Gipfel mit der EU Afrika bleibt der Bloß-weg-hier-Kontinent

Kanzlerin Merkel, Alassane Ouattara (Präsident der Elfenbeinküste, l.) und Alpha Condé, Präsident von Guinea
Foto: ISSOUF SANOGO/ AFPEs kommt nicht oft vor, dass Dutzende Staatsoberhäupter und Regierungschefs von einer jungen Frau eine Standpauke bekommen. Francine Muyumba störte das offenbar wenig. "Sie müssen die Jugend und das Unternehmertum fördern und Jobs schaffen", sagte die Präsidentin der Pan-Afrikanischen Jugendunion am Mittwoch im Plenum des EU-Afrika-Gipfels in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste. Junge Menschen würden sich nur in Richtung Europa aufmachen, "weil sie die Nase voll haben von dem Leben, das sie in Afrika führen müssen."
Unter Teilnehmern sorgte die Rede für hochgezogene Augenbrauen. Doch viel mehr bewirkte Muyumba offenbar nicht: Der Gipfel ging mit einer wachsweichen Erklärung zu Ende, die viele wohlklingende Ankündigungen, aber wenig Konkretes enthält.
Die einzige belastbare Ankündigung war die der Afrikanischen Union (AU), schnellstmöglich 3800 Flüchtlinge aus Libyen zu evakuieren. Das soll in den kommenden Tagen oder Wochen geschehen, die Regierung Marokkos will die notwendigen Flugzeuge stellen.
Auslöser war ein Video des US-Senders CNN über Sklavenmärkte in Libyen, die auf dem Gipfel ein zentrales Gesprächsthema waren. "Grauenhaft", "schändlich", "empörend" waren nur einige der Worte, mit denen Staats- und Regierungschefs die Vorgänge verurteilten. Experten von Hilfsorganisationen zeigten sich dagegen überrascht. Denn dass Migranten in Libyen misshandelt, missbraucht und mitunter ermordet werden, "ist lange bekannt", so eine Mitarbeiterin der Uno-Migrationsorganisation IOM. Auch auf Sklavenmärkte weise man bereits seit April in Berichten hin. Ohnehin sei die Evakuierung "nur eine Notmaßnahme", meint Friederike Röder von der Hilfsorganisation One. An den eigentlichen Problemen ändert sie nichts.
Die bestehen vor allem darin, dass:
- ein bedeutender Teil von Afrikas extrem junger Bevölkerung - 60 Prozent sind jünger als 25 Jahre - keine Perspektive auf dem Kontinent hat,
- die Bevölkerung zugleich rasant wächst und sich bis 2050 von einer auf zwei Milliarden verdoppeln könnte,
- in vielen afrikanischen Staaten politische Instabilität, Korruption und ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit herrschen,
- dringend notwendige Investitionen und damit auch die Entstehung neuer Jobs ausbleiben,
- der Migrationsdruck durch diese Faktoren immer weiter zunimmt.
Wie man diesen Teufelskreis theoretisch durchbrechen könnte, zählt das fünfseitige Abschlussdokument des Gipfels zwar durchaus auf: Investitionen in Ausbildung und Technologie, die Stärkung von politischer Stabilität und Sicherheit, ein nachhaltiger struktureller Wandel Afrikas. Allerdings: Wie das alles in der Praxis geschehen soll, verrät das Gipfel-Kommuniqué nicht.
EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach von einem "erfolgreichen Gipfel", die Hilfsorganisation One dagegen von einer "bitteren Enttäuschung" für Afrikas Jugend. Alle Staats- und Regierungschefs seien sich darin einig gewesen, dass man in die Jugend investieren müsse und vor einer einmaligen demografischen Herausforderung stehe, die - richtig angefasst - eine Chance sei. "Dazu aber wäre eine umfassende Strategie nötig", sagt One-Mitarbeiterin Friederike Röder. "Dieser Gipfel hätte die Zukunft vorbereiten müssen, aber er hat die notwendige Grundlage nicht geschaffen."
Hartes Ringen um Details der Schlusserklärung
Wünschenswert wäre laut Röder etwa ein positives Signal für die Globale Partnerschaft für Bildung gewesen. Im Februar werden sich die Staats- und Regierungschefs von AU und EU in Dakar zu einer Geberkonferenz treffen. Die Bildungspartnerschaft soll 40 Millionen Kindern den Zugang zu einer Schule ermöglichen - wenn denn die geplante Finanzierung von rund drei Milliarden Euro zustande kommt. "Die kriegt man nicht mal eben so zusammen", meint Röder.
Auch zum Thema Migration findet sich im Abschlussdokument kaum Konkretes. Man strebe an, einen "positiven, konstruktiven und mehrdimensionalen Ansatz" zu fördern, der auf "sichere, geordnete und reguläre Art" durchgeführt wird. Außerdem gebe es ein "starkes politisches Engagement", die Ursachen irregulärer Migration anzugehen. Auch wolle man "Wege der legalen Migration erforschen".
Die Bundesregierung hat dafür aber eine klare Bedingung. "Afrikanische Staaten müssen abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen, das ist eine Voraussetzung für mehr legale Migration", sagt Günter Nooke, Afrika-Beauftragter von Kanzlerin Angela Merkel. "Kein Innenminister würde Tausende Menschen hereinlassen, wenn er nicht sicher sein kann, dass die meisten wieder zurückkehren." Dazu brauche es klare Vereinbarungen mit den afrikanischen Staaten. "Bei Rückführungen dürfen wir bei den Mindeststandards von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten keine Kompromisse machen."
Im Abschlussdokument heißt es jedoch lediglich, dass die Rückführung abgelehnter Asylbewerber - eine auch für die Afrikaner besonders brisant Frage - "in allen Aspekten untersucht" werden soll.
Selbst um diese Worte wurde teils hart gerungen, wie Verhandlungsteilnehmer anschließend berichteten - etwa bei den Formulierungen zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die in einigen afrikanischen Staaten zuletzt Rückschläge erlitten haben. Merkel bekam die Endphase der Verhandlungen am Donnerstagvormittag übrigens schon gar nicht mehr mit: Die Kanzlerin war bereits am Mittwochabend wieder in die Heimat zurückgeflogen, ebenso wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Immerhin waren die beiden einen Tag lang da. Die große Mehrheit der anderen 26 EU-Staats- und Regierungschefs hatte sich erst gar nicht auf den Weg nach Abidjan gemacht.
Zusammengefasst: Von Fortschritten kann beim Europa-Afrika-Gipfel kaum gesprochen werden. Zwar beteuerten die beteiligten westlichen Nationen ihren guten Willen, doch als es um konkrete Beschlüsse gehen sollte, ging wenig. EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach von einem "erfolgreichen Gipfel", die Hilfsorganisation One dagegen von einer "bitteren Enttäuschung" für Afrikas Jugend. Das sagt wohl alles.