Macrons EU-Reformpläne Absturz für Europas Überflieger

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim EU-Gipfel
Foto: John Thys/ APKnapp sieben Minuten lang referiert Angela Merkel, was sie mit den anderen Staats- und Regierungschefs der EU auf dem Brüsseler Gipfel am Donnerstag und Freitag besprochen hat. Es geht um den Brexit, den nächsten Langfrist-Haushalt der EU, um Russland und das Asowsche Meer. Erst ganz am Ende wendet sich die Kanzlerin dem Eurozonenbudget zu, dem vielleicht wichtigsten Teil der EU-Reformpläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Sie braucht genau eine Minute.
Sicher, das Eurozonenbudget soll ein Posten im künftigen EU-Haushalt sein. Doch es ist wenig übrig von Macrons großer Idee, mit vielen Milliarden Euro im Notfall klammen EU-Staaten unter die Arme greifen zu können. Natürlich kann man das Ganze immerhin als Anfang werten - und sowohl Macron als auch Merkel sind klug genug, das Gipfelergebnis als Erfolg zu verkaufen.
Vor dunkelblauem Hintergrund und der Trikolore preist Macron die Euro-Beschlüsse als "entscheidenden Durchbruch bei den Plänen, die Frankreich vor einem Jahr vorgelegt hat" und lobt die Zusammenarbeit mit Merkel. "Wir spielen eine historische Rolle, gemeinsam mit Deutschland, um voranzukommen." Im Saal nebenan tut Merkel das Gleiche. Man habe sich auf Macrons Vorschläge "in der Version geeinigt, in der alle Staaten der Eurozone mitmachen können", sagt die Kanzlerin. Sowohl sie als auch Macron seien "durchaus zufrieden, dass das jetzt gelungen ist".
Europa hat Macron hängen lassen
Die Wahrheit aber ist bitter: Europa hat Macron hängen lassen. Seit Freitagnachmittag ist das "Fenster der Möglichkeiten", von dem so oft die Rede war, geschlossen. Beim EU-Gipfel hat es in Sachen Eurozonenreform erwartungsgemäß nur zu Minischritten gereicht. Es wird einen zusätzlichen Notfallschirm für angeschlagene Banken geben, und der Euro-Rettungsschirm ESM erhält neue Aufgaben. Das ist nicht nichts, aber eben auch kein Aufbruch.
Das gilt vor allem für das Eurozonenbudget. In der Abschlusserklärung des Brüsseler Gipfels steht zu dem Etat nur ein dürrer Absatz, in dem nicht einmal das Wort Eurozonenbudget vorkommt. Das Geld soll etwa dafür ausgegeben werden, Euromitglieder wettbewerbsfähiger zu machen. Ausdrücklich nicht genannt ist die Stabilisierungsfunktion des Budgets, die Macron wichtig war. Dabei geht es darum, etwa mit Krediten im Krisenfall die Arbeitslosensysteme in den Mitgliedstaaten zu unterstützen.
Die Finanzminister sollen nun Vorschläge für die Ausgestaltung des Budgets vorlegen. Über die Größe des Topfs, den Macron ursprünglich mit mehreren Prozent der EU-Wirtschaftsleistung füllen wollte, verlieren die Staats- und Regierungschefs kein Wort. Man werde dies im Rahmen der Verhandlungen über den nächsten Mehrjahres-Haushalt der EU festlegen, heißt es. Die aber sollen frühestens im Herbst 2019 abgeschlossen sein. Zuvor will man bis Juni einen "allgemeinen Ansatz" für die Eigenschaften des Eurozonenbudgets finden.
Übersetzt heißt das wohl: Erst einmal geschieht gar nichts. Im Mai 2019 steht die Europawahl an, eine neue Kommission muss sich finden. Gut möglich, dass erst die nächste Krise die Europäer wieder zum Handeln zwingt.
Deutschland zaudert, Österreich bremst
Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Wenige Tage nach der Bundestagswahl hatte Macron im Herbst 2017 seine Vision für eine reformierte EU vorgestellt. Die Forderungen zum Euro waren nur ein kleiner Teil dieses öffentlichen Brainstormings, aber der wichtigste. Gemeinsam mit der deutschen Bundeskanzlerin wollte Frankreichs Präsident die EU reformieren.
Doch die Regierungsbildung in Berlin zog sich hin. Als dann endlich der Koalitionsvertrag mit seinem EU-freundlichen Einstiegskapitel fertig war, war er das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben war. Zwar kam man im Juni in Meseberg überein, es gemeinsam mit Reformen zu versuchen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mühte sich in nächtelangen Sitzungen mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire, etwas zum Eurozonenbudget zu Papier zu bringen.
Doch am Ende blieb das alles zögerlich, der deutsch-französische Motor sprang nie richtig an. Hinzu kam der wachsende Widerstand anderer EU-Staaten. Da wären zum einen jene EU-Staaten wie Polen oder Schweden, die nicht zu den 19 Mitgliedern der Eurozone gehören. Es bleibt rätselhaft, warum sie einem Budget zustimmen sollten, das vom eigentlichen EU-Haushalt abgezwackt werden soll und von dem sie nichts hätten.
Macron selbst droht zum Finanzsünder zu werden
Doch auch aus der Eurozone gibt es massive Kritik, vor allem aus den Niederlanden und Österreich. "Ich bin kein Freund des Eurozonenbudgets", ließ der Wiener Regierungschef Sebastian Kurz in Brüssel wissen. Die EU habe schon ein Budget. Ein eigener Eurozonen-Haushalt "würde die Steuerzahler nur sehr viel Geld kosten".
Bevor man fiskalpolitisch enger zusammenrückt, so das Lieblingsargument der Kritiker, müsse man erst die Risiken in der Eurozone weiter abbauen. Als Paradebeispiel gelten die Pläne von Italiens rechten Nationalisten und linken Populisten, die Staatsverschuldung massiv zu erhöhen. Doch ausgerechnet Macron selbst droht nun ebenfalls, im Klub der Finanzsünder zu landen. Die sozialpolitischen Wohltaten, die er den "Gelbwesten"-Demonstranten versprochen hat, könnten dazu führen, dass Frankreich wieder die Grenze von drei Prozent Neuverschuldung reißt.
Frühe Zweifel am Image des Mustereuropäers
Damit ist Macrons Autorität in Brüssel erst einmal ramponiert. Ein reformiertes Frankreich, das sich seit langer Zeit wieder an die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes hält, das war Macrons Versprechen an die Europäer - und vor allem die Reformpartner in Berlin. Die aber sehen jetzt: Wenn es eng für ihn wird, sind auch Frankreichs Präsident die EU-Finanzregeln egal.
Bestätigt fühlen dürften sich nun auch diejenigen, die Macron schon immer misstraut haben. Er versuche wie alle anderen, die Interessen seines Landes durchzusetzen, lästerten Vertreter mehrerer EU-Ländern, darunter Deutschlands. Die Fassade des großen Europäers sei genau das: eine Fassade.
Längst vergessen wirkt die Euphorie, mit der große Teile des restlichen Europas Macrons Wahlsieg über die Rechtspopulistin Marine Le Pen gefeiert hat. Dabei ist das erst eineinhalb Jahre her - und die Rechtspopulisten könnten schon bald zurückschlagen. Zu allererst mit Matteo Salvini, Chef von Italiens rechtsradikaler Lega. Er will sich bei der Europawahl als Macrons großer Gegenspieler in Szene setzen.
Zusammengefasst: Mit großen Plänen für Europa war Emmanuel Macron gestartet - nun ist wenig davon übrig. Der jüngste EU-Gipfel war für den Franzosen eine Enttäuschung, auch wenn er es nach außen anders verkauft. Vor allem die Idee eines Eurozonenbudgets fand in Europa zahlreiche Kritiker. Die Autorität Macrons ist erschüttert, nun wittern gerade die aufstrebenden rechten Kräfte ihre Chance.