EU-Flüchtlingsdebatte Ihr müsst leider draußen bleiben

Die EU-Innenminister beteuern geschlossen, wie schlimm die Lampedusa-Katastrophe ist. Doch anscheinend nicht schlimm genug: Ändern wird sich an Europas Asylpolitik erst mal nichts - auch weil Innenminister Friedrich blockiert.
Flüchtlinge auf Lampedusa: Deutschland will keine Änderungen an der EU-Asylpolitik

Flüchtlinge auf Lampedusa: Deutschland will keine Änderungen an der EU-Asylpolitik

Foto: ROBERTO SALOMONE/ AFP

Es gibt Tage, da kann man den Eindruck gewinnen, dieses komplizierte Gebilde "Europa" sei tatsächlich ein schlagkräftiges Land. Mit einem Präsidenten, José Manuel Barroso, der per Pressemitteilung verkündet, er werde umgehend an die italienische Mittelmeerküste reisen, um der mehr als 270 vor Lampedusa ertrunkenen Flüchtlinge zu gedenken. Und mit 28 Ministern, die einträchtig um einen Tisch sitzen, und an ihrem Abscheu über den Tod der Flüchtlinge keinen Zweifel lassen: Ein Weckruf für Europa sei dies, beteuern sie, ein Horror-Ereignis, eine Schande.

Diese Worte fallen drinnen im Saal in Luxemburg, wo am Dienstagnachmittag die EU-Innenminister zur Asylpolitik tagten. Doch draußen vor dem Saal enthüllt sich, worin der aktuelle Konstruktionsfehler dieser Staatengemeinschaft liegt - ob es um den Euro geht oder um Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat sind: Das große Ganze zersplittert rasch ins kleinlich Nationale.

Also tritt der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in Luxemburg vor Journalisten und betont, "selbstverständlich" werde sich gar nichts ändern an der Asylpolitik der Gemeinschaft.

Italien fordert gerechtere Lastenverteilung

Was soll die ganze Aufregung, kann man Friedrichs Worte auch übersetzen. Keine Änderung, das heißt: keine "humanitären Visa" - ausgestellt etwa von EU-Botschaften in Algerien oder Tunesien für zum Aufbruch nach Europa entschlossene Flüchtlinge, um ihnen wenigstens einen legalen Grenzübertritt zu ermöglichen.

Friedrichs Äußerungen bedeuten auch: Keine neuen Debatten über eine gerechtere Lastenverteilung, wie sie Italiens Innenminister Angelino Alfano anmahnte. Man müsse "die Regeln ändern, die die ganze Last der illegalen Einwanderung auf die Länder des ersten Eintritts abwälzen", forderte Alfano. Denn nach der derzeit gültigen Drittstaatenregelung müssen etwa Asylbewerber, die es nach Deutschland nur über Länder wie Italien oder Spanien schaffen, umgehend dorthin zurück.

Aus der Haltung der Bundesregierung folgt zudem: Keine Diskussion der Vorschläge von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der am Montag eine großzügigere Aufnahme von Flüchtlingen in anderen Mitgliedstaaten als Italien forderte. "Schulz spielt mit dem Feuer", sagt Friedrichs Parteifreund Manfred Weber, CSU-Europaabgeordneter, SPIEGEL ONLINE. In Zeiten wachsender Europaskepsis und zweistelliger Jugendarbeitslosigkeit in Euro-Krisenstaaten seien solche Vorschläge nicht vermittelbar.

Vor allem aber macht Friedrich klar: Auf keinen Fall wird es eine deutsche Vorreiterrolle geben. Die Bundesregierung verweist lieber auf die Statistiken. Danach nimmt Deutschland rund fünfmal so viele Asylbewerber auf wie Italien. Außerdem erhalte die römische Regierung ja jedes Jahr rund 140 Millionen Euro, um die Belastung durch die Flüchtlingswelle zu lindern. "In Italien gibt es in Sachen Flüchtlingspolitik ein Umsetzungsproblem", so Weber.

Aber wenn solche Umsetzungsprobleme offensichtlich zu Flüchtlingschaos führen? Und statistische Vergleiche ohnehin hinken, da kleinere Mitgliedstaaten wie Malta oder Schweden bezogen auf ihre Einwohnerzahl fünfmal so viele Flüchtlinge aufnehmen wie das große Deutschland? Das ist kaum ein Thema in Luxemburg. Konkrete Nothilfe soll Italien erst einmal nur bei der Grenzsicherung erhalten, also etwa mehr Geld für Schiffe oder Flugzeuge, die Menschen in Seenot aufspüren können. Außerdem soll das Eurosur-Programm rasch beschlossen werden, um auch bei der Suche nach Schiffbrüchigen zu helfen.

Kritik an Überwachungsprogramm Eurosur

Eurosur ist das "European External Border Surveillance System", ein ausgeklügeltes Überwachungssystem aus Satelliten, Drohnen und Radarsystemen. Das etwa 340 Millionen Euro teure Programm soll ab Dezember in ausgesuchten Mitgliedstaaten eingesetzt werden - ist aber heftig umstritten. Die Heinrich-Böll-Stiftung schrieb in einer Analyse darüber: "Was sich anhört wie ein Orwellscher Zukunftsroman, nimmt in der EU seit Jahren konkrete Gestalt an."

Auch Cornelia Ernst, Sprecherin der Linken im Europaparlament, sieht Eurosur als Hilfsmittel in der Flüchtlingskrise kritisch: "Überspitzt formuliert, könnte die EU künftig prima via Satellitenübertragung aus dem Weltall dabei zusehen, wie die Flüchtlinge in ihren Nussschalen ertrinken", sagt sie SPIEGEL ONLINE.

Das Europaparlament wird Eurosur am Donnerstag jedoch aller Voraussicht nach zustimmen. Debatten über größere Änderungen der Asylpolitik dürften damit erst einmal vorbei sein - es sei denn, Europas Staats-und Regierungschefs setzen das Thema auf die Agenda ihres nächsten Gipfeltreffens Ende Oktober in Brüssel.

CSU-Mann Weber, sonst so skeptisch gegenüber Reformansätzen, begrüßt diese Idee: "Ich fände es nicht schlecht, wenn die Chefs darüber reden. Die Welt schaut schließlich darauf, wie wir dieses Thema handhaben".

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