Sanktionen gegen Russland Europa rafft sich auf

Nun soll es schnell gehen: Bis Dienstag will die EU härtere Wirtschaftssanktionen gegen Moskau auf den Weg bringen. Vor allem Berlin gibt sich entschlossen.
Soll Europas Entschlossenheit spüren: Russlands Präsident Putin.

Soll Europas Entschlossenheit spüren: Russlands Präsident Putin.

Foto: Fernando Bizerra Jr./ dpa

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat den Takt vorgeben. Per Brief wandte sich der Belgier an die 28 Staats-und Regierungschefs, Wirtschaftssanktionen gegen Russland bald auf den Weg zu bringen. "Ich würde Sie bitten", schrieb der Belgier, "Ihren Botschafter so anzuweisen, dass wir am Dienstag eine Einigung hinbekommen."

Ob dies gelingt, hängt jedoch weniger von den Chefs als von ihren Beamten ab. Über das Wochenende haben Diplomaten in allen EU-Hauptstädten über Formulierungen und Vorschlägen gebrütet. Zwar gibt es im Prinzip eine Einigung auf den Einstieg in Wirtschaftssanktionen als Reaktion auf den mutmaßlichen Abschuss des Fluges MH17 mit 298 Insassen über der Ostukraine.

Doch der Teufel steckt im Detail. Immerhin sollen die geplanten Sanktionen den Zugang Russlands zu europäischen Finanzmärkten beschränken sowie den Handel mit Rüstungsgütern, Schlüsseltechnologien vor allem für den Energiesektor und mit Gütern, die außer einem zivilen auch einen militärischen Nutzen haben - sogenannte Dual-Use-Technologie.

Die geplanten Maßnahmen dürften sowohl den europäischen Exportunternehmen als auch den Russen wehtun - anders als die eher symbolischen Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Mitglieder der russischen Elite, wie zuletzt die Chefs der russischen Geheimdienste.

Öffentliche Rückendeckung für Sanktionen

Künftig soll beispielsweise keine Spitzentechnologie für die Förderung oder Erschließung von Erdölfeldern in der Tiefsee und in der Arktis mehr nach Russland geliefert werden. Die EU-Kommission schätzt, dass jährliche Exporte in Höhe von 150 Millionen Euro betroffen sind.

Bei Produkten, die sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke eingesetzt werden können, könnten nach Einschätzung der Kommission sogar Ausfuhren im Wert von vier Milliarden Euro wegfallen. Es geht um Spezialmaterialien, Werkzeugmaschinen und Hochleistungscomputer, die die Russen nicht so einfach bei alternativen Anbietern etwa in China kaufen können.

Obwohl damit auch die Interessen der deutschen Industrie betroffen sind, genießt die Sanktionspolitik Rückendeckung in der Bevölkerung: 52 Prozent der Deutschen sprechen sich laut einer TNS-Infratest-Umfrage für schärfere Boykottmaßnahmen aus, selbst wenn dadurch viele Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet wären.

Die Vorgaben, die von der EU-Kommission erarbeitet werden, gehen tief ins Detail. Beispielsweise legen sie fest, dass künftig keine Spezialrohre für Ölbohrungen mit einem Durchmesser von mehr als 406,7 Millimetern exportiert werden dürfen. Zudem ringen die Beamten der Mitgliedstaaten über Grundsatzfragen, zum Beispiel darüber, ob das Verbot von Dual-Use-Technologie nur für Staatsbetriebe oder auch zivile russische Unternehmen gelten soll.

Klar ist: Die Franzosen dürfen ihre Hubschrauberträger vom Typ Mistral an Russland verkaufen. Neue Exportverträge sollen jedoch nicht mehr unterschrieben werden, solange Russland Territorium der Ukraine besetzt hält.

Frust über langes Ringen in der EU

Ist das die entschlossene Antwort auf die Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin, die insbesondere die USA von den Europäern gefordert haben? Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht im SPIEGEL von einem "klaren Signal".

Doch unter jenen Mitgliedstaaten, die schon länger auf härtere EU-Sanktionen drängen, ist der Frust über den langsamen Abstimmungsprozess innerhalb der Union spürbar. Es sei "lächerlich", wie lange einige Staaten wegen ihrer engen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland umfassendere Strafmaßnahmen blockiert hätten, schimpft der EU-Botschafter eines wichtigen osteuropäischen Mitgliedstaats. Ähnlich äußerte sich Linas Linkevicius, Außenminister von Litauen, gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Bisher haben wir immer zu wenig zu spät gemacht. So werden wir ein Teil des Problems."

Unklar ist noch, ob die EU-Botschafter am Dienstag das Maßnahmenpaket beschließen (und die Mitgliedstaaten schriftlich zustimmen), oder es später in der Woche einen Sondergipfel der Staats-und Regierungschefs geben wird. Einige große Staaten, darunter Deutschland, drängen auf einen Gipfel, weil sie damit ein Signal an Putin senden wollen. Terminlich und logistisch ist dies jedoch schwer zu bewerkstelligen: Auch in Brüssel naht die Sommerpause.


Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, "52 Prozent der Deutschen sprechen sich laut einer TNS-Infratest-Umfrage für schärfere Boykottmaßnahmen aus, selbst wenn dies den Verlust 'vieler Arbeitsplätze' in Deutschland bedeuten würde." Korrekt hätte der zweite Halbsatz lauten müssen "selbst wenn dadurch viele Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet wären." Wir haben den Artikel entsprechend verändert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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