EU-Studie Ausländer beklagen massiven Rassismus in Europa
Straßburg/Genf - Rassistische Straftaten und Diskriminierung von Minderheiten sind in Europa noch immer an der Tagesordnung. Jeder Zehnte wurde wegen seiner Herkunft noch in jüngster Vergangenheit angegriffen oder belästigt, wie aus einer am Mittwoch in Brüssel vorgestellten Umfrage der Europäischen Grundrechteagentur (FRA) hervorgeht. Für die Erhebung wurden europaweit 23.500 Personen interviewt.
55 Prozent der Befragten nannten Diskriminierung in Europa ein großes Problem, 37 Prozent gaben an, selbst Opfer von Diskriminierung geworden zu sein. Zwölf Prozent berichteten von tätlichen oder verbalen Angriffen. Zugleich erklärten 80 Prozent der persönlich von Rassismus Betroffenen, sie hätten den Vorfall nicht gemeldet. Der Direktor der Grundrechteagentur, Morten Kjaerum, folgerte daraus: "Die offiziellen Zahlen über Rassismus in der EU sind nur die Spitze des Eisbergs."
Am stärksten betroffen sind der Erhebung zufolge die Roma: 47 Prozent von ihnen erklärten, sie seien in den zurückliegenden zwölf Monaten mindestens ein Mal Opfer von Diskriminierung geworden. Von den befragten Schwarzafrikanern stimmten 41 Prozent dieser Aussage zu, unter den Nordafrikanern 36 Prozent. Auch 23 Prozent der befragten Türken und 23 Prozent der in anderen EU-Staaten lebenden Osteuropäer gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens ein Mal diskriminiert worden zu sein.
Gefragt wurde nach Diskriminierung in neun Bereichen: bei Bewerbungen, am Arbeitsplatz selbst, bei der Wohnungssuche, in Arztpraxen und Krankenhäusern, im Arbeits- oder Sozialamt, in Cafés oder Restaurants, Geschäften, bei der Eröffnung eines Kontos oder der Aufnahme von Krediten, sowie Diskriminierungen durch Lehrer.
80 Prozent der Betroffenen erklärten, sie hätten sich über die erlebte Diskriminierung weder an Ort und Stelle - also bei dem verantwortlichen Arbeitgeber, Geschäftsinhaber oder Schulleiter - beschwert, noch bei einer dafür zuständigen Behörde oder Organisation. Als Grund nannten die meisten (63 Prozent), eine Beschwerde würde sowieso nichts bringen. Die Ergebnisse zeigten, dass unter Minderheiten und Zuwanderern Resignation herrsche und das Vertrauen in die Mechanismen des Opferschutzes häufig fehle, sagte Kjaerum.
Zwölf Prozent der Befragten erklärten, sie seien in den zurückliegenden zwölf Monaten wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit Opfer einer rassistisch motivierten Straftat geworden. Darunter fallen auch gewaltsame Übergriffe und die Androhung von Gewalttaten, denen vier Prozent der Befragten zum Opfer fielen.
Die Studie ist den Angaben zufolge die erste EU-weite Erhebung zu den Erfahrungen von Zuwanderern und ethnischen Minderheiten mit Diskriminierung und rassistisch motivierten Straftaten. Die FRA forderte die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten auf, die Situation zu verbessern, indem die Meldung und Erfassung von Diskriminierungsfällen und rassistisch motivierten Straftaten gefördert, die Antidiskriminierungsgesetze umfassend angewendet und Minderheiten besser über ihre Rechte informiert werden.
Auf der Uno-Konferenz gegen Rassismus in Genf wurde die Befürchtung laut, dass die anhaltende Wirtschaftskrise und die gleichzeitig steigende Arbeitslosigkeit zu mehr Fremdenfeindlichkeit führen könnten. Die Regierungen sollten trotz Krise entschlossen gegen Rassismus und Intoleranz vorgehen, forderten mehrere Delegierte. Der Generalsekretär des Europarats, Terry Davis, erklärte, Regierungen könnten die Menschen nicht zu Toleranz zwingen. Sie sollten sich aber für den Dialog der Religionen, Volksgruppen und Menschen unterschiedlicher Hautfarbe einsetzen.