Schäuble als Euro-Gruppen-Chef In Hollandes Hand

Kanzlerin Merkel, Minister Schäuble: Riskante Bewerbung
Foto: dapdBerlin - Wenn Frankreich am Sonntag einen neuen Präsidenten wählt, warten sie in Berlin besonders gebannt auf die Ergebnisse. Und das nicht nur, weil Angela Merkel fürchten muss, dass François Hollande als möglicher neuer Staatschef der Grande Nation den rigiden Sparkurs der Deutschen in Frage stellen will. Hollande könnte auch eine wichtige Personalie der Kanzlerin durchkreuzen: Merkel will ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble im Zweitjob zum neuen Chef der Euro-Gruppe machen. Doch dass Frankreich dabei nach dem 6. Mai mitspielt, ist längst nicht ausgemacht.
Der amtierende Vorsitzende der Euro-Gruppe, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, will den Posten im Juni abgeben. Inoffiziell ist Schäuble seit Wochen als Nachfolger im Gespräch, eine Entscheidung aber hat bislang der französische Wahlkampf verhindert. Nicolas Sarkozy, so ist zu hören, hatte vor einigen Wochen bereits sein Okay signalisiert. Seine Berater aber sollen ihn anschließend gedrängt haben, die Unterstützung zurückzuziehen, sie zumindest vor der Wahl nicht öffentlich zu machen. Das Volk, so das Kalkül, würde es nicht goutieren, wenn er dem deutschen Spardiktat zu noch mehr Einfluss verhelfen würde.
Und nach der Wahl? Ob Sarkozys Meinung dann noch gefragt ist, ist mehr als ungewiss. Die Demoskopen sagen einen Sieg Hollandes voraus. Und der Sozialist hat in den vergangen Wochen keinen Zweifel daran gelassen, dass er die harte deutsche Konsolidierungslinie aufweichen will. Warum sollte er dann als eine seiner ersten Amtshandlungen ausgerechnet den härtesten Verfechter dieser Linie auf den Thron des Euro-Gruppen-Chefs hieven? Das dürfte Hollande seinen Anhängern nur schwer erklären können. Entsprechend groß ist die Gefahr, dass er als neuer französischer Präsident die Pläne der Bundesregierung zunichte macht - allein schon, um ein Signal zu setzen.
Die Schäuble-Personalie wird so zur ersten Belastungsprobe des neu zu justierenden deutsch-französischen Verhältnisses werden. Verhindert Hollande den Deutschen als Euro-Gruppen-Chef, wäre das in dieser Hinsicht ein katastrophaler Start. Die Kanzlerin wäre düpiert. Nach dem Reinfall im Ringen um die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB), bei dem ihr Kandidat Axel Weber abhanden kam, steht Merkel unter Zugzwang, wieder einen wichtigen europäischen Spitzenposten mit einem Deutschen zu besetzen. Bislang hat sie es zwar vermieden, ihren obersten Kassenwart öffentlich als Juncker-Nachfolger vorzuschlagen. Genauso wenig hat Schäuble selbst seine Ambitionen bisher öffentlich bestätigt.
Dementiert wurde jedoch genauso wenig, und hinter den Kulissen heißt es: Merkel will Schäuble, und Schäuble ist bereit.
Juncker lobt Schäuble als "Idealbesetzung"
Am Montag gab ausgerechnet der amtierende Euro-Gruppen-Chef den Spekulationen neue Nahrung. Bei einer SPIEGEL-Veranstaltung unterstützte Juncker Schäuble als "Idealbesetzung" für seine Nachfolge. So deutlich hatte Juncker den deutschen Finanzminister zuvor noch nie empfohlen. In Schäubles Haus wertete man die Worte des Luxemburgers als "Freundlichkeit". Daraus sprach durchaus Genugtuung, eine neue Entwicklung wollte man aber nicht erkennen: "Es gibt keinen neuen Stand."
Der Posten ist mit viel Prestige verbunden. In der Euro-Gruppe werden alle wichtigen Entscheidungen der Währungsunion getroffen, der Einfluss des Vorsitzenden ist in der Krise der vergangenen Jahre gewachsen - und so soll es weitergehen. Auch wenn die Pläne für einen hauptamtlichen Mr. Euro vom Tisch sind, die Gruppe soll künftig häufiger tagen und professionalisiert werden.
Dass ein Deutscher den Job macht, erscheint fast logisch. Der Bundesrepublik ist das Musterland der Euro-Zone, die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosenzahl sinkt. Die Krisenpolitik hat Deutschland maßgeblich geprägt, auch in Person von Schäuble. Zudem soll ein Vertreter eines Landes mit bester Kreditwürdigkeit den Vorsitz übernehmen - was die Auswahl extrem einschränkt. Derzeit werden neben Deutschland aber nur noch Luxemburg, Finnland und die Niederlande mit dem begehrten Triple-A bewertet. Juncker will nicht, Finnland winkt ab, die Niederlande bereiten sich auf Neuwahlen vor.
In CDU und CSU würde man Schäuble gerne als Juncker-Nachfolger sehen. Auch der Koalitionspartner, der mit ihm des Öfteren seine Schwierigkeiten hat, zieht mit. "Den Gedanken, den Posten mit einem Deutschen zu besetzen, halte ich für vernünftig", sagt FDP-Finanzexperte Volker Wissing. "Die Rolle Deutschlands bei der Stabilisierung des Euro ist besonders wichtig." Er begrüße Junckers Schäuble-Vorschlag.
Personalpaket und Proporz-Spiele
Die Euphorie wird im Euro-Raum nicht überall geteilt. Schäuble genießt zwar bei allen Kollegen großen Respekt, seine Kompetenz und sein Einsatz für die europäische Sache sind unbestritten. Doch vor allem in den unter ihrer Schuldenlast ächzenden Südländern wird gemurrt. Ein strenger deutscher Sparminister an der Spitze der Währungsunion? Freude kommt da keine auf. Auf der anderen Seite gibt es unter den Skeptikern die Hoffnung, die neue Rolle könne den Deutschen zu einem gemäßigteren Auftreten zwingen. Denn die Aufgabe des Vorsitzenden ist auch die des Moderators.
Kann Schäuble das? Ausgleichend vermitteln statt hart verhandeln? Mancher glaubt, Vertreter eines kleineren Landes seien als Diplomaten besser geeignet. Auch die Opposition in Deutschland hat ihre Zweifel, selbst wenn sie nicht grundsätzlich gegen Schäuble ist. "Ein Euro-Gruppen-Vorsitzender, der in Deutschland Geld ausgibt, was er nicht hat, wird es in Europa schwer haben, für das Sparen zu werben", sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann.
Die Bundesregierung verweist darauf, dass die Juncker-Nachfolge nur Teil eines Personalpakets ist, über das die EU entscheiden muss. Dabei geht es auch um die künftige Leitung des Euro-Rettungsschirms ESM, die Spitze der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und eine anstehende Neubesetzung im EZB-Direktorium. Wie immer in Europa spielen regionale Proporzfragen eine große Rolle.
Übernimmt Schäuble tatsächlich den Vorsitz der Euro-Gruppe, könnte der Deutsche Klaus Regling, derzeit Chef des temporären Rettungsschirms EFSF, kaum den ESM leiten. Präsident der EBRD ist derzeit ebenfalls ein Deutscher: Der SPD-Politiker Thomas Mirow wird den Posten wohl räumen müssen, zumal seit kurzem FDP-Mann Werner Hoyer die Europäische Investitionsbank (EIB) leitet. Zu viele Deutsche in europäischen Spitzenjobs sind den anderen Europäern nicht vermittelbar. Die EBRD könnte künftig ein Franzose führen. Für den EZB-Posten gilt der Präsident der luxemburgischen Notenbank, Yves Mersch, als Favorit. Mersch wiederum kann den Job nicht machen, solange Juncker Chef der Euro-Gruppe ist.
Und mancher in Brüssel hält es nicht für ausgeschlossen, dass Juncker am Ende bleibt - trotz der wiederholten Rückzugsankündigungen. Der 57-Jährige, sagen Beobachter, wolle nur laut genug gerufen werden. Gut möglich, dass genau das nach dem 6. Mai passiert.