EU-Gipfel BDI will Merkels Klimaschutz-Ehrgeiz bremsen

Die Ansätze könnten kaum unterschiedlicher sein: Bundeskanzlerin Merkel will beim EU-Gipfel in Brüssel möglichst konkrete Festlegungen beim Klimaschutz erreichen - aber die deutsche Wirtschaft bremst. BDI-Chef Thumann warnt vor zu viel Belastung für die Unternehmen.

Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht die EU in einer weltweiten Vorreiterrolle beim Klimaschutz. Sie sei den anderen Staaten und der EU-Kommission dankbar, dass diese zu weitreichenden Schritten bereit seien, sagte die CDU-Politikerin der "Financial Times". Europa positioniere sich "als Vorreiter", sagte Merkel. Über die Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen um 20 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 bestehe Einigkeit.

Die Kanzlerin betonte damit kurz vor dem morgen beginnenden EU-Gipfel in Brüssel die historische Dimension der ersten gemeinsamen Energiestrategie der EU. "Das ist für mich ein sehr großer Paradigmenwechsel." Merkel plädierte für möglichst konkrete Festlegungen der Staats- und Regierungschefs. Man sei sich über das Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch auf 20 Prozent zu erhöhen, im Prinzip einig.

Merkel will demnach Skeptiker wie Frankreich überzeugen, indem sie eine Lastenteilung verspricht, bei der die besondere Lage jedes Landes berücksichtigt wird. "Es gibt Länder wie Schweden, die schon über 25 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien haben, und andere wie Malta, die unter einem Prozent liegen. Das wird der nächste Schritt der Verhandlungen."

Mit der Festlegung auf EU-Ebene will die Kanzlerin laut "Financial Times" die anstehenden Verhandlungen über eine weltweite Klimaschutzstrategie voranbringen. Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm wolle sie ein Signal der versammelten Staats- und Regierungschefs erreichen. "Wir werden versuchen, die politische Verpflichtung in die Arbeit und die Schlussfolgerungen des Gipfels in Heiligendamm einzubringen", wurde Merkel zitiert. Aus den USA und China gebe es bereits ermutigende Signale.

Müntefering warnt vor Symbolpolitik

Vizekanzler Franz Müntefering warnte vor einseitigen Maßnahmen. "Bei dieser Frage muss Deutschland aufpassen, dass wir nicht Symbolpolitik betreiben und davon ablenken, was wirklich getan werden muss", sagte Müntefering der "Bild"-Zeitung. "Die entscheidende Frage ist nicht, ob in Deutschland künftig alle zu Fuß gehen, sondern: Wie bringen wir auch andere Länder dazu, klimafreundlicher zu werden", sagte Müntefering. Eine konkrete Frage sei etwa, was getan werden könne, damit China umweltfreundliche Kraftwerke baue.

Müntefering regte an, innerhalb der nächsten Jahre alle öffentlichen Gebäude mit einem besseren Wärmeschutz auszustatten: "Ich will, dass Bund und Länder sich verpflichten, innerhalb von drei bis fünf Jahren alle öffentlichen Gebäude umweltgerecht zu sanieren - vom Ministerium bis zum letzten Rathaus." Dies schaffe Arbeitsplätze, rechne sich und schone die Umwelt.

Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Ulrich Kelber sprach sich für die Besteuerung des Flugbenzins aus. "Die Kerosinsteuer ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass nämlich nicht die am meisten umweltschädliche Art des Reisens auch noch subventioniert wird von der Allgemeinheit", sagte Kelber im Inforadio des RBB. International durchsetzbar sei sie wohl angesichts der ablehnenden Haltung der meisten Reiseländer momentan nicht. "Das wird nur durch bilaterale Verträge stückweise einführbar sein", sagte er.

Plädoyer für längere Atom-Laufzeiten

BDI-Präsident Jürgen Thumann warnte Merkel davor, beim EU-Gipfel Klimaziele einseitig festzuschreiben. Der "Frankfurter Rundschau" sagte er, das Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 EU-weit um mindestens 20 Prozent zu senken, sei äußerst ehrgeizig. "Man kann es anpeilen, aber nicht verbindlich machen." Er verwies darauf, dass Deutschland allein bereits 75 Prozent der Treibhausgas-Reduzierung bringe, die die EU im gültigen Kyoto-Protokoll für das Jahr 2012 zugesagt hat. "Nun sollen wir noch mehr aufgepackt bekommen. Man hat den Eindruck: Der Klassenerste soll jetzt auch noch zusätzlich bestraft werden, in dem er noch mehr bringen muss als alle andern. Das kann nicht sein."

Der BDI-Chef forderte außerdem, die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke um zehn Jahre zu verlängern, um mehr Zeit für die Umstellung auf erneuerbare Energien und CO2-freie Kohlekraftwerke zu haben. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder: "Wir können es uns nicht leisten, in Deutschland Kernkraftwerke abzuschalten", sagte er der "Passauer Neuen Presse".

hen/dpa/Reuters/AP

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