EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei Den Deal ohne die Helfer gemacht

Polizisten und protestierende Flüchtlinge auf Lesbos
Foto: AFPDie EU setzt in der Flüchtlingskrise auf das Abkommen mit der Türkei - muss aber nun fürchten, dass Hilfsorganisationen wie das Uno-Hilfswerk UNHCR nicht mitziehen und so die ohnehin problematische Versorgung der Geflüchteten leidet.
"Der UNHCR muss bei der Umsetzung des Abkommens der EU mit der Türkei mit an Bord bleiben", fordert Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wir können die Auswahl der Menschen, die von der Türkei nach Europa umgesiedelt werden, nicht den Türken allein überlassen. Nur der UNHCR garantiert eine gewisse Neutralität."
Bei dem am kommenden Montag in Kraft tretenden Abkommen, das die EU auf Drängen vor allem von Kanzlerin Angela Merkel mit Ankara geschlossen hat, verpflichten sich die Türken, alle Flüchtlinge zurückzunehmen, die auf den griechischen Inseln ankommen. Im Gegenzug soll die EU für jeden abgeschobenen Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf legalem Wege in die EU einreisen lassen - bis zu einer Obergrenze von 72.000 Menschen.
Der UNHCR stellte aus Protest die Zusammenarbeit mit der EU vor Ostern jedoch bereits teilweise ein. Denn die Lage in Griechenland ist für die Flüchtlinge nicht nur im Lager Idomeni an der Grenze zu Mazedonien, sondern auch auf Inseln wie Lesbos kritisch: Am Ostermontag harrten in Idomeni immer noch rund 12.000 Flüchtlinge und Migranten aus. Sie hoffen nach wie vor auf eine Öffnung der Grenze, um doch noch an ihr Wunschziel in Europa zu kommen.
Auf den Inseln werden nach Angaben des UNHCR knapp 5000 Flüchtlinge in den Hotspots genannten Registrierungslagern festgehalten, wo die Asylanträge überprüft werden. Vor dem EU-Abkommen mit der Türkei konnten die Migranten nach der Überprüfung auf das griechische Festland weiterfahren.
UNHCR kritisiert Hotspots als "Haftzentren"
Die Hotspots entwickelten sich deshalb zu "Haftzentren", kritisierte der UNHCR. "In Übereinstimmung mit unserer Politik, eine zwangsweise Inhaftierung abzulehnen", sagte eine Sprecherin, "haben wir einige unsere Tätigkeiten in allen geschlossenen Zentren auf den Inseln beendet." Bislang hatte der UNHCR zum Beispiel für den Transport der Flüchtlinge vom Hafen oder dem Ort, wo ihr Boot gestrandet war, in den Hotspot auf Lesbos gesorgt.
Ähnlich reagierten die Ärzte ohne Grenzen auf den EU-Türkei-Deal, sie beendeten ihre Arbeit auf Lesbos: Die Helfer würde sich zu "Komplizen eines Systems machen, das wir als unfair und unmenschlich ansehen", sagte Marie Elisabeth Ingres, die Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland.
Ein kompletter Ausstieg des UNHCR wäre ein herber Schlag für die Europäer. Denn die Uno-Organisation ist für den Flüchtlingsdeal so etwas wie der Internationale Währungsfonds bei der Eurorettung: eine unabhängige, respektierte Instanz, die garantieren soll, dass alles korrekt zugeht.
Deutschland, Frankreich und andere Länder haben den Griechen zwar zugesagt, bei der Registrierung in den Hotspots mit juristischem Fachpersonal und Polizei zu helfen. Bislang sind jedoch erst einige der 2300 versprochenen Experten eingetroffen. Sie sollen helfen, dass das Asylgesuch jedes Flüchtlings vor einer Abschiebung in die Türkei individuell geprüft wird.
In der EU-Kommission ist die Umsetzung des Deals Chefsache: Kommissionschef Jean-Claude Juncker schickte Anfang vergangener Woche seinen Kabinettschef Martin Selmayr nach Athen, um die Behörden vor Ort anzutreiben. Doch das reicht offenbar nicht. Junckers Innenkommissar Dimitris Avramopoulus kritisierte an Ostern die EU-Mitglieder. Sie "können nicht erwarten, dass sich auf magische Weise alles von selbst löst, nur weil eine Vereinbarung getroffen wurde". Jetzt beginne die "harte Arbeit".

Luxemburgs Außenminister Asselborn
Foto: JOHN THYS/ AFPDenn Details des Abkommens zwischen der EU und Ankara sind nach wie vor unklar. Zum Beispiel, wie eine Abschiebung der Flüchtlinge in die Türkei ohne Zwang funktionieren soll. "Das können wir nicht mit Militär und Soldaten machen", sagt Asselborn. "Diese Bilder wären unwürdig für Europa. Die Rückführung muss menschenwürdig stattfinden."
Asselborn fordert zudem eine sorgfältige Sicherheitsüberprüfung der Flüchtlinge, die nach Europa umgesiedelt werden sollen. "Wir dürfen nicht vergessen: Wenn diese Menschen in Europa sind, ist bereits darüber entschieden, dass sie bleiben können. Die Auswahl muss daher, auch was die Sicherheit angeht, sehr sorgfältig gemacht werden. Das geht nicht mal eben am Telefon oder per Zuruf durch türkische Behörden."
Offen ist bislang auch, wie die 72.000 syrischen Flüchtlinge in der EU verteilt werden. Zwar haben sich die Europäer zu ihrer Aufnahme verpflichtet. Es steht aber jedem EU-Mitglied frei, ob es sich an dem Abkommen beteiligen will - eine entscheidende Schwachstelle in dem von Merkel vorangetriebenen Deal.
Asselborn drängt deshalb darauf, dass die 72.000 Syrer auf alle EU-Staaten verteilt werden: "Es kann nicht sein, dass sich Ungarn oder die Slowakei einfach aus der europäischen Solidarität verabschieden."
Zusammengefasst: Am kommenden Montag tritt das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft. Aber Einzelheiten des Deals sind immer noch nicht ausgehandelt. Welche EU-Staaten nehmen die Migranten aus der Türkei auf? Wer sucht sie aus? Führende EU-Politiker wie Luxemburgs Außenminister Asselborn drängen auf eine stärkere Rolle des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Doch die Organisation gilt als Kritikers des Deals mit Ankara.