

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) pries auf dem EU-Innenministertreffen in Luxemburg die neuesten Pläne Europas für den Umgang mit Geflüchteten als "sehr großen Erfolg". Etwa zur gleichen Zeit rollten vergangene Woche in München verzweifelte Migranten Decken auf dem Gelände der Bayernkaserne aus. In dem Münchner Asylbewerberheim ist kein Platz mehr, Neuankömmlinge sind deshalb gezwungen, im Freien zu schlafen. In Deutschland. Im Jahr 2014.
Selten lagen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie in der deutschen beziehungsweise europäischen Flüchtlingspolitik dieser Tage. In Luxemburg verkauften die EU-Staaten alte Konzepte zur Bekämpfung von Migration als neue Flüchtlingsstrategie: Die Überwachung der Grenze soll verschärft, Migrationskontrollen in Drittstaaten verlagert werden. Die EU setzt beim Thema Asyl seit jeher auf Repression und Abschreckung. Die Menschen kommen trotzdem. Die meisten Geflüchteten, die die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer riskieren, sind Syrer und Eritreer. Sie haben keine Alternative zur Flucht.
Nach Wunsch von Innenminister de Maizière sollen Schutzsuchende künftig besser auf EU-Staaten verteilt werden. Der Vorschlag ist nicht ganz falsch, denn das bestehende Dublin-System, wonach Geflüchtete lediglich dort Asyl beantragen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten, ist schikanös. De Maizières Modell beruht jedoch auf Freiwilligkeit und ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Denn neben Zynismus dominiert Egoismus die Migrationspolitik der EU-Mitgliedstaaten.
Die Notwendigkeit zu handeln ist groß
Forscher des Berlin-Instituts fordern nun in einer Studie für das Auswärtige Amt einen Wandel in der europäischen Migrationspolitik. Deutschland und die EU bräuchten ein "strategisches Konzept einer Asyl-, Flüchtlings-, Entwicklungs- und Zuwanderungspolitik", die auf neue Entwicklungen flexibel reagieren könne, heißt es in dem Papier "Krise an Europas Südgrenze", das dem SPIEGEL vorliegt.
Das Berlin-Institut unterbreitet der Politik eine ganze Reihe von Empfehlungen. So sollte unter anderem
Die Notwendigkeit zu handeln, so die Forscher, sei groß. Denn die Zahl der Menschen, die Asyl suchen, werde nicht abnehmen. Im Gegenteil. Es sei zu befürchten, schreibt das Berlin-Institut, dass sich die Sicherheitslage in Afrika und im Nahen Osten weiter verschlechtere. Staaten wie Irak oder Libyen könnten weiter zerfallen, Konflikte noch mehr Menschen in die Flucht treiben.
Als "Frühindikator" für künftige Entwicklungen beschreiben die Wissenschaftler die Situation in unmittelbaren Nachbarländern von Krisenstaaten. So stieg die Zahl somalischer Flüchtlinge in Kenia zwischen 2006 und 2013 von 174.000 auf 475.000 an. Die Türkei beherbergt gegenwärtig rund eineinhalb Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.
Zumindest ein Teil dieser Menschen wird mittelfristig Zuflucht in Europa suchen. Die europäischen Regierungen werden das Problem nicht einfach aussitzen können.
Spanien-Marokko, Griechenland-Türkei, Ungarn-Serbien: Orte entlang dieser drei Grenzen zeigen, mit welch rabiaten Methoden sich Europa gegen Arme und Schutzsuchende abschottet. SPIEGEL-Reporter Maximilian Popp und Fotograf Carlos Spottorno reisten zu Schutzzäunen und in Auffanglager, sie begleiteten Patrouillen auf See und trafen Flüchtlinge, die alles riskieren für eine Zukunft in Europa.
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Flüchtlinge vor der spanischen Küste (Archiv): Wie mit der Krise umgehen?
Bundesinnenminister Thomas de Maizière bezeichnet die EU-Pläne für den Umgang mit Flüchtlingen als "großen Erfolg". Doch Anspruch und Wirklichkeit liegen bei diesem Thema weit auseinander.
In München haben verzweifelte Migranten Decken auf dem Gelände der Bayernkaserne ausgelegt. In dem Asylbewerberheim ist kein Platz mehr, Neuankömmlinge sind deshalb gezwungen, im Freien zu schlafen.
Forscher des Berlin-Instituts fordern nun in einer Studie für das Auswärtige Amt einen Wandel in der europäischen Migrationspolitik. Deutschland und die EU bräuchten ein "strategisches Konzept einer Asyl-, Flüchtlings-, Entwicklungs- und Zuwanderungspolitik", die auf neue Entwicklungen flexibel reagieren könne, heißt es in dem Papier "Krise an Europas Südgrenze", das dem SPIEGEL vorliegt.
Die Notwendigkeit zu handeln, so die Forscher, sei groß. Denn die Zahl der Menschen, die Asyl suchen, werde nicht abnehmen. Im Gegenteil.
In vielen deutschen Gemeinden regt sich Widerstand gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften. Eine Ausnahme bildet Ellwangen in Baden-Württemberg.
Erstaufnahmestelle für Asylbewerber im bayerischen Zirndorf: Weil die Unterkünfte heillos überfüllt sind, wurden etwa hundert Flüchtlinge in einem Bierzelt untergebracht.
Zelt ohne Feierstimmung: Für hundert Asylbewerber ist dieses Zelt "vorübergehend" ihr Zuhause. Das bedeutet: bis es so kalt wird, dass niemand mehr im Zelt nächtigen kann.
Bayern hatte sich lange vehement gegen die Zeltlösung gewehrt, aber keine Alternative gefunden.
Leben im Stockbett: Aus Flüchtlingslagern in Krisenländern kennt man solche Bilder, doch dieses entstand mitten in Bayern.
Wohnblock aus Containern in Zirndorf: "Die Zahlen explodieren", sagt die bayerische Sozialministerin Emilia Müller. "Der Zustrom übersteigt all das, was wir an Prognosen haben."
Auch dieses Foto entstand in Zirndorf. Diese Flüchtlinge schlafen in einer umfunktionierten Kapelle.
Auch in der früheren Funkkaserne in München wohnen jetzt Flüchtlinge.
Auch in Niedersachsen wissen viele Kommunen nicht, wo sie die Asylbewerber unterbringen sollen. Die Landesaufnahmebehörde in Braunschweig ist überfüllt.
Als provisorische Notunterkunft wurden in Braunschweig Stockbetten in eine Turnhalle gestellt.
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