EU in der Flüchtlingskrise Dann eben ohne Osteuropa

Innenminister de Maizière mit Amtskollegen Jan Jambon aus Belgien und Etienne Schneider aus Luxemburg: Koalition der Willigen in der Flüchtlingskrise?
Foto: Laurent Dubrule/ dpaDie EU-Innenminister berieten im Europäischen Ratsgebäude wieder einmal über die Flüchtlingskrise, doch das vielleicht wichtigere Treffen fand auf der anderen Straßenseite statt - im Berlaymont, dem futuristischen Sitz der EU-Kommission. Dort trafen sich ranghohe Vertreter aller 28 EU-Staaten sowie der Schweiz und Norwegen, um zu besprechen, wie man auf freiwilliger Basis Hunderttausende Flüchtlinge aus der Türkei und den Nachbarländern des Bürgerkriegslands Syrien in die EU bringen könnte.
Wer die Gründe für das Treffen erfahren wollte, musste nur den zeitgleich tagenden Innenministern lauschen. Was dort besprochen wurde, klang wie ein Katalog des Scheiterns: Der Zustrom von Flüchtlingen schwächt sich allenfalls wegen des hereinbrechenden Winters ein wenig ab, das Hotspot-System zur Umverteilung von Migranten kommt nicht von der Stelle, in überfüllten Aufnahmezentren herrscht Chaos, der Schutz der EU-Außengrenzen ist kaum vorhanden.
Man wolle den Schengenraum und damit die Reisefreiheit innerhalb der EU erhalten, sagte etwa Bundesinnenminister Thomas de Maizère. Aber dafür "brauchen wir einen funktionierenden Außengrenzschutz. Und der ist mangelhaft", so der CDU-Politiker. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach von einem "Kontrollverlust an der europäischen Außengrenze". Griechenland sieht sich inzwischen gar mit der Drohung konfrontiert, vorübergehend aus dem Schengenraum ausgeschlossen zu werden.
Koalition der Willigen statt Dauerstreit
Auch die Umverteilung der Flüchtlinge kommt nicht von der Stelle, schon weil die meisten der beschlossenen Hotspots in Griechenland und Italien noch immer nicht einsatzfähig sind. 160.000 Flüchtlinge, so hat es die EU vor Monaten beschlossen, sollen aus den beiden Ländern innerhalb der EU verteilt werden - doch bisher haben nur einige Dutzend eine neue Bleibe gefunden. Die neue polnische Regierung hat kürzlich erklärt, sich an den EU-Beschluss nicht mehr gebunden zu fühlen, die Slowakei und Ungarn klagen inzwischen gar vor dem Europäischen Gerichtshof.
Deshalb konkretisieren sich jetzt die Pläne für eine "Koalition der Willigen". Bereits vor dem EU-Türkei-Gipfel am vergangenen Sonntag hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Staats- und Regierungschefs aus Schweden, den Benelux-Staaten, Griechenland, Finnland und Österreich getroffen, um über die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen zu reden. Am Freitag diskutierten nun Unterhändler der gesamten EU über die Frage, wie eine solche Umsiedlung an der EU vorbei technisch geregelt werden könnte.
Denn auch wenn offiziell keine Zahlen genannt wurden, ist klar: Es geht um Hunderttausende Menschen. Und das verlangt auch nach logistischen Lösungen. Es habe sich um ein erstes Sondierungstreffen gehandelt, hieß es aus der EU-Kommission. Sie wolle am 15. Dezember einen Vorschlag für die Umsiedlung von Flüchtlingen präsentieren.
Situation an der türkisch-griechischen Grenze kaum verändert
Der Vorstoß sorgt allerdings für Ärger bei der EU. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der vor der Presse ansonsten bevorzugt auf Französisch parliert, wechselte am Freitag in die deutsche Sprache, um seinem Ärger Luft zu machen. "Wir dürfen uns nicht verlieren in einer großen, schweren Debatte darüber, Hunderttausende Menschen umzusiedeln", sagte er. "Es ist sehr gefährlich, das zu tun. Und es ist illusorisch zu glauben, dass wir das realisieren können." Zuvor hatte Asselborn bereits gesagt, dass er nicht sehe, wo eine "Koalition der Willigen" zu finden sei.
Eines allerdings steht fest: Der Druck steigt. Denn auch die letzte Hoffnung der EU auf eine schnelle Senkung der Flüchtlingszahlen scheint sich bisher nicht zu erfüllen: die Kehrtwende an der türkisch-griechischen Grenze. Auf dem EU-Türkei-Gipfel hatte sich Ankara verpflichtet, die Zahl von Flüchtlingen, die über die Grenze nach Griechenland und von dort über die Westbalkanroute nach Westeuropa kommen, deutlich zu senken. Im Gegenzug wurden der Türkei unter anderem drei Milliarden Euro sowie die Aussicht auf Visaerleichterungen und einen EU-Beitritt versprochen.
Doch die griechischen Behörden erklärten zuletzt, noch immer gespannt auf einen Rückgang des Zustroms zu warten. In Berlin kommt man zu einem ähnlichen Schluss. Zwar seien die Flüchtlingszahlen leicht zurückgegangen, hieß es aus Regierungskreisen. Doch bisher sei man nicht sicher, ob das nun an Maßnahmen der türkischen Regierung oder an der Verschlechterung des Wetters liege. Klar sei nur eines: Von einem starken Rückgang könne man nicht reden.
Zusammengefasst: Die EU kann im Kampf gegen die Flüchtlingskrise kaum Fortschritte erzielen - unter anderem, weil sie intern zerstritten ist. Nun will eine "Koalition der Willigen" voranschreiten. Ob das aber gelingt, ist völlig offen.