EU-Beitritt Warnschuss für Rumänien und Bulgarien

Am Dienstag legt die EU-Kommission ihren neuen Fortschrittsbericht zum Beitritt von Rumänien und Bulgarien vor. Beiden Balkanländern sollen darin massive Probleme bescheinigt werden. Wird die endgültige Entscheidung für den Beitritt zum 1. Januar 2007 vertagt?
Von Lars Langenau

Hamburg - Beispiel Bulgarien: 173 Auftragsmorde sollen es seit 1990 gewesen sein. Mitte vergangener Woche wurde der Geschäftsmann Ivo Markov in Sofia auf offener Straße erschossen. Im Februar trafen den mutmaßlichen Unterweltboss Iwan Todrow tödliche Schüsse. Mehr als 120 Morde oder Mordversuche waren es in Bulgarien laut Regierungskreisen allein in den vergangenen sechs Jahren. Kein einziger ist bis heute aufgeklärt.

Vor gut einem halben Jahr gab EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn Sofia und Bukarest eine lange Liste mit Hausaufgaben auf: Ganz vorn standen der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Korruption. Zudem müssten die Bulgarien und Rumänien ihren Minderheitenschutz sowie die Fürsorge für geistig Behinderte verstärken - und endlich mehr gegen die Umweltverschmutzung unternehmen. "Ernste Sorgen" machte sich Rehn auch über die Lebensmittelsicherheit und der Abwicklung von EU-Strukturhilfen.

Jetzt steht ein weiterer Bericht an, den Rehn der Kommission am Dienstagmorgen vorlegen wird. Am Montag streuten EU-Diplomaten in Brüssel - unter Wahrung ihrer Anonymität - die Information, dass die Kommission einen Beitritt zum 1. Januar 2007 empfehlen wird - allerdings erst, wenn die beiden Balkanländer in den kommenden Monaten noch erhebliche Reformanstrengungen unternehmen. Den Angaben zufolge hofft der Kommissar damit, einerseits eine Verschiebung auf 2008 zu vermeiden und andererseits zusätzlichen Druck auf die beiden künftigen EU-Mitgliedsländer auszuüben.

Aufschub bis zum Herbst?

Die Deutsche Presseagentur und Reuters berichteten zudem, die EU-Kommission werde empfehlen, die endgültige Entscheidung aufzuschieben. Davon, dass der neue Bericht nur vorläufig sein wird, war selbst entscheidenden EU-Politikern in Brüssel und Berlin bislang nichts bekannt. Doch Michael Stübgen, europapolitischer Sprecher der Union im Bundestag, glaubt, dass der Prozess zum Beitritt am 1. Januar selbst bei einem neuen Bericht erst im September oder Oktober noch eingehalten werden kann.

Der Europa-Experte und Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff, sagte zu SPIEGEL ONLINE: "Wir gehen davon aus, dass die EU-Kommission eine Empfehlung gibt - allerdings mit Einschränkungen." Rumänien würden "vier rote Flaggen" gezeigt - und Bulgarien gleich sechs. Bei Bulgarien gehöre wieder die mangelhafte Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Betrugs, der Korruption und der Geldwäsche dazu. Im Falle Rumäniens zeige die Kommission Schwachstellen bei der Verwaltung von EU-Agrargeldern und in der Veterinärmedizin auf. Allerdings, meint Schockenhoff, habe die Regierung in Bukarest mittlerweile "glaubwürdige Maßnahmen" zur Bekämpfung der Korruption eingeleitet - und bleibe deshalb in diesem Punkt ohne Kritik.

Hans-Gert Pöttering, Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, fordert: "Bulgarien und Rumänien sollten ihre Reformen engagiert fortsetzen. Das gilt insbesondere für das Justizwesen und für die Bekämpfung der Korruption." Seine Fraktion empfehle, dass die Berichte einer strengen Kontrolle unterworfen werde, fügte der Christdemokrat gegenüber SPIEGEL ONLINE hinzu.

"Rumänien hat sich charmanter dargestellt"

Eine Verschiebung des Beitritts auf 2008 ist zwar kompliziert, aber laut Beitrittsverträgen dennoch möglich. Im Falle Rumäniens reicht dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit des EU-Ministerrats - für Bulgarien wird ein einstimmiger Beschluss verlangt. Diese unterschiedlichen Bedingungen resultierten aus der damaligen Erwartung, dass Bukarest im Vergleich zu Sofia bei den Reformschritten zurückliegen werde. Inzwischen soll aber Rumänien seinen Nachbarn überholt haben.

Warum Rumänien nun Favorit ist, dafür hat Axel Schäfer, europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, eine nette Erklärung: Das Land habe sich bei Besuchen von Beobachtern aus Brüssel einfach "etwas charmanter dargestellt". In Bulgarien habe sich hingegen die Bildung der jetzigen Regierung sehr lange hingezogen und bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität seien die Mängel im Justizapparat sehr offen zu Tage getreten.

Allerdings, sagt SPD-Mann Schäfer zu SPIEGEL ONLINE, sehe er es "lieber, dass es mit Auflagen bereits im Januar zum Beitritt kommt". Schließlich habe "Mut statt Kleinmut" auch bei anderen Ländern positive Wirkung gezeigt. Immer hätten die Verhandlungen und die strikten Auflagen die Regierungen der Beitrittsländer zum Handeln gezwungen.

Auch Martin Schulz, Chef der sozialdemokratischen Abgeordneten im EU-Parlament, erwartet, dass der neue Bericht "die Stärken und Schwächen" der Länder schonungslos offen legt. "Wenn es keine massiven Bedenken gibt", sagte er zu SPIEGEL ONLINE, "dann bleibt es beim 1. Januar 2007." Falls es jedoch Kritikpunkte geben sollte, müssten diese auch "sorgfältig geprüft werden". Und wie sein CDU-Kollege Stübgen aus Berlin erwartet auch Schulz dann von der EU-Kommission Vorschläge zur Lösung der Probleme.

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