
39 Tote im Lkw Das Grauen von Grays
- • 39 Tote in Lastwagen: Was über den Leichenfund von Essex bekannt ist
- • 39 Leichen in Container: Wie der Lkw nach Essex kam
Es war halb zwei am Morgen, als John Kaley die ersten Krankenwagen vorbeirasen sah. Dann Polizeiautos. Dann die Feuerwehr. "Was ist da los?", fragte sich Kaley. "Wurde jemand umgebracht?"
Er arbeitet in einer Imbissbude: ein alter Doppeldeckerbus, abgestellt in einem Industriegebiet in dem Ort Grays östlich von London. Kaley serviert hier Burger für sieben Pfund das Stück und frittiertes Huhn. Seine Kunden sind vor allem Lastwagenfahrer, die in Grays Rast machen.
Normalerweise, sagt Kaley, sei die Gegend ruhig. Es gebe kaum Verkehr, außer Nachtschwärmern und hungrigen Fahrern auf Zwischenstopp komme niemand vorbei. Doch in der Nacht zum Mittwoch wimmelte es in der Gegend plötzlich von Polizei. Kaley war neugierig: Er verließ seinen Foodtruck und ging nachsehen, wohin die Autos fuhren. Doch die Gegend war weiträumig abgesperrt. "Ich dachte, vielleicht haben sich Lastwagenfahrer gestritten und einer wurde umgebracht", sagt Kaley.
Kaley erfuhr erst am nächsten Morgen aus den Nachrichten, was tatsächlich geschehen war. Kurz hinter seinem Foodtruck - dort, wo die Polizei das Gebiet abgeriegelt hatte - wurde ein Lastwagen abgestellt. Seine Fracht: 39 tote Menschen. ei den Toten handelt es sich der Polizei zufolge um 31 Männer und acht Frauen. Zunächst hieß es, dass unter den Toten auch ein Teenager sei. Nun teilte das chinesische Außenministerium mit, dass eine junge Frau zuvor irrtümlich für einen Teenager gehalten worden war.
Noch ist wenig über die Hintergründe bekannt: Die Behörden wissen weder, wer die Toten waren, noch wohin der Lastwagen fuhr. Nur, dass er etwa um 1:30 Uhr in das Industriegebiet einbog. Kurz darauf wurden Rettungskräfte an den Ort gerufen. Von wem, ist nicht bekannt.
Die britische Polizei bestätigte am Donnerstag, dass die Toten aus China stammen. Zuvor hatten mehrere Medien dies übereinstimmend berichtet. Nach Polizeiangaben waren 31 der Toten Männer, die übrigen acht waren Frauen.
Von Zeebrugge in Belgien nach England
Die Gegend des Waterglade Industrial Park in Grays, erzählen Lastwagenfahrer, sei ein beliebter Platz zum Übernachten. Er liegt unweit des Hafens, auf einer Route nach Norden. Nach ersten Erkenntnissen stammt der Container, in dem die Menschen eingeschlossen waren, ursprünglich aus Zeebrugge in Belgien. In der Nacht zum Mittwoch wurde er nach Großbritannien überstellt und dort um 1:05 Uhr lokaler Zeit von einem Fahrer abgeholt.
Dieser Mann - ein 25-Jähriger aus Nordirland - wurde festgenommen, er steht unter Mordverdacht. Unklar ist, ob er von seiner Fracht wusste oder sie womöglich zufällig entdeckte. Möglich ist aber auch, dass der Fahrer sich seiner Ladung nicht bewusst war.
Video: 39 Tote in Lkw gefunden
Der Lastwagen der Marke Scania trägt ein bulgarisches Kennzeichen. Bulgarischen Behörden zufolge wurde er 2017 in der Hafenstadt Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste registriert. Laut Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow verließ das Fahrzeug wenige Tage nach der Registrierung das Land und kehrte nicht mehr zurück.
Inhaberin des Fahrzeugs ist demnach eine Firma, die einer Frau aus Irland gehört. Es gibt in Bulgarien Dutzende solcher Unternehmen - die Gründung in dem Land lohnt sich, weil dann für die Fahrer die bulgarischen Arbeitsschutz- und Lohnbedingungen gelten und die Versicherungen viel billiger sind.
Ein Lastwagenfahrer aus Rumänien, der am Abend nach dem Leichenfund in Grays Halt macht, erzählt, dass häufig blinde Passagiere versuchten, sich in sein Fahrzeug zu schmuggeln.
Für viele Migranten, die an der belgischen oder französischen Küste gestrandet sind, ist das der einzige Weg, nach Großbritannien zu gelangen - eine legale Route gibt es für sie nicht. Ebenfalls am Mittwoch wurde in der Grafschaft Kent ein Lastwagen angehalten, der Migranten an Bord hatte. Die neun Passagiere waren am Leben.
Der Schmuggel ist gefährlich: Der Container, in dem die Toten von Grays sich befanden, war Medienberichten zufolge gekühlt. In diesem Fall könnten die Temperaturen im Inneren auf minus 25 Grad gesunken sein.
Die Behörden gehen von organisiertem Menschenschmuggel aus
"Man muss sehr verzweifelt sein, um in so einen Wagen zu steigen", sagt der Koch Kaley am Abend nach dem Fund. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von einem "herzzerbrechenden und schrecklichen Vorfall".
Die Betroffenheit in Essex ist groß. Neben der Polizeiabsperrung sind Blumensträuße abgelegt: weiße Rosen zum Zeichen der Trauer. Dutzende Kamerateams sind zum Fundort gekommen. Der britische Ministerpräsident Boris Johnson schrieb auf Twitter, er sei "entsetzt". Auch andere britische Politiker zeigten sich schockiert.
Zugleich gibt es Forderungen, die - bislang unbekannten - Hintermänner zu suchen und vor Gericht zu stellen. Die Behörden gehen von organisiertem Menschenschmuggel aus. In Nordirland, dem Heimatland des Lastwagenfahrers, gab es mehrere Durchsuchungen.
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In diesem Lkw wurden in der Grafschaft Essex 39 Leichen gefunden. Nachdem die Spurensicherung am Mittwoch ihre Arbeit am Fundort beendet hatte, wurde der Lastwagen weggefahren.
Pippa Mills, stellvertretende Polizeichefin von Essex, informierte über den Stand der Ermittlungen. Vieles ist bislang unklar - etwa die Identität der Opfer und die komplette Route des Lkw.
Bislang steht fest, dass es sich bei den Toten um 38 Erwachsene und einen Teenager handelt.
Die Polizei war am Mittwochmorgen gegen 1.40 Uhr Ortszeit wegen des Lkw informiert worden.
Spurensicherung am Fundort: Bislang gibt es keine Informationen zu Alter, Geschlecht oder Identität der Opfer.
Mehrere Polizeifahrzeuge begleiteten den Abtransport des Lkw. An einem sicheren Ort sollten die Leichen geborgen werden.
Der Leichenfund hat nicht nur in Großbritannien Bestürzung ausgelöst. Ermittler ermitteln wegen Mordes und gehen von organisiertem Menschenschmuggel aus.
In diesem Lkw haben Polizisten in England 39 Leichen gefunden. Unter den Toten sind 38 Erwachsene und ein Teenager.
Die Polizei sperrte das Areal im Ort Grays weiträumig ab.
Ermittler vermuten einen Fall von Menschenhandel - unter anderem, weil sie die Opfer in dem Lkw so dicht gedrängt vorfanden.
Forensiker am Lkw: Eine der wichtigsten Aufgaben ist, die Toten zu identifizieren.
Der Polizeichef von Essex sprach von einem tragischen Vorfall, bei dem viele Menschen ihr Leben verloren hätten. Er befürchte, dass es lange dauern könnte, bis die Toten identifiziert seien.
Rettungskräfte hatten den Lastwagen gegen 1.40 Uhr Ortszeit gefunden und die Polizei verständigt.
Ersten Informationen zufolge soll der Lkw aus Bulgarien stammen.
Die bulgarische Regierung sagte, das Fahrzeug sei 2017 in dem Land registriert worden, habe Bulgarien aber seither nicht mehr betreten.
Der Fahrer des Lkw, ein 25-Jähriger aus Nordirland, wurde wegen Mordverdachts festgenommen.
Am frühen Abend brachte die Polizei den Lkw vom Fundort weg.
Der Waterglade Industrial Park im südenglischen Thurrock, zu dem die Ortschaft Grays gehört: Hier steht der Lkw zwischen mehreren großen Hallen.
Premierminister Boris Johnson schrieb auf Twitter, er sei "entsetzt von dem tragischen Vorfall in Essex" und bekundete den Hinterbliebenen der Toten sein Beileid. Er werde regelmäßig über die neusten Entwicklungen im Fall unterrichtet, sagte der Premierminister vor Abgeordneten im Unterhaus.
Großbritanniens konservative Innenministerin Priti Patel erklärte, sie sei "schockiert und traurig über diesen absolut tragischen Vorfall". Patel soll sich im Lauf des Nachmittags mit weiteren Informationen an das Parlament wenden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sei tief erschüttert von dem qualvollen Tod der Menschen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Sie wolle ihre Anteilnahme ausdrücken.
Forensikerinnen untersuchen im Juni 2000 im britischen Dover den Inhalt eines Tomatentransporters. Britische Zollbeamte hatten damals die Leichen von 58 Chinesen in dem Transporter gefunden. Der Fall gilt als die bisher schwerste Flüchtlingstragödie in Großbritannien.
Auf dem Weg nach Deutschland starben vor drei Jahren 71 Flüchtlinge in einem Kühllastwagen in Österreich. Ein ungarisches Gericht verurteilte die Hauptverdächtigen zu langen Haftstrafen.
Grafik: Der Kühllastwagen mit den Leichen der Flüchtlinge war am 27. August 2015 auf einer Autobahn in Österreich gefunden worden. Das Fahrzeug war am Tag zuvor in Südungarn abgefahren. Die Flüchtlinge im Laderaum waren nach spätestens drei Stunden qualvoll erstickt.