EU-Subventionen Milchmärchen von Milchmädchen
Auf die bayerischen Milchbauern war stets Verlass: Sie waren der feste "Schwarze Block" der CSU, mitsamt Familie und Nachbarschaft eine große verlässliche Truppe, die in Treue fest zur christsozialen Freistaatspartei stand. Nun ist plötzlich alles anders. Seit die Milchpreise ins Bodenlose gefallen sind, fühlen sie sich in ihrer Existenz bedroht und von den Regierenden verlassen.
Sie laufen nun in Scharen zu den "Freien Wählern" über, sagen Wahlprognostiker. Wenn die Scharen so groß werden, wie im CSU-Hauptquartier in München heimlich befürchtet, dann käme die CSU bei den EU-Wahlen am 7. Juni erstmals in ihrer Geschichte nicht ins Europäische Parlament: Tschüs, abgestiegen, zweite Liga. Auch die Folgen für die deutsche Politik und die Bundestagswahlen im Herbst wären unkalkulierbar.
Weil das nicht sein soll, werden die seit langem protestierenden Milchbauern nun plötzlich reich beschenkt. Nicht nur von der CSU, sondern auch von der großen Koalition in Berlin und, auf deutschen Druck, von der EU in Brüssel. Die armen Milchvieh-Halter seien ja wirklich in "einer schwierigen Situation" , konstatierte der Regierungssprecher jetzt quasi amtlich, als er kundtat, was Frau Merkel, Herr Seehofer und Herr Steinmeier alles in den Geschenkekorb gepackt haben:
- Deutsche Bauern dürfen mehr steuervergünstigten Diesel tanken; dafür nimmt der Finanzminister eine weitere halbe Milliarde Euro Schulden auf.
- Agrarbeihilfen sollen dieses Jahr im Oktober und nicht erst, wie üblich, im Dezember ausgezahlt werden; das bringt, sagen die Milchbauernhelfer, "Liquidität auf die Höfe".
- Kredite sollen staatlicherseits verbilligt werden.
- Brüssel will wieder Zigtausende von Tonnen Butter aufkaufen und zu Dumpingpreisen auf den Weltmärkten verschleudern, um so das europäische Überangebot zu reduzieren.
Das alles kostet viel Geld - und bringt den Betroffenen so gut wie nichts. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die Verheißungen als Milchmärchen, fragwürdige Konstrukte aus Milchmädchen-Rechnungen.
Subvention für Agrardiesel - krass am Ziel vorbei
Zum Beispiel der steuervergünstigte Agrardiesel, die teuerste Maßnahme: Den dürfen alle Bauern tanken. Drei Viertel von denen haben nicht eine Kuh im Stall, leiden also auch nicht unter dem Verfall der Milchpreise - aber an sie fließt das Gros der Staatsbeihilfe. Damit gehen drei Viertel des Geldes krass am Ziel vorbei.
Die gemessen an ihrer Konzeption verschleuderten Staatshilfen haben zudem einen ökologisch wie sozial fragwürdigen Verteilungseffekt. Der sieht so aus:
- Für die Mehrheit der kleineren Höfe wird die jährliche Dieselsteuerersparnis bei 350 Euro liegen. Nur Betriebe, die mehr als 10.000 Liter Diesel vertreckern und verpflügen, profitieren zusätzlich.
- Ein Hundert-Hektar-Hof, errechnete Lutz Ribbe, Agrarexperte der Umweltorganisation Euronatur, bekommt pro Jahr noch einmal knapp tausend Euro dazu. Das ändert auch seine wirtschaftliche Situation nicht wirklich.
- Anders beim großen Ackerbauern mit tausend Hektar, der spart fast 30.000 Euro Dieselsteuer.
- Und ein 2000 Hektar riesiger Agrarbetrieb profitiert mit über 60.000 Euro - auch ohne jede Kuh, wohlgemerkt.
Im Ergebnis heißt das: Großbauern, ob sie nun Zuckerrüben, Kartoffeln oder Mais anbauen, die mit ihrem PS-starken Maschinenpark viel Energie verbrauchen, bekommen viel Geld vom Staat, kleine Bauern, deren Kühe womöglich auf der grünen Wiese grasen, nur wenig.
Auch von verbilligten Krediten und vorzeitig ausgezahlten Subventionen - den anderen Staatsgeschenken für die Milchbauern - hat der normale Kuh-Halter nur wenig. Denn sein seit dem vorigen Jahr dramatisch geschrumpftes Einkommen steigt ja dadurch um keinen Cent. Im Gegenteil, womöglich lässt er sich durch die Offerten der Wahlkämpfer zum zusätzlichen Schuldenmachen verleiten - in der Hoffnung auf eine baldige wirtschaftliche Besserung. Aber die ist alles andere als absehbar. Die Nachfrage nach Milchprodukten in Europa sinkt, das überschüssige Angebot drückt die Preise.
Eine Gruppe von EU-Ländern, angeführt von Großbritannien, den Niederlanden und Schweden, will die milliardenschweren Agrarsubventionen in Europa kräftig kürzen. Schweden übernimmt im Juli den EU-Ratsvorsitz und hat schon angekündigt, an der Stelle aktiv zu werden.
Im späten Herbst, wenn alle Wahlen gelaufen sind, dann wird vielleicht jemand in München oder Berlin den deutschen Milchbauern gestehen, dass nicht alle von ihnen in der Milch-Marktwirtschaft auf Dauer ihr Auskommen finden werden - trotz aller heldenhaften Anstrengungen ihrer politischen Freunde, Gönner und Beschützer.