Niederländer sagen Nein zu EU-Abkommen Und jetzt, Herr Rutte?

Die Niederländer haben in einem Referendum das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine abgelehnt. Ist der Deal nun hinfällig? Drei Szenarien.
Niederländischer Premier Mark Rutte

Niederländischer Premier Mark Rutte

Foto: Peter Dejong/ AP

Es war eine Ohrfeige mit Ansage: Das Nein der Niederlande zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine hatte sich lange abgezeichnet. Dennoch herrscht nun Ratlosigkeit in Den Haag und Brüssel. Der einzige, wenn auch schwache Trost: Man kann sich Zeit nehmen für eine Reaktion, denn unmittelbare Folgen hat das Referendum vorerst nicht. Große Teile des Assoziierungsabkommens werden bereits seit November 2014 und Januar 2016 vorläufig angewandt, darunter der Teil, der den Handel betrifft - und daran ändert sich zunächst nichts. "Technisch gesehen läuft weiterhin der Ratifizierungsprozess", erklärt eine Sprecherin der EU-Kommission.

Doch er muss abgeschlossen sein, ehe das Abkommen vollständig in Kraft treten kann. Als einziger von 28 EU-Staaten haben die Niederlande den Vertrag noch nicht ratifiziert - obwohl auch dort schon beide Kammern des Parlaments und das Staatsoberhaupt zugestimmt haben. Die Regierung hat mit der Zustellung der entsprechenden Dokumente an den Europäischen Rat jedoch gewartet, bis das Referendum abgehalten war.

Am Mittwoch haben die Niederländer - wenn auch nur rund 30 Prozent von ihnen - den Vertrag mit klarer Mehrheit abgelehnt. Was nun?

  • Szenario 1 besteht darin, dass man das Gesetz wörtlich nimmt: Das Referendum ist nicht bindend, sondern hat lediglich beratenden Charakter. Theoretisch könnte die Regierung also das Votum übergehen und das Abkommen durchwinken. Das aber erscheint unwahrscheinlich.

    "Bei so einem Nein kann der Vertrag mit der Ukraine nicht ohne Weiteres ratifiziert werden", sagte Ministerpräsident Mark Rutte in der Nacht zum Donnerstag. Der rechtsliberale Politiker würde damit nicht nur die eigene politische Existenz aufs Spiel setzen, sondern auch den Populisten in den Niederlanden und in den anderen EU-Ländern weitere Munition liefern. Sie haben ohnehin schon Oberwasser durch das Ergebnis des Referendums.

  • Szenario 2 gilt deshalb als wesentlich wahrscheinlicher: Die Niederländer lehnen die Ratifizierung ab und fordern Änderungen. Hier gäbe es einen relativ einfachen Weg, denn bei dem Assoziierungsabkommen handelt es sich um ein sogenanntes gemischtes Abkommen: Manche Teile fallen in die Kompetenz der EU, andere in die der Mitgliedstaaten. Die Niederlande könnten durch ein Zusatzprotokoll von jenen Verpflichtungen ausgenommen werden, die nur sie selbst betreffen. Das entspräche übrigens auch dem Referendum, in dem es ausschließlich um diesen Teil ging.

  • Szenario 3 wäre der schwierigste Fall: Die Niederlande verlangen Änderungen auch an jenen Teilen des Abkommens, die der Zuständigkeit der EU unterliegen. Es sind die wichtigsten Teile des Abkommens, und zugleich jene, die bereits provisorisch angewandt werden. Sie müssen vom Rat der EU-Staats- und Regierungschefs noch formell beschlossen werden.

    Das muss einstimmig geschehen, und hier könnte die niederländische Regierung unter Druck geraten, nach dem Referendum ihr Veto einzulegen und Nachverhandlungen zu verlangen.

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Ukraine-Referendum in den Niederlanden: Stimmungstest für die EU

Foto: Bas Czerwinski/ dpa

Das aber wäre zum einen politisch problematisch. "Es wäre kein Sieg der Demokratie, wie er von den Initiatoren des Referendums verkündet wurde, sondern das Gegenteil", kritisiert Peter Van Elsuwege, Rechtsprofessor an der Universität Gent. Es wäre "äußerst zynisch", würde man einem kleinen Teil der Bevölkerung eines kleinen EU-Staats gestatten, eine Einigung zu blockieren, die bereits von den Parlamenten aller anderen Mitgliedstaaten und vom Europaparlament gutgeheißen wurde. Es würde außerdem die Konsistenz und Legitimität der EU-Außenpolitik untergraben, schreibt Van Elsuwege in einem Blog-Beitrag .

Hinzu käme ein technisches Problem. Würden die Niederlande Änderungen an dem Teil des Vertrags verlangen, für den die EU zuständig ist, ginge wohl der gesamte Ratifizierungsprozess in den anderen 27 EU-Staaten von vorne los. "Dann müssten die anderen Staaten das Abkommen wahrscheinlich erneut ratifizieren", meint Nicolai von Ondarza von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Neuauflage des Dramas um die EU-Verfassung?

Er hält es für möglich, dass es zu einer Neuauflage dessen kommt, was die Niederlande bereits 2005 durchgemacht haben. Damals lehnte die Bevölkerung in einem - ebenfalls nicht bindenden - Referendum die EU-Verfassung ab. 2009 wurde sie dann als Vertrag von Lissabon verabschiedet. Die Niederlande stimmten ebenfalls zu, allerdings ohne erneutes Referendum.

Teile der Bevölkerung fühlten sich damals verschaukelt - was sich, wie manche Beobachter glauben, nun auch im Ergebnis des Ukraine-Referendums niedergeschlagen hat. Deshalb, glaubt von Ondarza, müssten die EU und die Niederlande nun ein Signal setzen, dass sie das Ergebnis der Volksabstimmung ernst nehmen.

Und nicht nur deshalb. Am 23. Juni stimmen die Briten über einen Verbleib in der EU ab. "Sollte man das Referendum in den Niederlanden nun missachten, würde das den Befürwortern eines Brexit in die Hände spielen", meint von Ondarza. "Die EU steckt in der Zwickmühle."


Zusammengefasst: Die EU und die niederländische Regierung stecken nach dem Referendum zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine in einem Dilemma: Das Nein der niederländischen Bevölkerung ist so klar, dass man es nicht ignorieren kann. Nachträgliche Änderungen an dem Vertrag könnten äußerst kompliziert ausfallen. Doch unterlässt man sie, liefert man den Feinden der EU weitere Munition.

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