EU-Erweiterung Wartezimmer Westbalkan

Bulgarians Premier Boyko Borisov, Kosovos Präsident Hashim Thaci, Kanzlerin Angela Merkel und Serbiens Präsident Aleksandar Vucic in Sofia
Foto: LUDOVIC MARIN/ AFPDie Bewohner des Westbalkans müssen sich inzwischen vorkommen wie in der Warteschleife eines Callcenters, in der eine sanfte Stimme wieder und wieder beteuert, dass man sich nur noch ein bisschen gedulden müsse: Schon der nächste EU-Platz ist für Sie frei.
So in etwa liest sich die Abschlusserklärung des EU-Westbalkangipfels, der am Donnerstagnachmittag in Bulgariens Hauptstadt Sofia zu Ende gegangen ist. Die EU bekräftigt darin, "dass sie die europäische Perspektive des Westbalkans uneingeschränkt unterstützt". Mit den nahezu gleichen Worten hatte die EU ihren südöstlichen Nachbarn schon 2003 versprochen, sie irgendwann aufzunehmen. Doch auf die Erfüllung des "Versprechens von Thessaloniki" warten die Beitrittskandidaten Serbien, Montenegro, Mazedonien und Albanien sowie die "potenziellen Kandidaten" Kosovo und Bosnien-Herzegowina seitdem vergeblich.
Auch einen konkreten Zeitplan gibt es weiterhin nicht. Zwar hatte die EU-Kommission im Februar Serbien und Montenegro als "Favoriten" für einen Beitritt bis zum Jahr 2025 bezeichnet. Doch das gefiel einigen Mitgliedstaaten überhaupt nicht, darunter Deutschland. "Ich halte von diesem Zieldatum nichts", bekräftigte Merkel in Sofia. Ein EU-Beitritt müsse " auf Fortschritten in der Sache" basieren. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, eine Erweiterung komme nicht in Frage, "bevor wir alle nötigen Sicherheiten haben".
Korruption und Grenzkonflikte
Von denen aber stehen noch viele aus. So übt die EU immer wieder Kritik an Korruption, wenig effizienten Justizsystemen und Grenzkonflikten auf dem Westbalkan. Serbien etwa ist strikt dagegen, die Unabhängigkeit seiner früheren Provinz Kosovo anzuerkennen. Das gleiche gilt für Griechenland, Rumänien, die Slowakei und Zypern. Spanien blieb wegen der Teilnahme des Kosovo dem Westbalkangipfel gleich ganz fern: In Madrid hat man schon genug Ärger mit den Separatisten in Katalonien.
Ein größerer Stolperstein ist auch der griechisch-mazedonische Namensstreit: Athen befürchtet Gebietsansprüche Mazedoniens gegen die griechische Region Makedonien. Die Vereinten Nationen nennen Mazedonien deshalb offiziell "Fyrom", kurz für "Former Yugoslav Republic of Macedonia". Nicht wenige dürften sich an den verstorbenen Popstar Prince erinnert fühlen. Das alles führt dazu, dass in der Abschlusserklärung von Sofia nicht von Staaten, sondern nur von "Westbalkan-Partnern" die Rede ist.
Doch es sind nicht nur formelle Hürden, die in den anderen EU-Mitgliedern für Skepsis sorgen. In der Bevölkerung herrscht praktisch nirgendwo Begeisterung über eine erneute Erweiterung der EU. Das dürfte zum einen an der Finanzkrise von 2008 liegen, in der mehrere Länder vor allem in Südeuropa in Schieflage geraten sind und den gesamten Euroraum in den Abgrund zu reißen drohten.
Hinzu kommt der Ärger mit den östlichen Mitgliedsländern, allen voran Ungarn und Polen, die in der Flüchtlingsfrage die Solidarität mit dem Westen verweigern und im Inneren Demokratie und Rechtsstaat untergraben. Bulgarien und Rumänien, die 2007 beigetreten sind, haben bis heute massive Probleme mit Korruption. Der SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein sieht darin einen Hauptgrund in der "verhaltenen Stimmung" in der EU. Bei einer erneuten Erweiterung "darf es keinen Rabatt geben wie bei Rumänien und Bulgarien", so Fleckenstein. "Da waren wir ein bisschen großzügig."
"Zögerlichkeit der EU destabilisiert die Gesellschaften"
Außerdem befürchten manche, dass eine EU mit über 30 Mitgliedern endgültig handlungsunfähig werden könnte, sofern sie sich nicht zunehmend von Prinzip der Einstimmigkeit in wichtigen Fragen verabschiedet. Die EU müsse vor einer erneuten Erweiterung erst ihr eigenes Haus in Ordnung bringen, mahnte Frankreichs Präsident Macron.
Manchen aber geht das alles zu langsam. "Die Zögerlichkeit der EU destabilisiert die Gesellschaften auf dem Westbalkan und schafft Raum für die Einmischung Russlands, Chinas oder der Türkei", sagt der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer. Nicht umsonst heißt es in der "Erklärung von Sofia", dass die EU gemeinsam mit den Balkanländern gegen "Desinformation und andere hybride Aktivitäten" kämpfen und "Cyber-Sicherheit und strategische Kommunikation" stärken wolle.
Weitere Ziele seien der Ausbau der Zusammenarbeit in den Bereichen Verkehr, Energie, digitale Netze, Wirtschaft und Gesellschaft, bei der "Eindämmung illegaler Migrationsströme" und bei der Terrorismusbekämpfung. Zudem sollen die Mittel für das Erasmus-Studentenprogramm verdoppelt werden.
Ob das genügt, den Frust auf dem Westbalkan zu lindern, ist offen. Auch Fleckenstein hält die EU für "eindeutig zu zögerlich". Sicher, man müsse vor einer Erweiterung "sauber arbeiten". Allerdings gehe es um insgesamt gerade einmal 18 Millionen Menschen. "Und wir müssen fair bleiben", meint Fleckenstein. "Wir müssen wir unseren Teil einhalten, wenn unsere Partner die Bedingungen erfüllen."
Zusammengefasst: Die EU vertröstet die Westbalkan-Länder erneut: Konkrete Termine für einen Beitritt zur Gemeinschaft gibt es weiterhin nicht, stattdessen mahnen die Staats- und Regierungschefs Fortschritte bei der Annäherung an EU-Standards an. Kritiker warnen, dass Europa auf diese Weise riskiert, den Westbalkan an Russland oder China zu verlieren.