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EU-Gipfel Alles klar, Frau Kommissar

Grünes Licht für Angela Merkels Lieblingsprojekt: 25 EU-Staaten haben den Fiskalpakt beschlossen. Doch sonnen kann sie sich in dem Erfolg nicht. Dank ungeschickten Taktierens innerhalb der Bundesregierung muss sie wieder gegen das Image der bösen deutschen Sparkommissarin kämpfen.

"Nein zum Sparpakt, Ja zur Solidarität" steht auf den Transparenten vor dem EU-Ratsgebäude am Brüsseler Schuman-Platz. Streikende belgische Gewerkschafter machen deutlich, was sie von den Beschlüssen des ersten EU-Gipfels im neuen Jahr halten: nichts.

Drinnen im Sitzungssaal geht es ums Sparen - wieder mal. Auf Drängen von Kanzlerin Angela Merkel beschließen 25 der 27 anwesenden EU-Regierungschefs den Fiskalpakt, der nationale Schuldenbremsen für alle Unterzeichner verpflichtend macht. Von einem "sehr erfolgreichen Ergebnis" spricht Merkel in ihrer abschließenden Pressekonferenz. Sie hat diesen Pakt mehr oder weniger im Alleingang durchgesetzt - in nur zwei Monaten. Das Tempo sei eine "wirkliche Meisterleistung", lobt sie alle Beteiligten.

Es ging tatsächlich schneller, als viele Beobachter im Dezember erwartet hatten. Doch ganz zufrieden kann Merkel nicht sein. Denn sie hat an diesem Montag alle Hände voll zu tun, einen strategisch ungeschickten Vorstoß des Bundesfinanzministeriums zu neutralisieren. Am Freitag hatte die "Financial Times" unter Berufung auf ein internes Ministeriumspapier berichtet, Deutschland wolle einen EU-Sparkommissar nach Athen schicken, der die griechische Haushaltspolitik überwachen sollte.

Übers Wochenende hatte sich die Debatte verselbständigt. Politiker von Union und FDP begrüßten die Idee begeistert. Die griechische Regierung hingegen protestierte gegen die "krankhafte Phantasie" und verlangte Respekt vor ihrer "nationalen Würde". Am Montag erhielt Athen nahezu einhelligen Beistand in Brüssel, ein europäischer Regierungschef nach dem anderen stellte sich an die Seite der Griechen.

Die Sparkommissar-Debatte verhagelt Merkel die Gipfelbotschaft

Ein Sparkommissar nur für Griechenland sei "nicht akzeptabel", sagte der Fürsprecher der kleinen Länder, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Auch der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann zeigte Verständnis für die Empörung in Athen: "Beleidigen muss man niemanden in der Politik."

Der Protest führte dazu, dass bald auch aus der Bundesregierung deutlich konziliantere Töne kamen. Nachdem Vizekanzler Philipp Rösler am Morgen in der "Bild"-Zeitung noch mit markigen Worten mehr Führung und Überwachung für Griechenland gefordert hatte, verkündete Außenminister Guido Westerwelle wenige Stunden später aus Kairo, er sei sehr unglücklich über den Ton der Debatte. Man müsse die Griechen ermutigen, nicht entmündigen.

Merkel beeilte sich, noch vor Beginn des Gipfels die Wogen zu glätten. "Ich glaube, dass wir eine Diskussion führen, die wir nicht führen sollten", sagte sie bei der Ankunft vor dem EU-Ratsgebäude. Bei der Abschlusspressekonferenz fügte sie hinzu, man habe die Überwachung des griechischen Reformprogramms ja bereits beim Oktobergipfel beschlossen und überlege nun, wie man diese Kontrolle noch wirksamer machen könne. Natürlich würden griechische Experten wie beschlossen mit eingebunden.

Doch so sehr die Bundesregierung nun betont, dass die EU-Partner nicht gegen den Willen der griechischen Regierung handeln würden: Der Vorschlag eines Sparkommissars ist politisch erst mal vergiftet.

Die Debatte verhagelt Merkel auch die Gipfelbotschaft. Eigentlich sollte von diesem Treffen eine andere, positivere Nachricht ausgehen. Eine große EU-Wachstumsinitiative wollte man vorstellen - gegen Jugendarbeitslosigkeit und für kleine Unternehmen. Über "best practices" wollte man sich austauschen und am Ende ein siebenseitiges Papier voller wohlklingender Absichtserklärungen - und ohne konkrete Finanzzusagen - verabschieden.

Stattdessen muss Merkel nun wieder gegen das Image der hässlichen Deutschen kämpfen. Die Idee des Sparkommissars für Athen bestätigt alte Vorurteile und weckt in ganz Europa Ängste vor der Fremdherrschaft.

Hürden für den Fiskalpakt

Schlimmer noch: Die Debatte dürfte kaum helfen, den nun beschlossenen Fiskalpakt durch die Parlamente der 25 Unterzeichnerstaaten zu bringen. Denn bei der Ratifizierung des zwischenstaatlichen Vertrags warten noch einige hohe Hürden. Im Nachbarland Frankreich wird die Ratifizierung nicht vor der Präsidentschaftswahl im April klappen - und der sozialistische Kandidat François Hollande hat erklärt, die Schuldenbremse nicht einzuführen. Selbst wenn Sarkozy die Wahl gewänne, wäre er auf die Zustimmung der Sozialisten angewiesen. In Italien und Griechenland haben die Regierungschefs keine eigene Machtbasis im Parlament. Und in Irland droht möglicherweise eine Volksabstimmung.

Wie groß die Vorbehalte gegen den Fiskalpakt weiterhin sind, zeigte sich am Montag daran, dass neben Großbritannien nun auch Tschechien den Vertrag nicht unterzeichnen will - aus verfassungsrechtlichen Bedenken, wie es in Brüssel hieß.

Immerhin haben sich die verbliebenen 25 Länder darauf geeinigt, das Klageverfahren gegen Haushaltssünder vor dem Europäischen Gerichtshof weitgehend zu automatisieren. Das hatte besonders die Bundesregierung gefordert. Wenn die EU-Kommission künftig eine Vertragsverletzung einer Regierung feststellt, soll automatisch ein Staat oder eine Gruppe von Staaten beauftragt werden, Klage vor dem EuGH einzureichen. Bis zum nächsten EU-Gipfel Anfang März wollen sich die 25 auf ein Modell festlegen: Denkbar sei, dass die jeweilige Ratspräsidentschaft oder die letzten drei Ratspräsidentschaften mit der Klage betraut würde, so Merkel. So will sie den bisher bestehenden Nichtangriffspakt der Regierungen untereinander aushebeln.

Es war jedoch ein eigentümlicher Gipfel, vor allem, weil das dringlichste Thema, das seit Tagen im Raum stehen, komplett ignoriert wurde. Zu etwaigen weiteren Finanzhilfen für Griechenland hatten die Regierungschefs nichts zu sagen. "Nur ganz kurz" habe man sich mit dem Bericht des griechischen Ministerpräsidenten Loukas Papademos beschäftigt, sagte Merkel. Der Gipfel sei sich einig gewesen, das zweite Griechenlandpaket so schnell wie möglich abzuschließen.

Erst müssen jedoch die Verhandlungen der griechischen Regierung mit den privaten Gläubigern über einen Schuldenschnitt abgeschlossen sein. Zudem lag der neueste Lagebericht der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) noch nicht vor. Ohne diese beiden Ergebnisse, so das Argument der Regierungschefs, fehle die Grundlage, um den zusätzlichen Finanzbedarf Griechenlands zu kalkulieren.

Sobald die Zahlen vorliegen, ist schnelles Handeln angesagt. In Brüssel machten Gerüchte über einen Euro-Sondergipfel kommende Woche die Runde. Ein weiteres Streitthema soll jedoch noch warten: Über die Aufstockung des ständigen Euro-Rettungsfonds ESM habe man am Montag kein Wort verloren, sagte Merkel. Und das soll nach ihrem Willen auch bis März so bleiben. Dann erst steht die Überprüfung der Obergrenze von 500 Milliarden Euro auf der Tagesordnung.

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