Abschiebungen ins Kriegsgebiet Wie Erdogan den Flüchtlingsdeal torpediert

Die EU zahlt der Türkei Geld, damit sich das Land um die Unterbringung von Flüchtlingen kümmert. Nun soll die Erdogan-Regierung Syrer ins Kriegsgebiet abgeschoben haben. Kippt der EU-Türkei-Deal?
Der türkische Präsident Erdogan: 2016 bekam er von den Europäern Finanzhilfen versprochen, wenn er im Gegenzug Flüchtlinge von Europa fernhält

Der türkische Präsident Erdogan: 2016 bekam er von den Europäern Finanzhilfen versprochen, wenn er im Gegenzug Flüchtlinge von Europa fernhält

Foto: Depo Photos/ imago images

Mohammed Kaya sagt, er habe nur noch einen Wunsch: Er wolle raus aus Istanbul, raus aus der Türkei. Seit rund zwei Wochen sitzt er in seiner Istanbuler Wohnung fest - gemeinsam mit zehn weiteren syrischen Flüchtlingen. Die Männer und Frauen wechseln sich ab, um Besorgungen auf dem Markt zu machen. Sonst verlassen sie das Gebäude nicht mehr. Sie gehen auch nicht zur Arbeit.

Denn sie fürchten, von der türkischen Polizei aufgegriffen und nach Syrien zurückgebracht zu werden. Kaya will deshalb auch seinen echten Namen nicht nennen.

Angaben von syrischen Oppositionellen zufolge wurden Ende Juli innerhalb einer einzigen Woche etwa tausend syrische Flüchtlinge nach Idlib deportiert  - mitten ins Kriegsgebiet. 5000 sollen wegen ungültiger Papiere verhaftet worden sein. Das Regime von Syriens Diktator Baschar al-Assad bemüht sich seit Monaten, die Provinz Idlib von den Rebellen zurückzuerobern. Die Vereinten Nationen warnen vor der größten humanitären Katastrophe des Jahrhunderts.

Die Berichte über Abschiebungen aus der Türkei nach Idlib haben nicht nur Flüchtlinge wie Kaya in Panik versetzt. Sie haben auch die Debatte über den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei neu entfacht.

Ist die Türkei ein sicheres Drittland?

Präsident Recep Tayyip Erdogan bekam von den Europäern 2016 unter anderem Finanzhilfen versprochen, wenn er im Gegenzug Flüchtlinge von Europa fernhält. Migranten sollten zudem im Schnellverfahren von griechischen Inseln in die Türkei zurückgeschickt werden.

Der Deal beruht auf der Annahme, dass die Türkei ein sicheres Drittland ist. Menschenrechtsorganisationen haben das von Beginn an verneint. "Es gibt Kriterien, die sichere Herkunftsstaaten erfüllen müssen, die Türkei erfüllt sie nicht", sagte Karl Kopp von Pro Asyl. Nun mehren sich die Bedenken.

Die Berichte über Abschiebungen nach Idlib ließen nur einen Schluss zu, sagt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken: "Es darf keine weitere Zusammenarbeit mit Erdogan in der Flüchtlingsabwehr geben."

Wie aus einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Gökay Akbulut hervorgeht, ist der Bundesregierung die Berichterstattung über "angebliche Rückführungen syrischer Staatsangehöriger" bekannt. In dem Schreiben verweist die Regierung jedoch darauf, dass die türkische Regierung die Berichte dementiert. Auch das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen könne die Nachrichten nicht verifizieren.

Die Bundesregierung begrüße die Aussagen des türkischen Innenministers, dass keine Abschiebungen von Syrern oder anderen Flüchtlingen mit Schutzstatus vorgenommen würden, heißt es in der Antwort weiter. Das Schreiben zeige, dass die Bundesregierung ausweichen möchte, sagte Linken-Abgeordnete Akbulut. Die Türkei könne in diesem Zusammenhang für Deutschland und die EU nicht als verlässlicher Partner beim Thema Flüchtlingsschutz gesehen werden.

"Flüchtlinge dürfen nicht zur Rückkehr nach Syrien gezwungen werden"

Selbst deutsche Regierungspolitiker zweifeln inzwischen an dem Deal: Sollte die Türkei syrische Flüchtlinge ins Kriegsgebiet überführen, würde das das Flüchtlingsabkommen komplett infrage stellen, sagte der integrationspolitische Sprecher der SPD, Lars Castelluci. Er will gemeinsam mit der Türkei nach Lösungen suchen.

"Flüchtlinge und Asylsuchende dürfen nicht gezwungen werden, in irgendeinen Teil Syriens zurückzukehren, solange die vom UNHCR geäußerten Bedingungen für eine sichere und freiwillige Rückkehr nicht erfüllt sind", sagte auch ein Sprecher der EU-Kommission.

Die Türkei hat rund 3,6 Millionen Syrer aufgenommen, mehr als jedes andere Land. Inzwischen ist die Stimmung aber gekippt. Das Land steckt in einer Wirtschaftskrise. Spannungen zwischen Türken und Syrern nehmen zu. Präsident Erdogan hat eine Kehrtwende in der Migrationspolitik vollzogen.

"Platzt der Deal, würde das für alle Seiten die Situation verschlimmern"

Er hat an der Grenze zu Syrien eine Mauer gebaut. Pro Asyl kritisiert, die türkischen Behörden hätten wiederholt Druck auf Flüchtlinge ausgeübt, damit diese einer freiwilligen Ausreise zustimmten.

Der Berliner Politikberater Gerald Knaus, der als einer der Architekten des Flüchtlingsdeals gilt, fordert nun Garantien dafür, was mit Flüchtlingen geschieht, die aus Europa in die Türkei abgeschoben werden. Es sei im Sinne aller, dass die Türkei ein sicheres Land für Syrer sei. Um dies zu gewährleisten, müsse Europa sich solidarisch zeigen und engagieren.

Knaus hält das Abkommen für alternativlos. "Platzt der Deal, würde das für alle Seiten die Situation verschlimmern, vor allem für die Flüchtlinge", sagt er.

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