bezahlen können. Am Donnerstag wird er in Peoria, Illinois, erwartet. Dort hat Baumaschinen-Hersteller Caterpillar gerade 20.000 Menschen gefeuert.
Die Berater des Präsidenten wollen nach zwei Wochen Dauerzoff um das Finanz-Rettungspaket Obama wieder Obama sein lassen - den Kämpfer für Wandel in Washington. Und am besten kann er das nun einmal fernab der Hauptstadt.
"Schlechte Angewohnheiten" in Washington
In Washington hat sich Obama mit seiner Botschaft von Versöhnung und Wandel bisher weit schwerer getan hat als erwartet; erst kurz vor der Pressekonferenz im Weißen Haus hat der US-Senat am Montagabend das Konjunkturpaket endlich auf den Weg gebracht. Nach zähen Verhandlungen und vielen Änderungen, und die endgültige Einigung mit dem Repräsentantenhaus steht immer noch aus. Die Republikaner haben es aussehen lassen, als seien die Demokraten einfach verrückt aufs Geldgeben.
"Ich kann Ihnen nicht sicher versprechen, dass alles in diesem Plan genauso ausgehen wird wie gehofft", sagt der Präsident im East Room. "Aber ich kann Ihnen ganz sicher sagen, dass die Krise schlimmer wird, wenn wir nicht handeln." So höre ich es draußen im Land, scheint er mitzusagen.
Doch die Journalisten interessieren sich eher für die ersten Probleme des Präsidenten Obama - und die verorten sie in Washington. Ob er unterschätzt habe, wie schwer die ideologischen Gräben der Hauptstadt zuzuschütten seien, lautet die scheinbar besorgte Frage. Ob er sich von dem Ziel etwa schon verabschiede?
Obama erwidert mit fester Stimme: "Es gibt ein paar schlechte Angewohnheiten hier. Aber im Moment kann ich es mir nicht leisten, die politischen Spielchen im Kongress zuzulassen. Der Druck, Arbeitsplätze schaffen zu müssen, ist zu groß." Er liefert konkrete Ziele, an denen er gemessen werden dürfte: Vier Millionen neue Jobs soll sein Multimilliarden-Paket schaffen oder zumindest bewahren und die Konjunktur ankurbeln. Die Finanzmärkte sollen wieder funktionieren, die Wirtschaft endlich wachsen.
"Wir müssen uns den Umständen anpassen"
Einmal bricht er doch aus dem Präsidenten heraus, der Frust über die Sticheleien der Opposition gegen das Konjunkturpaket: Warum solle man nicht in die Zukunft investieren und Häuser energieeffizienter machen? Wie könne das denn rausgeschmissenes Geld sein? Was für eine "philosophische Grundhaltung" stehe dahinter? Wolle man, dass die Regierung gar nichts tut - oder dass sie handelt? Und schließlich: "Es war bestimmt nicht meine Idee, meine Regierung mit 800-Milliarden-Dollar-Ausgaben zu beginnen. Aber wir müssen uns den Umständen anpassen."
Es wird eine sehr lange, eine kämpferische Antwort - ungewöhnlich für die Pressekonferenz, die eher auf Soundbites angelegt ist, kurze, knackige Sätze für die Nachrichten. Zu verkopft und ausführlich, mäkeln manche Beobachter später. Kämpferisch und überzeugend, urteilen andere.
Wahrscheinlich interessiert das Obamas Kommunikationsberater gar nicht. Sie denken an die Zuschauer draußen im Lande.
Obama verteidigt diese Leute in seinen Antworten immer wieder - zum Beispiel als ein Reporter suggeriert, zu viele Kredite für Konsumenten hätten zur Finanzkrise geführt. Der Präsident fragt zurück, ob nicht eher die Banken absurde Risiken eingegangen seien.
So positioniert sich der Bürgerpräsident gegen die Washingtoner Elite. Es ist, als wolle er seinen Wahlkampf nicht beenden.
Die Strategie ist nicht ohne Risiken: Demokrat Jimmy Carter versuchte in den siebziger Jahren Ähnliches. Doch nach ersten Misserfolgen galt er rasch als naiver Erdnussfarmer aus Georgia.
Noch strahlt Obamas Stern hell. Die Zustimmungswerte in Umfragen sind weiter in schwindelnden Höhen.
Als die 13. und letzte Frage sich wieder um die Überparteilichkeit in Washington dreht, um "ideologische Blockaden", ist Obama wieder Obama. Er spricht noch mal von den Menschen draußen im Lande, er sagt: "Ich bin ein ewiger Optimist."
Er weiß: Schon morgen reist er wieder in die wahre Welt, raus aus Washington.