Euro-Rettung Obama herzt die Krisen-Kollegen

Kanzlerin Merkel, Präsident Obama (im Jahr 2010): "Bedeutende Grundlage"
Foto: JIM YOUNG/ REUTERSWährend sich die Mächtigen Europas zu ihrem entscheidenden Gipfel in Brüssel versammelten, saß Barack Obama in der Air Force One. Es war der Rückflug in Richtung Washington, nach einem ausgedehnten Wahlkampftrip in den Westen. Obama hat dort für sein Job-Programm geworben, die Arbeitslosenquote steht schließlich bei über neun Prozent. Wenn das so weitergeht, wird er kaum eine Chance auf Wiederwahl haben im kommenden Jahr.
Obama spricht bei Wahlkampfveranstaltungen jetzt immer auch über Europa, über die Staats- und Regierungschefs des alten Kontinents, die ihre Schuldenkrise lösen müssen. Sonst, ja sonst, kann Amerika machen, was es will - die international vernetzte Wirtschaft wird sich nicht erholen. Dass Amerika selbst in der Schuldenkrise steckt, spielt da keine Rolle. Es ist eine Mischung aus Schwarzer-Peter-Spiel und echter Sorge, die Obama treibt.
Mahnungen und Warnungen
Und so wird er an Bord seiner Präsidentenmaschine wohl sehr genau verfolgt haben, was da viele tausend Kilometer entfernt in Belgiens Hauptstadt vor sich ging. "Wir sind überzeugt, dass die Europäer die finanziellen Fähigkeiten haben, mit dieser Herausforderung klarzukommen", richtete Obamas Pressesprecher Jay Carney den Journalisten an Bord aus: "Und jetzt müssen sie diese Fähigkeiten mit politischem Willen verknüpfen."
Soll heißen: Nun macht mal schön, liebe Europäer. Lasst euch nicht lumpen!
Tatsächlich liefert Europa einige Stunden später. Schuldenschnitt für die Griechen unter maßgeblicher Beteiligung der Banken; Hebelwirkung für den Euro-Rettungsschirm EFSF; Rekapitalisierung der Banken. Prompt zieht der US-Börsenindex Dow Jones kräftig an. Und Obama klingt erleichtert: "Wir begrüßen die wichtigen Entscheidungen, die eine bedeutende Grundlage für eine umfassende Lösung der Krise in der Euro-Zone sind", sagt er. Die Beschlüsse der Europäer hätten die internationalen Märkte beruhigt.
Ohne Mahnung aber geht es auch am Donnerstag nicht: Man erwarte nun eine "vollständige Ausarbeitung und zügige Anwendung" der Vereinbarungen. Seine Regierung werde die EU und die europäischen Verbündeten weiter unterstützen, die Krise zu bewältigen: "Wir arbeiten zusammen, um die globale Erholung aufrechtzuerhalten." Wenn Europa schwach sei und nicht wachse, dann habe das Auswirkungen auf Amerikas Wirtschaft "und unsere Fähigkeit, hier in den Vereinigten Staaten Jobs zu schaffen", so Obama.
"Den Europäern helfen, schnell voranzukommen"
Europäer und Amerikaner werden sich bereits Anfang November gegenübersitzen, beim G-20-Gipfel im südfranzösischen Cannes. Bis dahin werden die Europäer den neuen EFSF-Hebel und all die anderen Beschlüsse natürlich noch nicht umgesetzt haben. Das kann noch Wochen, Monate dauern. "Wir werden den Europäern helfen, schnell voranzukommen", sagt Sprecher Carney am Donnerstag, zurück in Washington. Die USA jedenfalls würden auf dem G-20-Gipfel eine "führende Rolle" spielen.
Was Carney nicht explizit sagt: Längst setzen die USA dabei auch auf eine starke Rolle der deutschen Kanzlerin. Mehr und mehr ist Angela Merkel im vergangenen Jahr aus Sicht der Amerikaner zur entscheidenden Führungsfigur in Europa geworden. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy? Hat nicht die wirtschaftliche Macht der Deutschen im Kreuz. Briten-Premier David Cameron? Nicht in der Euro-Zone.
Also Merkel. Nur hatte die sich aus amerikanischer Sicht bisher zu stark zurückgehalten. Dass Merkel nicht entschieden voranschritt sondern stets von "Prozessen", von "Schritt für Schritt" zu beschreitenden "Wegen" zur Krisenlösung sprach, wurde ihr in Washington immer wieder als Schwäche ausgelegt. Obama und sein Finanzminister Timothy Geithner beklagten sich öffentlich, die Europäer hätten in der Euro-Krise nicht so schnell reagiert, wie es nötig gewesen wäre. Sie zielten dabei insbesondere auf Merkel. Die konterte sinngemäß auch prompt, die Amerikaner sollten vor der eigenen Haustür kehren - und erst mal die Einführung einer weltweiten Finanztransaktionssteuer unterstützen.
Trotzdem: Wo will sie eigentlich hin, die deutsche Kanzlerin? Und wenn nicht sie, wer sonst soll die Richtung in Europa denn bitteschön vorgeben? Das war die Gefühlslage in den USA. Bis zum EU-Gipfel.
Schon Merkels Auftritt im Bundestag am Mittwochmorgen wurde in Washington mit großem Interesse zur Kenntnis genommen: "Die Welt schaut auf Deutschland und Europa. Sie schaut darauf, ob wir bereit und fähig sind, in der Stunde der schwersten Krise Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Verantwortung zu übernehmen", sagte Merkel vor den Parlamentariern. Dieser Satz wird anschließend von allen wichtigen US-Medien zitiert; die "New York Times" machte am Donnerstag sogar mit einem großen Merkel-Bild auf.
Auf dem Brüsseler Gipfel schließlich hat sich Merkel gegen Sarkozy durchgesetzt, sie hat den Banken eine Beteiligung abgerungen. Das macht in Übersee Eindruck. "Deutschland und Kanzlerin Merkel haben jene Führung gezeigt, die Amerikas politische Entscheidungsträger und der Finanzsektor ersehnt haben", lobt Stephen Szabo, Direktor der Transatlantic Academy in Washington, auf SPIEGEL ONLINE.
Es handele sich zwar noch nicht um langfristige Lösungen, aber die USA seien nun wieder sicher, "dass Deutschland weder seine europäische Berufung noch den Willen verloren hat, jene Verantwortung wahrzunehmen, die mit der Macht einhergeht - wenn auch widerstrebend." Dass Merkel auf einer Beteiligung der Banken bestanden habe, sei "erfrischend" für Amerikaner, deren Land diese Last allein dem Steuerzahler aufgebürdet habe.