EU-Kandidat Rumänien Wo es fünf Wörter für Bestechungsgeld gibt
Es dauert nicht lang, bis man in Rumänien der Korruption begegnet. Am Flughafen in Bukarest gibt es offiziell nur eine Taxifirma, doch die Fahrer der alten Dacias ignorieren das einfach. Unter den Augen der wachhabenden Polizisten fangen sie am Eingang die Passagiere ab und verfrachten sie in ihre Piratentaxis. "Die zahlen den Polizisten Spaga", schimpft einer der offiziellen Fahrer.
"Spaga" ist nur eines von fünf rumänischen Wörtern für ein und dieselbe Sache: Bestechungsgeld. Die Begriffe "Mita", "Spert", "Drept" und "Ciubuc" beschreiben die gleiche Unsitte. Das Land am Schwarzen Meer ächzt darunter, für fast jeden Service extra zahlen zu müssen. "Das beginnt mit der Geburt und endet erst mit dem Tod", sagt der Taxifahrer. Um seinen neugeborenen Sohn in den Armen halten zu dürfen, musste er damals der Hebamme einen 10.000-Lei-Schein (umgerechnet 24 Cent) zuschieben. Auch der Friedhofsverwalter will Bares sehen, bevor er auf dem Plan doch noch einen freien Grabplatz findet.
Hotline gegen Korruption
Bis zu zehn Prozent des Haushaltseinkommens verwenden rumänische Familien auf "Spaga", hat kürzlich eine Studie festgestellt. In der Korruptionsrangliste von Transparency International landet Rumänien regelmäßig hinter allen anderen europäischen Ländern. Ausländische Staatsgäste, wie vergangene Woche Bundeskanzler Gerhard Schröder, bringen das Thema bei jedem Besuch missbilligend zur Sprache.
Erst in den letzten Jahren, mit Blick auf den angestrebten EU-Beitritt, hat die Regierung von Ministerpräsident Adrian Nastase den Kampf gegen die Korruption zur Chefsache erklärt. 2002 wurde nach dem Vorbild Italiens und Spaniens ein zentrales Anti-Korruptions-Büro eingerichtet. Über eine Hotline können Bürger inzwischen bestechliche Landsleute denunzieren. Öffentliche Kampagnen sollen die Menschen dazu bringen, ihren Zahlungsreflex zu zähmen. Doch die Resultate lassen auf sich warten.
Die grassierende Korruption ist nur das prominenteste einer Reihe von Problemen, die einen EU-Beitritt in weniger als drei Jahren als Abenteuer erscheinen lassen. "Wir sind meilenweit davon entfernt, für die EU vorbereitet zu sein", sagt Ionut Popescu, ehemaliger Chefredakteur des Finanzmagazins "Capital".
Börsenboom an der Rasdaq
Der 39-Jährige sitzt in einem Café im besten Bukarester Viertel, in dem die Fassaden genauso grau sind wie im Rest des Landes. "Firmen werden sterben wie die Fliegen. Die Menschen haben keine Ahnung, was auf sie zukommt", malt Popescu schwarz. Seine daneben sitzenden Freunde, ein Immobilien-Entwickler und ein Mathematiker, nicken. Die Mehrheit der rumänischen Unternehmen sei nicht wettbewerbsfähig.
Für Popescu persönlich könnten die Zeiten hingegen nicht besser sein. Seit er 1999 den Posten als Chefredakteur niedergelegt hat, spekuliert er an der Bukarester Börse. "Ich mache Gewinne von 100 Prozent - pro Jahr", prahlt er. Mindestens bis zum EU-Beitritt soll es so weitergehen.
Die Anlegerkultur entwickelt sich seit Mitte der Neunziger rapide: Damals wurde die Rasdaq gegründet, eine Börse für 5000 privatisierte Staatsfirmen. Neun Millionen Rumänen erhielten Anteilsscheine. Seither zockt auch die Mittelschicht.
Die Regierung freut sich über jährliches Wirtschaftswachstum von mehr als fünf Prozent und rasant steigende Auslandsinvestitionen. Doch Rumänien bleibt ein armes Land. 30 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei umgerechnet 2000 Dollar (1630 Euro) im Jahr.
Schattenwirtschaft wächst
"Die Einkommen steigen nur langsam, weil die Schattenwirtschaft wächst", erklärt George Cristodorescu, Vertreter der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in Bukarest. Die Schattenwirtschaft macht 30 bis 40 Prozent des Bruttosozialprodukts aus - ein astronomischer Wert. Der Steuerausfall führt zu einem niedrigen Staatshaushalt, der wiederum den Spielraum der Regierung für Infrastrukturprojekte einschränkt.
Am Platz der Vereinten Nationen in Bukarest stehen zwei etwa zwanzigstöckige Rohbauten. Der größenwahnsinnige Diktator Nicolae Ceaucescu hatte den Bau angeordnet, bevor die Revolution kam, die ihn das Leben kostete. Fünfzehn Jahre später stehen die Gebäude immer noch da, unvollendet, ein Symbol der Stagnation. In den goldenen Zwischenkriegsjahren hatte Bukarest einmal "Paris des Ostens" geheißen. Heute sind die prächtigen Fassaden rußgeschwärzt, die Altstadt ist in großen Teilen verfallen.
"Keine schöne Demokratie"
Die politische Realität ist nicht viel hübscher. Zwar wurden Ceaucescu und seine führenden Mitarbeiter nach der Revolution kurzerhand exekutiert, doch die restlichen Funktionäre bilden das Rückgrat des neuen Systems. Verfolgt man die verschiedenen Häutungen der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD zurück, gelangt man irgendwann zur alten KP Ceaucescus.
Die PSD, die mit Ausnahme einer vierjährigen Unterbrechung seit 1989 sowohl den Ministerpräsidenten als auch den Staatspräsidenten stellt, kontrolliert das Land bis auf die Bürgermeisterebene hinab. Politische Aktivisten zitieren gern ein Beispiel: Bei der Kommunalwahl 2000 gewann die PSD 35 Prozent der Bürgermeisterämter. In den vier Jahren bis zur nächsten Wahl vermehrte sich dieser Anteil wundersam auf 75 Prozent. Die Erklärung: Bürgermeistern, die in der falschen Partei sind, kann es passieren, vom Strom der Bundeszuschüsse abgeschnitten zu werden. Da dies die wichtigste Einkommensquelle vieler Kommunen ist, wechseln Lokalpolitiker massenhaft die Partei - je nachdem, wer gerade in Bukarest regiert.
EU als Reform-Garant
"Es ist keine schöne Demokratie", sagt Adrian Sorescu, Geschäftsführer der Assoziation für Demokratie. Die NGO wurde 1991 gegründet, um die Zivilgesellschaft zu stärken. Sein Büro befindet sich im sechsten Stock eines Wohngebäudes. An der Wand hängt eine Karte des EU-Raumes. "Die Aussicht auf den EU-Beitritt hat den Reformprozess unglaublich beschleunigt", sagt er. "Heute kämpft sogar die PSD gegen Korruption". Bitter fügt er hinzu: "Jetzt können sie es sich auch leisten, anständig zu sein, nachdem sie jahrelang öffentliche Gelder in die eigene Tasche gewirtschaftet haben."
Doch es gibt Zeichen, dass die PSD-Ära zu Ende geht. Bei den Kommunalwahlen im Juni musste die Partei eine herbe Niederlage einstecken und verlor fast alle großen Städte. "Die Leute haben genug von der Arroganz und der Korruption", sagt Bogdan Ficaec, Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung "Romania Libera". Laut Umfragen könnte die bürgerliche Opposition bei den Nationalwahlen im November den Sieg davontragen.
Ein Regierungswechsel würde gut zur Aufbruchstimmung passen, die viele Rumänen zum Ausdruck bringen. "Die Chancen, die dieses Land bietet, sind gewaltig", sagt Popescu. "Börse, Immobilien, Textilien, IT, Agrarland, suchen Sie es sich aus."
Insbesondere mit Agrarland wird bereits schwunghaft spekuliert. Investoren zahlen pro Hektar 5000 Euro - fünfmal weniger als in Italien oder Österreich. Mit dem EU-Beitritt dürfte sich der Wert vervielfachen. Deutsche Investoren seien aber immer noch zu zögerlich, sagt Cristodorescu. Dabei ist Deutschland nach Italien der zweitwichtigste Handelspartner.
Auf dem EU-Beitritt ruhen alle Hoffnungen. "Er wird in jeder Konversation erwähnt", sagt Cristodorescu. Um die Bedeutung der EU zu illustrieren, bemüht Ficeac das 19. Jahrhundert: Damals importierte Rumänien einen König aus Deutschland. Es folgte die goldene Epoche, in der Bukarest zur Metropole herausgeputzt wurde. "Heute können wir keinen deutschen König mehr holen, aber wir können der EU beitreten", sagt er.
Chef-Unterhändler: EU-Beitrittsvertrag 2005
Der Beitritt ist politisch so gut wie beschlossen. Auf seiner Rumänien-Reise nannte Schröder das Datum Anfang 2007 "realistisch". Auch der rumänische EU-Chefunterhändler Vasile Puscas ist optimistisch. Die fünf noch ausstehenden Kapitel des Acquis Communitaire seien bis Jahresende verhandelt. Nächstes Jahr will er den Beitrittsvertrag unterzeichnen.
Doch dass bis 2007 keins der gravierenden Probleme gelöst sein wird, gilt als offenes Geheimnis. Die Stadt Baia Mare im Norden, wo etliche Chemiefabriken angesiedelt sind, ist eine der giftigsten Gegenden Europas. Die Korruption bleibt tief verwurzelt. Die Privatisierung der maroden Staatsunternehmen gewinnt inzwischen auf Druck der EU an Fahrt, doch der Nachholbedarf ist riesig.
Immer noch gibt es Hunderte der so genannten "Flohfirmen", private Unternehmen, mittels derer Vorstände und Politiker Ressourcen aus den Staatsbetrieben abziehen. Popescu erklärt die Funktionsweise der Parasitenfirma: Der Direktor von Staatsbetrieb X gibt seine Produkte an eine Flohfirma, die ihm selbst gehört, zu einem besonders niedrigen Preis ab. Die Flohfirma verkauft das Produkt zum Marktpreis. Den Profit streicht die Flohfirma ein, während der Staatsbetrieb rote Zahlen schreibt.
"Was glauben Sie, wie einzelne Politiker so reich geworden sind?", fragt Ficeac. Der Journalist dirigiert von seinem türkisfarbenen i-Mac aus den Kampf gegen den Regierungsfilz. Eine seiner Lieblingsanekdoten betrifft das 1999 eröffnete Büro gegen Geldwäsche. "Vor fünf Jahren gegründet, und gerade erst die erste Pressekonferenz", erregt er sich. "Was haben die die ganze Zeit gemacht?"
In einem sind sich die Kritiker einig. Das Land braucht die EU-Mitgliedschaft, um seine Probleme zu lösen. "Rumänien ist nicht bereit und wird auch nie bereit sein", bilanziert Popescu. "Ebenso wie Spanien und Portugal damals nicht bereit waren."