Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs Gipfel des Stillstands

Theresa May
Foto: TOBY MELVILLE/ REUTERSEs sollte eigentlich der feierliche Höhepunkt der Brexit-Verhandlungen werden: Beim Gipfel am Mittwoch und Donnerstag wollten die EU-Staats- und Regierungschefs das fertig verhandelte Austrittsabkommen mit Großbritannien absegnen. Doch daraus wird nichts: Die Gespräche sind wegen der Irland-Frage festgefahren, und derzeit gibt es wenig Aussicht auf einen Durchbruch.
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani beharrte im Gespräch mit dem SPIEGEL auf der bisherigen Linie. Er werde beim Abendessen mit den Staats- und Regierungschefs am Mittwoch die drei zentralen Forderungen des Parlaments darlegen:
- Die Rechte der im Vereinigten Königreich lebenden EU-Bürger müssten gewahrt bleiben,
- Die Briten müssten wie vereinbart die Austrittsrechnung in Höhe von 39 Milliarden Pfund zahlen,
- Zwischen Nordirland und der Republik Irland dürfe keine neue harte Grenze entstehen.
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Insbesondere in der Irland-Frage gibt sich Tajani unnachgiebig. "Wenn unsere drei Forderungen im Austrittsabkommen erfüllt sind, werden wir zustimmen", so Tajani. "Aber ohne eine Lösung für Irland ist das unmöglich." Das EU-Parlament muss den Brexit-Deal am Ende absegnen, damit er in Kraft treten kann.
Es dürfe durch den Brexit keine neuen Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland geben, da dies den Friedensprozess in dem ehemaligen Bürgerkriegsland gefährden würde, betonte Tajani. Andererseits müsse sichergestellt sein, dass Importe den EU-Standards entsprechen. Das gelte beispielsweise für Lebensmittel: "Wir müssen unsere Nahrungsmittelindustrie und unsere Landwirtschaft schützen."

Antonio Tajani
Foto: Olivier Matthys/ dpaDas Problem: Die britische Regierung ist entschlossen, sowohl den Binnenmarkt als auch die Zollunion der EU zu verlassen. Damit wären Personen- und Warenkontrollen an der neuen EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland eigentlich unvermeidbar - es sei denn, Brüssel und London einigen sich während der Übergangsphase nach dem Brexit auf einen umfassenden Deal, der Kontrollen überflüssig macht.
Tajani lehnt Begrenzung der Auffanglösung ab
Für den Fall, dass dies nicht gelingt, ist eine Auffanglösung vorgesehen, der sogenannte Backstop. Ihm zufolge würde Nordirland praktisch Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion bleiben, damit keine neue harte Grenze entsteht. In London gibt es allerdings die Sorge, dass sich die Verhandlungen über ein neues Abkommen nach dem Brexit über Jahre hinziehen könnten. Deshalb gibt es von dort Forderungen, die Auffanglösung zeitlich zu begrenzen.
Dem aber erteilte Tajani nun eine klare Absage: "Der Backstop muss vom Ende der Übergangsphase bis zum Inkrafttreten des neuen Vertrags gelten." Das sei eine Bedingung für die Zustimmung des EU-Parlaments zum Austrittsdeal. Er hoffe, dass spätestens im November eine Einigung erreicht wird.
Auf das jüngste Kompromissangebot der EU-Kommission hat die britische Regierung bisher nicht reagiert. Brüssel spielt mit dem Gedanken, die Übergangsphase nach dem Brexit am 29. März 2019 um ein Jahr bis Ende 2021 zu verlängern. Das soll beiden Seiten mehr Zeit geben, die zukünftigen Beziehungen zu regeln, darunter auch die Irland-Frage. Tajani zeigte sich dafür aufgeschlossen: "Sollte das zu einer Lösung führen, wäre ich dafür."
Doch aus London kommen widersprüchliche Signale: Während die BBC berichtet, das Büro von Premierministerin Theresa May schließe eine Verlängerung aus, berichtet die "Times", dass Handelsminister Liam Fox dafür sei. May selbst wich einer entsprechenden Frage vor dem EU-Gipfel in Brüssel aus. "Wenn wir zusammenarbeiten, können wir das Problem lösen", sagte sie. Am Mittwochabend sollte May ihre Position in einer Rede vor den EU-Staats- und Regierungschefs erläutern.
"Wir sind Europäer der ersten Stunde"
Am Donnerstag geht es beim EU-Gipfel unter anderem um die Flüchtlings- und Migrationsfrage. Hier drängt Tajani auf Tempo - kein Wunder, denn ein Blick in den Entwurf des Gipfelkommuniqués zeigt, dass die EU bislang weitgehend den Stillstand verwaltet. Die sogenannten Ausschiffungsplattformen in Nordafrika oder die kontrollierten Zentren für die Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb der EU kommen in dem Entwurf gar nicht mehr vor. Noch im Juni hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entsprechende Beschlüsse als "europäische Lösung" in der Flüchtlingskrise gefeiert und so den Dauerstreit mit der CSU zu ihren Gunsten entschieden.
"Wir sind bei der Lösung der Migrationsfrage in Verzug", sagt Tajani, "aber wir dürfen nicht aufgeben. Wenn wir das Flüchtlingsproblem nicht lösen, stärken wir die Populisten weiter." Um die Reform der Dublin-Verordnung für ein besser abgestimmtes europäisches Asylsystem voranzubringen, macht Tajani zwei konkrete Vorschläge.
Zum einen sollen Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, Geld in einen Fonds für Afrika zahlen. "Ich rede dabei nicht über Peanuts, da muss richtig Geld fließen", so Tajani. Da sich davon wohl nicht alle Länder überzeugen lassen, schlägt er vor, im zuständigen Ministerrat die Entscheidung über die Dublin-Reform nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit zu fällen. "Dieses Verfahren ist so vorgesehen. Wir sollten es nutzen."
Sorge um Italien
Nach Angaben von Diplomaten geht in der Migrationsfrage derzeit vor allem deshalb nichts voran, weil die italienische Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung an allen Fronten Blockaden aufbaut. Zudem hat sie zuletzt einen Haushaltsentwurf verabschiedet, der den Schuldenstand stark erhöhen und damit EU-Regeln widersprechen würde. Dennoch fordert Tajani die Europäer auf, ihren Ton gegenüber Rom zu mäßigen. "Das Budget ist ein europäisches Problem, aber es nützt nichts, jetzt Öl ins Feuer zu gießen. Ein Angriff auf die italienische Regierung stärkt die Populisten nur."
Die große Mehrheit der Italiener sei trotz anderslautender aktueller Umfragen weiterhin für den Euro und Europa. Die von den neuen Regierungsparteien vorgebrachte Idee eines EU-Austritts seines Landes bezeichnete Tajani als "verrückt". "Italien ist nicht Großbritannien, Italien ist ein Gründungsland der EU, wir sind im Euro. Wir sind Europäer der ersten Stunde."