Europa nach dem Brexit "Denkt nicht national-egoistisch!"

Pro-Euro-Demonstration in Athen
Foto: Giannis Papanikos/ AP/dpaWas ist aus diesem Europa geworden, in dem führende Politiker wie Halbstarke über den Ausschluss von Staaten aus der EU schwadronieren, als wäre dies normal, und sich gegenseitig beschimpfen? Haben die Menschen keine anderen Probleme? Wird der Druck durch Demagogen von rechts und links nicht täglich größer?
Die kleinlichen Zankereien unter den Staats- und Regierungschefs müssen aufhören. Das muss das Signal von Bratislava sein. In der harten politischen Wirklichkeit von Terrorbedrohungen, russischer Aggression, dramatischer Jugendarbeitslosigkeit und offenen sozialen Fragen erwarten die Menschen Lösungen von Europa. Unser Kontinent steht durch die Vielzahl und Wucht an Krisen und Megatrends politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich wie noch nie in seiner Geschichte unter Druck.

Manfred Weber, Jahrgang 1972, ist Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und stellvertretender CSU-Chef. Der Niederbayer hat, anders auch als Teile seiner eigenen Partei, stets einen proeuropäischen Kurs vertreten.
Die Menschen wollen von der Politik Lösungen. Vieles kann aber nur gemeinsam gelöst werden. Andernfalls werden die Entwicklungen viel Liebgewonnenes wegfegen. In den kommenden Jahren geht es um die Selbstbehauptung Europas. Das ist nach dem Brexit-Votum deutlicher denn je. Unseren europäischen "Way of Life" werden wir nur retten, wenn wir nicht die ganze Zeit den Schwarzen Peter in Europa herumschieben oder "Brüssel" dämonisieren.
Was erwarte ich von den Staats- und Regierungschefs?
1. Gönnt Europa endlich Erfolge: Vor der europäischen Einigung war unserer Kontinent der kriegswütigste auf der ganzen Welt. Heute herrscht Frieden und Wohlstand. Ohne Europa hätte sich die Welt keine ehrgeizigen Klimaziele gesetzt. Und Europa schafft Verständigung und Abrüstung in der Welt ohne Gewalt, siehe das Atomabkommen mit Iran. Darauf kann man auch mal stolz sein.
2. Denkt nicht national-egoistisch: Ihr versündigt euch, wenn Ihr dem Populismus das Wort redet. Europa ist mehr als die Summe nationaler Interessen. Auch wir Deutschen haben jahrelang eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen abgelehnt. Wir sind erst aufgewacht, als die Flüchtlinge vor unserer eigenen Haustür standen.
3. Nehmt die Regeln ernst: Europa ist eine Rechtsgemeinschaft und kein Selbstbedienungsladen. Regeln müssen eingehalten werden. Das gilt für den Wachstums- und Stabilitätspakt genauso wie für die Einhaltung von Rechtstaatlichkeit und Grundrechten, beispielsweise in Polen.
4. Seid offen für Veränderungen: Nur wer Veränderungen frühzeitig erkennt und angeht, kann sie erfolgreich bewältigen. Wir müssen in Europa aus der Stand-by-Funktion rauskommen und den Kampf aufnehmen. Das bedeutet, die Digitalisierung gestalten, den Klimawandel durch technologische Innovationen abfedern und der Globalisierung klare Leitplanken setzen.
5. Übernehmt Verantwortung: Demokratie kann nicht mit Wegducken gelingen. In Brüssel wird praktisch keine Entscheidung ohne die Zustimmung der nationalen Regierungen getroffen. Die Minister müssen aufhören, in Brüssel die Hand zu heben und in Berlin dann laufend Europa zu kritisieren. Öffnet die Blackbox Brüssel. Das geht am besten, indem die Bürger über Parlamente und Parlamente über die zentralen Personal- und Sachfragen entscheiden.
6. Legt Europas Grenzen fest: Die Menschen haben Sorge vor einem immer größeren, regelungswütigeren und detailverliebteren Europa. Europa braucht klare Grenzen: Die Türkei kann nicht EU-Mitglied sein, in Brüssel muss nur geregelt werden, was notwendig ist, und zwar so, dass es die Menschen verstehen.
7. Baut keine falschen Widersprüche auf: Ein guter Bayer, Deutscher oder Europäer zu sein, ist kein Widerspruch, sondern gehört zusammen. Bereits vor 40 Jahren hat Franz Josef Strauß erkannt, dass der Nationalstaat ein Anachronismus sei, wenn er nicht verstünde, dass er in einer globalisierten Welt nur über Europa weiter stark ist. Gerade wer ein deutscher Patriot sein will, muss ein überzeugter Europäer sein.
8. Lasst uns Europas Werte verteidigen: Sorgen wir dafür, dass Europa seine Seele erhält und behält. Europa ist mehr als eine notdürftige Interessengemeinschaft, sondern vor allem eine christlich geprägte Wertegemeinschaft. Aus unserem Werteverständnis schöpfen wir unsere eigentliche Kraft.
Die Staats- und Regierungschefs, die sich in Bratislava treffen, tragen die Verantwortung, Europa in eine gute Zukunft zu führen. Die heutige Politikergeneration darf nicht das Erbe großer Generationen vor ihr verspielen.