Britische Blockadedrohung Cameron lässt sich von EU-Hassern treiben

David Cameron in der "Andrew Marr"-Talkshow: EU-Gegner setzen den Premier unter Druck
Foto: HANDOUT/ REUTERSFür das neue Jahr hat David Cameron sich etwas vorgenommen, was er in der ersten Hälfte seiner Amtszeit sorgfältig vermieden hat: Er will klare Position zur EU beziehen. In einer Grundsatzrede Mitte Januar will der Premierminister das Rätsel lüften, wie es zwischen Großbritannien und dem Kontinent weitergehen soll.
Der Auftritt wird in London und Brüssel mit großer Spannung erwartet. Die Euro-Skeptiker auf der Insel setzen darauf, dass der Tory-Chef sich endlich als einer der Ihren zu erkennen gibt. Sie wollen in einem Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens abstimmen. Bislang hatte ihnen jeder Regierungschef diesen Wunsch abgeschlagen. Im Rest Europas hingegen hofft man, dass Cameron den Partnern das Leben auf EU-Gipfeln nicht noch schwerer macht.
Einen Vorgeschmack auf die Rede gab Cameron am Sonntag in der BBC-Talkshow "Andrew Marr". Er sagte, Großbritannien wolle vollwertiges Mitglied der EU bleiben. Aber wenn seine Regierung die engere Integration der Euro-Zone unterstützen solle, wolle er im Gegenzug auch einige Forderungen erfüllt haben. Unter anderem nannte er die europäische Arbeitszeitrichtlinie und die Sozialleistungen für EU-Migranten. Beides will er streichen.
Die Euro-Staaten seien dabei, die Natur der EU zu verändern, argumentierte Cameron. Daher habe Großbritannien das Recht, seinerseits Änderungen der EU-Verträge zu fordern.
Es klang ein bisschen nach Erpressung - und so war es wohl auch gemeint. Denn bislang ist Cameron mit seiner Forderung nach einer Kompetenzverlagerung bei den Partnern auf taube Ohren gestoßen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande hatte im Dezember gesagt, einmal gemachte Zusagen seien in Europa "das ganze Leben gültig". An Brüssel übertragene Zuständigkeiten hole man nicht einfach zurück.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte vor wenigen Tagen im "Guardian" gemahnt, das Rosinenpicken der Briten müsse aufhören: "Wenn jeder Mitgliedstaat sich aus den EU-Verträgen nur das herauspicken würde, was ihm am besten gefällt, dann wären die Union und der Binnenmarkt bald am Ende."
Cameron will sich von solchen Warnungen offensichtlich nicht beirren lassen. Bei jeder Gelegenheit bekräftigt er, einen "neuen Deal" mit Brüssel abschließen zu wollen. Seine Regierung prüft gerade, ob sie die europaweite Zusammenarbeit in Justizfragen aufkündigen soll. Die Möglichkeit des Opt-out war den Briten im Lissabon-Vertrag zugestanden worden.
Die konservative Basis verlangt jedoch nach mehr. Cameron steht daheim gleich an mehreren Fronten unter Druck:
- Die EU-Hasser in seiner konservativen Partei haben ihm noch nicht verziehen, dass er sein Wahlversprechen einer Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag gebrochen hat. Der Plan wurde nach Camerons Wahl zum Premierminister im Jahr 2010 stillschweigend beerdigt - mit dem Argument, der Vertrag sei ja bereits in Kraft getreten. Seither trommelt der rechte Parteiflügel für ein Referendum über den EU-Austritt.
- Die britische Unabhängigkeitspartei UKIP ist in Umfragen zum Jahreswechsel zur drittstärksten politischen Kraft im Land geworden. Die Partei fordert seit Jahren den Austritt Großbritanniens aus der EU. Lange war sie als Protestgruppierung abgetan worden, doch inzwischen sehen führende Tories sie als größte Gefahr. Sollte UKIP sich als neues Sammelbecken der Euro-Skeptiker etablieren, wäre eine eigene Mehrheit der Konservativen bei der nächsten Wahl wohl nicht zu erreichen.
Änderung der EU-Verträge könnte noch Jahre dauern
Es wird daher erwartet, dass Cameron in seiner Grundsatzrede in den kommenden Wochen sehr EU-kritische Töne anschlägt. Sein Argument ist simpel: Die Integration der Union ist zu weit gegangen. Es muss möglich sein, statt sie immer weiter zu vertiefen auch mal einen Schritt rückwärts zu gehen und Fehlentwicklungen zu korrigieren.
Die Euro-Krise bietet aus Tory-Sicht die einmalige Gelegenheit, den alten Wunsch von mehr Unabhängigkeit gegenüber Brüssel zu erfüllen. Die EU-Verträge können nur einstimmig geändert werden, die Partner sind also auf Großbritannien angewiesen. Das britische Ja soll so teuer wie möglich verkauft werden. Soweit die Theorie.
Der Plan hat nur einen Haken: Die meisten EU-Regierungschefs wollen sich nicht in die Abhängigkeit von Cameron begeben. Sie schließen lieber parallele Verträge ohne ihn. So ist schon der Fiskalpakt im vergangenen Jahr ohne Camerons Zustimmung zustande gekommen.
Zwar weist die Bundesregierung von Zeit zu Zeit darauf hin, dass die neue Architektur der Euro-Zone früher oder später auch in die EU-Verträge geschrieben werden muss. Doch könnte das noch Jahre dauern, denn der Appetit auf den mühseligen Prozess einer Vertragsänderung ist in den meisten Hauptstädten gering.
Für Cameron ergibt sich daraus ein Glaubwürdigkeitsproblem: Wenn es auf absehbare Zeit keine Vertragsänderung gibt, wie will er dann Zuständigkeiten zurückholen? Im Mai ist die liberalkonservative Koalition seit drei Jahren im Amt, und die Parteibasis wird langsam ungeduldig. In ihren Augen hat Cameron immer weitergehende Beschlüsse der EU bislang nicht aufgehalten, sondern mit vorangetrieben.
Tatsächlich ist Camerons Europakurs bislang wenig kohärent. Er sendet gern EU-skeptische Signale. Auf seinen Druck sind die Tories einst aus der Fraktion der europäischen Konservativen im europäischen Parlament ausgetreten. Doch wenn es darauf ankommt, handelt er pragmatisch: In der Euro-Krise hat er fast allen Beschlüssen der Partner zugestimmt, zuletzt auch der Banken-Union. Seine einzige Bedingung: Großbritannien darf von neuen Regeln nicht betroffen sein.
Wird sich dies nun ändern? Wohl kaum. Cameron ist weiterhin der Ansicht, dass eine funktionierende Euro-Zone im britischen Interesse sei. Die Blockadedrohung wirkt mehr wie ein Akt der Verzweiflung: Der Premier verschärft den Ton, um seine Kritiker daheim ruhigzustellen.
Aus dem gleichen Grund wird er ihnen wohl bald auch ihren Herzenswunsch erfüllen: Die Briten würden, versprach Cameron in der "Andrew Marr"-Talkshow, in der nächsten Legislaturperiode "eine echte Wahl" zur EU bekommen. Details nannte er nicht, auch das Wort "Referendum" nahm er nicht in den Mund. Irgendetwas, sagte er zwinkernd, müsse er sich schließlich noch für seine Rede aufheben.