David Sassoli EU-Parlamentspräsident weist britische Brexit-Vorschläge zurück
"Nicht mal ansatzweise eine Grundlage": EU-Parlamentspräsident David Sassoli weist im SPIEGEL den jüngsten britischen Brexit-Vorstoß zurück. Die Zweifel an einer Einigung in letzter Minute wachsen.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli, hat die Brexit-Angebote der Briten zurückgewiesen. "Zumindest in ihrer gegenwärtigen Form sind die britischen Vorschläge nicht mal ansatzweise eine Grundlage für ein Abkommen, dem das Europäische Parlament zustimmen könnte", sagte Sassoli dem SPIEGEL. Das Parlament prüfe die Vorschläge sehr aufmerksam. "Leider ist das Ergebnis dieser ersten Bewertung nicht sehr positiv."
Der neue Plan der Briten sieht vor, dass EU-Regeln in Nordirland nicht nur für Nahrungsmittel- und Tierexporte einige Jahre weiter gelten, sondern für alle EU-Güterausfuhren. Allerdings soll Nordirland nicht in einer Zollunion mit der EU bleiben. Ein großer Teil der Waren, der die innerirische Grenze passiert, müsste also kontrolliert werden.
Nach Ansicht Sassolis, der den britischen Premier Boris Johnson am kommenden Dienstag in London trifft, enthalten die Vorschläge mehrere gravierende Mängel. "Es ist zum Beispiel völlig unklar, wo und wie genau Zollkontrollen durchgeführt werden sollen", so Sassoli. "Das ist ja kein unbedeutendes Detail, sondern kann durchaus schwerwiegende Konsequenzen haben, was etwa den Friedensprozess angeht."
Er habe "ernsthafte Zweifel", ob die Vorschläge geeignet seien den sogenannten Backstop zu ersetzen, die Notfalllösung für die nordirische Grenze. "Uns geht es darum, die Einheit des Binnenmarkts zu wahren, die wirtschaftliche Einheit auf der irischen Insel zu sichern und den Friedensprozess aufrechtzuerhalten", so der italienische Sozialdemokrat.
Das Europaparlament muss ein Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien am Ende absegnen. Auch die Abgeordneten der Brexit-Steuerungsgruppe im Europaparlament hatten die britischen Vorschläge am Donnerstagnachmittag zurückgewiesen. Kritik übten die Parlamentarier etwa am Vorhaben der britischen Regierung, dass die nordirische Regionalregierung dem Abkommen zustimmen und danach alle vier Jahre erneut darüber befinden soll. Damit werde die Vereinbarung abhängig von einer "einseitigen Entscheidung" und biete nicht mehr das Sicherheitsnetz, das der Backstop bedeutet hätte.
Etwas positiver ließen sich am Donnerstagabend die EU-Botschafter ein, die von Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier über die Vorschläge unterrichtet wurden. Sie wollen nun in den nächsten Tagen ausloten, ob die Briten ernsthaft verhandeln wollen. Die Einigung müsse im Grundsatz in jedem Fall einige Tage vor dem EU-Gipfel am 17. Oktober stehen. Direkte Verhandlungen mit Johnson beim Gipfel werde es nicht geben.
Findet sich aber keine kurzfristige Einigung, ist Johnson offenbar bereit, den Brexit notfalls noch einmal zu verschieben. Das wäre eine Kursänderung. Einem BBC-Bericht zufolge hat der Premier in Gerichtsdokumenten zugesagt, eine Brexit-Verlängerung bei der EU zu beantragen, sollten beide Seiten bis zum 19. Oktober kein Scheidungsabkommen erreichen. Auch die britische Nachrichtenagentur PA berichtet darüber.
Dieses Thema stammt aus dem neuen SPIEGEL-Magazin - am Kiosk erhältlich ab Samstagmorgen und immer freitags bei SPIEGEL+ sowie in der digitalen Heft-Ausgabe.
Was im neuen SPIEGEL steht und welche Geschichten Sie bei SPIEGEL+ finden, erfahren Sie auch in unserem kostenlosen Politik-Newsletter DIE LAGE, der sechsmal in der Woche erscheint - kompakt, analytisch, meinungsstark, geschrieben von den politischen Köpfen der Redaktion.
mp/mbe